Corona-Gewinner: Wer in Israel die Krise nutzen konnte

Während der Lockdown der letzten Monate auch in Israel viele Unternehmen an den Rand des Bankrotts trieb, konnten andere schnell und kreativ auf die Krise reagieren und wurden damit zu „Corona-Gewinnern“.

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© Daniela Segenreich-Horsky

1. Die Glückspilze
Einkaufen bedeutete noch bis vor Kurzem, im Abstand von zwei Metern in langen Warteschlangen vor dem Supermarkt anzustehen und dabei zu bangen, ob man sich vielleicht zu sehr dem Virus aussetzt. Oder aber endloses Warten auf die Onlinebestellung, die dann erst nach Wochen einlangt. Für meine Tochter und mich hingegen bedeutete es, zumindest, was Gemüse und Obst betraf, blühende Felder, riesige Kürbisse und frische Erdbeeren vom Feld. Am Höhepunkt der Coronakrise wurde der wöchentliche Ausflug zu „Jehudas Garten“ im etwa vier Kilometer entfernt gelegenen Moshav Rishpon zu unserem Highlight der Woche. Die günstigen Preise waren dabei nur eine willkommene Nebenerscheinung. Entscheidend war für uns das Erlebnis von Natur und Weite. Denn mit diesem Einkauf konnten wir die in Israel sehr streng gehandhabten Ausgangsbeschränkungen umgehen – die Nahrungsversorgung war schließlich erlaubt und somit auch unser Ausflug zum nahegelegenen Moshav. Die appetitlich in einem offenen Zelt am Rand der Salat- und Blumenfelder geschlichtete frische Ware auszusuchen, während man den gratis angebotenen Kräutertee schlürft, war eindeutig angenehmer als das Einkaufen im künstlich belüfteten Supermarkt, in dem man ständig aufpassen musste, dass die anderen Kunden nicht zu nahe kommen.

Jehudas Garten. Während des Lockdowns kamen die Städter in Horden. Neben dem frischen Gemüse wollten sie Natur und Weite erleben. Es musste also schnell geerntet und neu angepflanzt werden. © Daniela Segenreich-Horsky

„In der Landwirtschaft durfte zwar gearbeitet werden, aber die großen Gemüsebetriebe in Israel stecken alle tief in der Krise, denn ihre Hauptabnehmer, die Hotels und Restaurants, waren monatelang geschlossen“, analysiert Avi Cohen, der gemeinsam mit Jehuda Stalik den erst seit einem Jahr bestehenden „Garten von Jehuda“ betreibt. „Kleinere Betriebe wie wir, die direkt an die Endabnehmer verkaufen, gingen in dieser Zeit gut. Wir waren wirklich Glückspilze: Wir hatten für dieses Jahr ein Marketingprogramm zum Aufbau des Betriebs aufgestellt und waren schon im Mai bei den Gewinnen angelangt, die wir erst für den kommenden Dezember eingeplant hatten.“
Offenbar hatten nicht nur wir Jehudas Garten zu unserem wöchentlichen Ausflugsziel gemacht. Die Städter kamen in Horden, es musste also schnell geerntet und neu angepflanzt werden. Dafür waren zusätzliche Arbeitskräfte nötig, die zu finden bei den vielen Arbeitslosen in der Krise eine Leichtigkeit war. Viele Schüler und Studenten waren sogar bereit, ohne Entgelt zu arbeiten, um mit anderen jungen Leuten in der Natur zu arbeiten und während der Ausgangssperre nicht in ihren Stadtwohnungen eingesperrt zu sein. „Einer der Volontäre, Achilles aus Griechenland, suchte einfach einen Platz zum Schlafen. Ich nahm ihn auf, und plötzlich entdeckten wir, dass er ein Chef ist. Seit damals bindet er sich jeden Tag um die Mittagszeit seine Schürze um und kocht für uns alle das Mittagessen“, erzählt Avi schmunzelnd.

© Daniela Segenreich-Horsky

Nach einigen Wochen wechselten die Teegläser von Glas auf Plastik, und plötzlich gab es zusätzlich zum vom Gesundheitsministerium verordneten Fiebermessen und den Plastikhandschuhen, die am Eingang an die Kunden ausgeteilt wurden, auch eine immer länger werdende Warteschlange vor dem Zelt. Schließlich durften laut der neuen Coronaregeln nur mehr einzelne Einkäufer gleichzeitig eingelassen werden. Doch Avi und Jehuda waren vorbereitet, zusätzliche Arbeitskräfte wurden aufgenommen, und wer auf Onlinelieferungen ausweichen wollte, bekam seine Ware innerhalb von 24 Stunden ins Haus geliefert.

»Corona hat unseren Betrieb sehr angekurbelt. Werbung brauchen wir im Moment keine zu machen.«
Avi Cohen, Jehudas Garten

© Daniela Segenreich-Horsky

Davon konnte man bei den herkömmlichen Geschäften, bei denen es wochenlange Engpässe bei den Belieferungen gab, nur träumen. Dort, wo Ausflügler noch vor einem Jahr gratis Tomaten und Erdbeeren pflückten, blüht jetzt das Geschäft, und die beiden Gemüsebauern beschäftigen mittlerweile 14 Angestellte und vier Volontäre. „Wir hatten einige Zeit hunderte Lieferungen pro Woche. Inzwischen sind es wieder weniger geworden. Aber viele Leute haben uns in dieser Zeit entdeckt und kommen sogar aus Städten aus dem Zentrum, wie Ramat Gan, Giv’atajim und Petach Tikwa, zu uns. Corona hat unseren Betrieb sehr angekurbelt. Werbung brauchen wir im Moment keine zu machen.“

© Daniela Segenreich-Horsky

2. Rettungsaktionen bei Herstellern und Fabrikanten
In der industriellen Produktion war Glück alleine nicht ausreichend. Hier waren schnelles Reagieren und kreative Lösungen angesagt, um nicht unterzugehen. Nissim Omer ist einer jener Unternehmer, die es noch im letzten Moment vor dem Zusperren schafften, sich neu zu erfinden und damit die seit 27 Jahren bestehende Fabrik und seine 30 Angestellten zu retten. Plasti-Chen produzierte ursprünglich Plastikbehälter für die chemische Industrie und hätte die Coronakrise nicht überlebt, wenn Omer nicht umgedacht hätte. Er stellte in Windeseile die Produktion um und begann, Plastiktrennwände zur Unterstützung der sozialen Distanz in Büros und Banken zu produzieren. Der Stolz über seine Rettungsaktion ist ihm ins Gesicht geschrieben: „Wir hatten gleich am ersten Tag hunderte Bestellungen, und bis heute haben wir viele Tausende davon verkauft.“
Die Liste der Unternehmen, die es schafften, sich in der Coronakrise neu zu erfinden, ist enden wollend, aber wenigstens vorhanden. So waren auch die von der Firma Afsilor hergestellten Bestandteile für die Rettungswesten in Flugzeugen mit dem Lockdown zu nichts mehr zu gebrauchen. Aber Direktor Ronen Badichi reagierte schnell und stellte in nur wenigen Wochen auf Batterien für Beatmungsgeräte um. Und auch Ronen Waknik von Avi-Plast reüssierte mit der Produktion von Plastikkleidung zum Schutz vor dem Virus statt mit den jahrelang hergestellten Plastiksäcken für die Nahrungsmittelindustrie. All diese Produzenten stellten sich auf die neuen Bedürfnisse der Coronazeit ein. Sie hoffen, auch weiterhin gut damit zu fahren.

3. Design und neue Erfindungen: das Ellbogentaschentuch & die Trinkgeldablage
An der Faculty of Design des Holon Institute of Technology (HIT) wurden nicht nur die Kurse auf Zoom verlegt, sondern teilweise auch die Aufgabenstellung für Projekte der Studenten geändert. Die Designs sollten Ideen und Patente für aktuelle Problemstellungen anbieten. Dabei beschränkten sich die angehenden Designer nicht nur auf die Gestaltung von Gesichtsmasken. Es ging großteils auch um das Verhindern von physischem Kontakt in verschiedenen Situationen. Aber es gab auch andere Themen, wie zum Beispiel den „Niessocken“, eine Art Ellbogentaschentuch, das aus einem Socken geschneidert wurde, oder die selbstgebastelten Behälter für das Hinterlassen von Trinkgeldern an Zustellboten. Auch ein Patent gegen das Anlaufen der Augengläser bei Maskenträgern wurde versucht. „In der ersten Phase wurden die Studenten dazu angehalten, sich in ihrer unmittelbaren Umgebung umzusehen und rasche, praktische Lösungen für coronabedingte Probleme bei Mitbewohnern oder Familie zu erfinden, die sie auch zu Hause mit einfachen Mitteln kreieren konnten“, erklärt Professor Gad Charny vom HIT.
Die angehenden Designer präsentierten interessante Ideen, bei denen auch neue Lösungen für die Bereiche Hygiene und Sicherheit von Kindern im Haushalt thematisiert wurden. Manche der Erfindungen sollen inzwischen bereits in Produktion gehen und damit einem weiteren Radius von Konsumenten zugänglich gemacht werden. Damit bekommen wohl auch einige weitere Fabriken wieder mehr Arbeit.

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