Chanukka und die Jagd nach schnellem Vergnügen

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Es ist Zeit, auf die Bremse zu treten. Von Eduard Yusupov.

Die Chanukkalichter, die wir nun acht Tage hintereinander anzünden, müssen nach Eintritt der Dunkelheit entzündet werden – um Licht in die vorherrschende „Dunkelheit“ ringsum zu bringen. Eine Zeit also, in der man im übertragenen Sinn auch Licht in dunkle Entwicklungen bringen soll, so auch in das gesellschaftlich weitverbreitete Phänomen des Hedonismus: Gemeint ist die Jagd nach dem schnellen Vergnügen – ein gesellschaftlicher Wert, den die Griechen (Hellenisten) so emsig verfolgten. Ich würde gerne einen Denkanstoß dazu vorbringen, der manchen neu erscheinen mag, der aber eigentlich die Basis jüdischer Denk- und Lebensart ist.

Es ist ja im Prinzip nichts Schlimmes an der Absicht, Freude zu empfinden. Tatsächlich liegt es in unserer Natur, Freude zu empfangen. Die Griechen wussten gut darum, Unglaubliches aus dem Einzelnen hervorzuholen. Sie waren Meister darin, sich in Kultur, Sport, Wissenschaft und Architektur zu üben – alles zum persönlichen Vergnügen.

Ihnen gegenüber standen die Makkabäer. Sie verfolgten einen anderen Ansatz – sie behaupteten nämlich, dass die Natur des Menschen bis zu ihrem Kern hinein verdorben ist, wie geschrieben steht: „Die Neigung im Herz des Menschen ist übel von Anfang an.“

Das heißt nicht, dass die Makkabäer an sich Einwände gegen das Schöne und Gute im Leben hatten – gegen Kunst, Kultur und Wissenschaft. Sie hatten vielmehr etwas gegen den eigennützigen Gebrauch unserer Fähigkeiten und Talente, der eher in der Glorifizierung des eigenen Selbst seinen Höhepunkt findet als in der des gemeinsamen Wohles.

Während sich die Griechen für Siegertypen begeistern konnten und den Wettbewerb liebten, übten sich die Juden jener Tage in „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, was ihrem Glauben an die Vollkommenheit des Menschen eher entsprach. Natürlich gelang auch ihnen nicht die Umsetzung dieses Ideals umfassend, aber immerhin war dieses hehre Ziel ein Leitbild für ihr Tun.

Nicht, dass die Makkabäer Asketen waren. Auch sie sehnten sich nach dem ultimativen Glückszustand. Doch im Unterschied zu den Griechen wussten sie, dass das tatsächliche Glück stets im sozialen Zusammenhalt liegt. Wenn man sich als Teil eines größeren Ganzen sieht, erweitert man seine Wahrnehmung. Je größer die Gemeinschaft, desto größer die Wahrnehmung und die Erfüllung. Das „Selbst“ kann nur ein gewisses Maß an Freude empfinden. Aber ein „Selbst“, das sich als Teil eines größeren Ganzen wahrnimmt, erlebt Freude sowohl an den eigenen Fäh­igkeiten, die zugunsten der Gesellschaft genutzt werden, als auch an den Beiträgen der anderen an die Gesamtheit – ähnlich den Zellen im Körper, die sich nicht nur selbst erhalten, sondern auch zugunsten des ganzen Körpers arbeiten. Natürlich stand der eigennützige, nach schnellem Vergnügen trachtende Ansatz der hellenistischen Überflussgesellschaft dem diametral entgegen – und eine Koexistenz war damit nicht möglich.

In unserer heutigen Gesellschaft scheinen die Hellenisten klar die Oberhand zu haben. Genusssucht und Wettbewerb stehen im Zentrum gesellschaftlichen Tuns. Doch möglicherweise gleicht der Sieg der Griechen einem Pyrrhussieg: In den meisten wettbewerbsorientierten Gesellschaften führen mittlerweile Depression, Isolation, Entfremdung und Einsamkeit zu extremistischen Entwicklungen und einem beängstigenden Werteverfall und diese zu kaum zu bewältigenden Problemen.

Liebe und Zusammenarbeit

Doch was ist nun mit den modernen Makkabäern, mit dem Prinzip Liebe deinen Nächsten wie dich selbst. Was ist nun mit Freundschaft und sozialem Zusammenhalt. Einfacher ausgedrückt: Machen wir noch unseren Job? Sind wir ein „Licht für die Völker“, oder sind die Ideen unserer Vorfahren nur noch hohle Wörter? Ist dieses Licht, das die Einheit, den Zusammenhalt bedeutet, bereits erloschen? Oder ist es doch die Medizin für gesellschaftliche Krankheiten und globale Krisen?

Eine Krise in der menschlichen Natur äußert sich in allem. Da die menschliche Natur buchstäblich alles in unserem Leben beeinflusst, versinkt mittlerweile nahezu jeder Bereich, in welchem der Mensch „mitmischt“, im Chaos oder ist auf dem besten Weg dorthin. Es ist längst Zeit, auf die Bremse zu treten, das Licht wieder zu entfachen: Versuchen wir doch einmal etwas ganz anderes: Versuchen wir es doch einmal mit Liebe, Zusammenarbeit und Gemeinschaft!

Wir müssen nicht verbergen, wer wir sind und was wir auf dem Gebiet der Wissenschaft, Technik oder Kultur erreicht haben. Wir müssen all dieses Wissen nur anders anwenden. Wir müssen eine Umgebung des Gebens erschaffen. Selbst die Reichen und Mächtigen sind auf dieser Welt nicht sicher. Doch in einer Gesellschaft der gegenseitigen Fürsorge wird sich auch der Ärmste, der Schwächste wohl und geborgen fühlen.

Viele jüdische Gelehrte der letzten zwei Jahrtausende schrieben, dass wir Juden den Schlüssel für eine solche Gesellschaft haben, denn nur wir haben sie jemals erfahren. Damals in den Zeiten der Makkabäer und vor der Zerstörung des Tempels lebten Juden laut der Thora nach dem Prinzip der Nächstenliebe und in einer Gesellschaft der gegenseitigen Fürsorge, die sich einst am Fuß des Berges Sinai gegründet hatte. Nun wäre es an der Zeit, diese Verbindung zu erneuern und sie mit der Welt zu teilen. Die Weltengemeinschaft braucht genau dieses Licht in Zeiten zunehmender Verdunkelung. Wir müssen uns unserer Wurzeln besinnen und dieses Licht weitergeben, wir müssen wieder ein „ein Licht für die Völker“ sein. Und es gibt keinen günstigeren Zeitpunkt dafür als das Fest des Lichtes – Chanukka. ◗

Eduard Yusupov (40) lebt in Wien. Er ist Mitbegründer von Kesher, einer gemeinnützigen Initiative zur Verbesserung der
Lebensqualität in unserer Gesellschaft (www.kesher.at).
  

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