Cherchez la femme – auf der Suche nach der Frau

Auf den Spuren der vergessenen Architektinnen, die einen unverzichtbaren Beitrag zur modernen architektonischen Planung in Palästina geleistet haben.

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Kaete Dan Hotel an der Küstenstraße von Tel Aviv, wo heute das Dan Hotel steht.

Wer waren Lotte Cohen, Elsa Gidoni-Mandelstamm oder Genia Averbuch? Außer einigen Architekturfreaks wird wohl kaum jemand in Israel diese Frage beantworten können. Sie gehörten zu den erfolgreichen Architektinnen im Palästina der Zwanziger und Dreißigerjahre, deren Einfluss vor allem in Tel Aviv bis heute spürbar ist. Diejenigen ihrer Bauten, die noch bestehen, wurden zu Ikonen des internationalen Stils. Doch sie selbst sind völlig in Vergessenheit geraten.
Der Dizengoff-Platz, ein Wahrzeichen Tel Avivs, wurde erst kürzlich nach beinahe fünfzig Jahren der Verunstaltung wieder in seine ursprüngliche Form zurückversetzt. Die in den 1970er-Jahren errichtete Unterführung, die laut dem damaligen Bürgermeister Shlomo Lahat „den Verkehr erleichtern“ sollte, den Platz jedoch für Fußgänger schwer zugänglich machte, wurde abgebaut und die harmonische, runde Form mit den Grünflächen wiederhergestellt. Damit zog wieder Leben in das Stadtviertel am südlichen Teil der Dizengoff-Straße ein, Cafés und Geschäfte rund um den Platz florieren, der Kreisverkehr regelt den Verkehr.

Die Place Etoile von Tel Aviv. Der anfangs auch „Etoile von Tel Aviv“ genannte Platz wurde 1936 von Genia Averbuch entworfen und zwei Jahre später eröffnet. Averbuch plante auch zahlreiche Wohnhäuser, private Villen, Gebäude für Frauenorganisationen und drei Synagogen und wurde in der internationalen Fachliteratur ihrer Zeit hoch gelobt. Doch in Israel ist sie, wie auch ihre Berufskolleginnen, die in Palästina bedeutende Projekte entworfen haben, kaum bekannt.

„Der Beitrag dieser Frauen zur Architektur im Land ist nicht weniger wichtig als jener ihrer männlichen Kollegen jener Zeit.“
Dr. Sigal Davidi

Die Architektin Sigal Davidi hat mehr als ein Jahrzehnt damit verbracht, die Werke und den Werdegang dieser „vergessenen Architektinnen“ in mühsamer Puzzle-Arbeit zu recherchieren. In ihrem kürzlich erschienen Buch Ein neues Land erbauen, Architektinnen und Frauenorganisationen in Palästina unter dem Britischen Mandat (erschienen auf Hebräisch in der Open University Press) beschreibt sie die signifikante Rolle der Frauen in der Architektur jener Zeit: „Diese erste Generation von Architektinnen im Land durchbrach die Grenzen des weiblichen Stereotyps der ‚unterstützenden Gefährtin‘, der in der zionistischen Utopie üblich war, und es ist bemerkenswert, wie sie sich in einer bis dahin rein männlichen Arbeitswelt durchsetzten. Sie führten ihre eigenen Architekturbüros und waren professionell, unabhängig und total auf ihre Arbeit fokussiert. Das Niveau ihrer Erfolge und Errungenschaften war sehr hoch und kann kaum mit der Situation von Architektinnen in anderen Ländern jener Epoche verglichen werden. Ihr Beitrag ist von großer Bedeutung, vor allem in Tel Aviv.“
Frauen wurden erst nach und nach zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Architekturstudium zugelassen, in Deutschland und Österreich im Jahr 1919. Dieses hundertjährige Jubiläum wurde in Berlin mit der großen Ausstellung Frau Architekt gewürdigt. Das Technion eröffnete seine Fakultät erst später, und so kamen zu Beginn der 1920er-Jahre und bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland über ein Dutzend gut ausgebildete und begabte junge Architektinnen aus Europa, vor allem aus dem deutschsprachigen Raum, in das Land und erbauten hier ganze Wohnviertel, Schulen und sogar Synagogen. Hier konnten sie zu jener Zeit relativ leicht große Aufträge bekommen, was in Europa damals für Frauen noch schwierig war.
„Der Bauboom in der Zeit vor der Staatsgründung versorgte alle mit ausreichend Arbeit“, erläutert Davidi. Sie wurde auf das Phänomen der „vergessenen Architektinnen“ aufmerksam, als sie ihre Doktorarbeit über die Levant-Fair, die Orient-Messe, recherchierte. Diese in den 1930er-Jahren regelmäßig in Palästina abgehaltene internationale Architekturausstellung, an der sich zahlreiche europäische Staaten beteiligten, war in Fachkreisen hoch angesehen und soll maßgeblich zur Durchsetzung des internationalen Stils beigetragen haben. (Das Werbeplakat für die Messe von 1934 wurde übrigens vom österreichischen Grafiker Franz Krausz designt.) Die Aufträge für die Dutzenden Pavillons und Einrichtungen der Messe wurde durch teilweise anonyme Ausschreibungen vergeben, an denen die jungen Architektinnen gegen führende Berufskollegen im Land antraten – und gewannen. „Der Beitrag dieser Frauen zur Architektur im Land ist nicht weniger wichtig als jener ihrer männlichen Kollegen jener Zeit“, meint Davidi, „doch ihre Namen sind teilweise aus der Geschichte ausradiert.“

Levant Fair. Elsa Gidoni-Mandelstamm entwarf für die Messe unter anderem das Café Galina.

Elsa Gidoni-Mandelstamm entwarf für die Levant Fair unter anderem das Café Galina, das, wie viele ihrer Projekte, viel internationalen Beifall erntete. In Folge ihrer Arbeit für die Messe wurde sie zu Ausschreibungen für öffentliche Gebäude eingeladen und gewann die Aufträge für die Haushaltschule im Neve-Jizhak-Viertel in Tel Aviv und für das Beit HaHaluzot, das einstige Haus der Pionierinnen, in der King-George-Straße. Die erst 1933 aus Berlin eingewanderte Architektin eröffnete ihr eigenes Büro und wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Einige ihrer im internationalen Stil erbauten Häuser im alten Norden Tel Avivs sind erhalten geblieben und stehen unter Denkmalschutz. „Ich konnte zu Anfang nichts über Gidoni finden“, berichtet Davidi: „Erst nach und nach habe ich Material zusammengetragen und verstand, wie signifikant ihre Arbeit war. Sie hat hier einen wichtigen Beitrag zur Architektur geleistet, doch sie ist im Ausland viel bekannter als hier in Israel.“ Gidoni blieb nur fünf Jahre und ging dann nach New York ging, wo sie Wolkenkratzer an prominenten Adressen in Manhattan entwarf und Teil der Architektengruppe rund um Walter Gropius und dem Österreicher Richard Neutra wurde, die an einem Projekt von modularen, vorgefertigten Häusern arbeitete.
Die gebürtige Wienerin Dora Gad war zwar „nur“ Innenarchitektin, zeichnet aber für viele prestigeträchtige Projekte verantwortlich, darunter die Innenausstattungen des Israel Museums, der Knesset, des Tel Aviver Hilton Hotels sowie der Hotels Accadia und Sharon in Herzlia. Sie entwarf auch die Einrichtung der ZIM-Passagierschiffe.
Dass alle diese Frauen einfach vergessen wurden, führt Davidi auf zwei mögliche Gründe zurück: „Geschichte wird zumeist von Männern geschrieben, ‚HerStory‘ wird dabei nicht so sehr berücksichtigt. Und außerdem spielt es vielleicht auch eine Rolle, dass viele dieser erfolgreichen Architektinnen keine Kinder und keine eigene Familie hier hatten, sodass es niemanden gab, dem es wichtig gewesen wäre, ihr Andenken zu bewahren.“
Die erste bedeutende Architektin im Land war übrigens Lotte Cohn. Sie kam aus Deutschland und plante schon in den 1920er-Jahren zahlreiche Projekte und ganze Stadtviertel im modernen internationalen Stil oder Bauhaus-Stil, darunter die Landwirtschaftsschule für Frauen in Nahalal, das Rasco-Viertel und das Kaete Dan Hotel an der Küstenstraße von Tel Aviv, an dessen Stelle heute das Dan Hotel steht. Sie war es auch, die die erste mit Elektrizität betriebene moderne öffentliche Küche entwarf. „Sie schrieb interessante Texte über architektonische Planung und das Leben hier im Land, vieles aus der Perspektive einer Frau, die Architektur für Frauen macht“, ergänzt Davidi.
Lotte Cohn soll auch einen ausgeprägten Sinn für Humor gehabt haben. In Anspielung auf ihre männlichen Berufskollegen soll sie gesagt haben: „Im Gegensatz zu meinen Kollegen habe ich das Privileg, eine Küche nicht nur zu entwerfen, sondern dann auch in ihr zu kochen.“

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