Cremen, Glamour und Konzerne

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Zahlreiche weltbekannte Düfte, Make-ups und Kosmetika gehen auf die Erfindungen armer jüdischer Einwanderer in die USA zurück. Ganz ähnlich wie in der IT-Industrie, deren Unternehmensgründer in Garagen in Kalifornien begonnen hatten, lassen sich die Anfänge in der Schönheitsbranche in einfachste Labors in Manhattan oder Queens zurückverfolgen. Von Reinhard Engel

Die Verletzung und Demütigung müssen wirklich tief gesessen haben. Noch mit fast 80 Jahren erinnerte sich die Gründerin des gleichnamigen US-Kosmetik-Konzerns Estée Lauder daran: Sie hatte als junge Unternehmerin in einem New Yorker Damenmodensalon ihre Cremen und Parfüms präsentiert. Dabei war ihr eine besonders elegante Dame aufgefallen, und sie hatte diese danach gefragt, wo sie denn ihre Bluse gekauft hatte. Die Dame bürstete sie brüsk ab: „Wozu müssen Sie das wissen? Sie könnten sich so etwas ohnehin nie leisten.“

Estée Lauder schwor sich, dass sie in Zukunft nie wieder jemand so vorführen dürfe. Eines Tages würde sie so viel Geld verdienen, dass sie sich alles kaufen könnte, was sie wollte. Und Lauder setzte ihren Wunsch in die Tat um. Die aktuellen Zahlen des weltweit agierenden börsennotierten Konzerns, den noch immer ihre Familie kontrolliert, lesen sich wie folgt: Im Jahr 2011 setzte die gesamte Estée Lauder Group 8,8 Milliarden Dollar um und erzielte einen Unternehmensgewinn von 701 Millionen Dollar. Es ist ein Reich, in dem die Sonne nicht untergeht. In 150 Ländern verkauft das Unternehmen Düfte und Hautpflegeprodukte unter zahlreichen Namen wie Aramis und Clinique, Lab Series, Donna Karan, Aveda, Missoni, Michael Kors oder Ermenegildo Zegna. In 13 eigenen Fabriken in mehreren Ländern werden die Kosmetika erzeugt, und von den 32.000 Angestellten und Arbeitern rund um den Globus beschäftigen sich 550 allein mit Forschung und Produktentwicklung.

Estée Lauder wurde zwar bereits in den USA geboren, aber ihre Wurzeln gehen auf das jüdische Mittelosteuropa zurück. Ihr jüngerer Sohn Ronald war nach seinen Jahren als US-Botschafter in Wien zwischen Prag, Berlin und Bukarest sowohl als Investor in Privatfernsehstationen als auch als großzügiger Stifter jüdischer Schulen aktiv. Und er mühte sich stets damit ab, das für Nicht-Ungarn beinahe unaussprechliche Sátoraljaújhely über die Lippen zu bringen. Es ist eine Kleinstadt in Ostungarn, hinter dem Tokajer Weinbaugebiet, an der Grenze zur heutigen Slowakei. Von dort stammt die mütterliche Linie Estées ab.

Mit weiblicher Haut

Doch Lauder war nicht die einzige jüdische Firmengründerin, die sich in den USA mit weiblicher Haut und mit Wohlgerüchen befasste. Die Reihe von erfolgreichen Einwanderern aus den einstigen Reichen der Habsburger und Romanoffs ist lang: Dazu gehören etwa auch Helena Rubinstein, Max Factor, Joseph und Charles Revson (Revlon), Ernö László und Aaron Morse (Kiehl’s). Ihnen gemeinsam ist, dass sie entweder noch in Europa oder schon in den USA begannen, in primitiven Labors zu experimentieren, und erst später die Feinheiten des Verkaufs dazulernten. Heute sind ihre Namen zum Teil weltweit bekannt, auch wenn manche ihrer Unternehmen längst zu den Portfolios globaler Riesen wie L’Oréal oder Procter & Gamble gehören.

Zurück zu Lauder. Josephine Esther Mentzer wurde 1908 im New Yorker Stadtteil Queens geboren. Ihre Eltern waren aus der Donaumonarchie eingewandert, ihr Vater war eigentlich gelernter Schneider, führte aber ein Hartwarengeschäft. Von ihm könnte sie wohl das kaufmännische Talent geerbt haben, doch der entscheidende Impuls für ihre spätere Karriere kam von einem Onkel, John Shotz, der eine Drogerie besaß und selbst Cremen zusammenrührte. Estée, deren französisch klingender Vorname sich auf ihren ungarischen Spitznamen Esti zurückführt, begann in den 1930er-Jahren ebenfalls, Kosmetika auf einfachste Weise herzustellen. Doch jenseits ihrer praktischen Kenntnisse sollte sie sich als Marketing-Genie herausstellen.

Denn Estée Lauder verkaufte nicht lange auf Hausfrauenpartys, in Drogerien der Umgebung und in Mittelklassehotels. Sie wollte ihre Produkte in den elegantesten Einkaufsmeilen des Landes sehen, und es gelang ihr, zuerst Saks Fifth Avenue und bald darauf Neiman Marcus in Dallas, Texas, als Verkaufsstellen zu gewinnen. Von da an expandierte sie national und international weiter. Lauder, der Familien- und Produktname leitete sich von ihrem Ehemann Joseph Lauter ab, begann sehr früh, ihren Kundinnen Mini-Proben weiterer Produkte zu schenken.Zunächst erdachte sie sich ein stringentes Konzept der Mundpropaganda. Und später, als sie es sich leisten konnte, setzte sie auf bekannte Gesichter als Repräsentantinnen ihrer Marken, ob Supermodels wie Paulina Porizkova oder Schauspielerinnen wie Elizabeth Hurley.

Kiehl’s homöopathische Apotheke

Nicht weit von Estées Anfängen in Queens hatte es im New Yorker Village schon ab 1851 eine homöopathische Apotheke gegeben, gegründet von John Kiehl. Doch in Schwung kam das Geschäft erst mit der Familie eines ehemaligen Lehrlings Kiehls, Irving Morse, der nach seinem Militärdienst im Ersten Weltkrieg Pharmakologie an der Columbia Universität studiert hatte und im Jahr 1921 die Apotheke übernahm. Morses Vater hatte seinen Namen amerikanisiert, er hieß Moskovitz und war aus Russland eingewandert.

Kiehl's geht auf eine der ersten homöopathischen Apotheken zurück. Den großen Aufstieg verdankte die Firma einem ihrer Lehrlinge.

Irvings Sohn, Aaron Morse, hatte ebenfalls dem Land als Soldat gedient – er war Pilot im Zweiten Weltkrieg und wie sein Vater studierter Pharmazeut. Er wandte sich eher der Produktentwicklung zu denn dem simplen Verkauf von Heilmitteln in der Apotheke. Zu seinen ersten Erfolgen gehörte etwa eine Anti-Akne-Tinktur: Blue Adstringent. Weitere sollten folgen, stets an der Grenze zwischen Medikamenten und Kosmetika angesiedelt. Auch für „Kiehl’s“ spielte dann die texanische Kaufhauskette Neiman Marcus eine entscheidende Rolle: An deren schickem Standort in Beverly Hills wurden Kiehl’s-Produkte erstmals an der Westküste angeboten, der nächste Schritt zur gehobenen Kundschaft erfolgte mit Barney’s in Manhattan. Kiehl’s wuchs weiter und entwickelte ein Bestellsystem für Privatkunden via Post. Aber im Jahr 2000 entschied die Familie, dass sie selbst das Potenzial nicht würde ausschöpfen können. Schon mehrere Jahre war das Unternehmen von einigen Großen der Branche heftig umworben worden, schließlich machte der französische Kosmetikkonzern L’Oréal das Rennen – und internationalisiert seither die Marke weiter.

Von Krakau über Australien und Paris in die USA

Helena Rubinstein wurde als Chaja Rubinstein 1870 im polnischen Krakau in eine jüdische Kaufmannsfamilie geboren. Sie begann zwar ein Medizinstudium zuhause und schloss ein paar Semester in Zürich an, musste aber abbrechen und wanderte nach Australien aus. 1902 eröffnete sie in Melbourne einen Schönheitssalon. Zuerst importierte sie Cremen aus Polen, dann kehrte sie nach Europa zurück und etablierte erst in London und dann in Paris wiederum Schönheitssalons.

Kaum eine der großen Pionier-Firmen der Kosmetik-Welt ist heute noch in der Hand ihrer Gründungsfamilien.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs wanderte sie mit Mann und Kindern in die USA aus. Dort entwickelte sie eine eigene Hautpflegelinie – schon unter dem Namen Helena Rubinstein. Und trotz Wirtschaftskrise und Krieg gelang es ihr, in wenigen Jahrzehnten ein eigenes Imperium aufzubauen. Als sie 1965 starb, hatte dieses beinahe 30.000 Beschäftigte in 14 Ländern. Ihre Erben blieben der Branche aber nicht treu – seit 1988 gehört die Marke Helena Rubinstein zum französischen L’Oreal-Konzern.

Auch Max Factor & Company geht auf einen polnischen Immigranten zurück: Maksymilian Faktorowicz. Doch anders als die meisten Osteuropäer blieb er nicht an der Ostküste hängen, sondern zog 1904 weiter nach Kalifornien. In Los Angeles arbeitete er für eine neu entstehende Branche: das Kino. Factor erzeugte Perücken für Schauspieler und vertrieb Theaterschminke. Als sich diese unter dem heißen Scheinwerferlicht als nicht praktikabel erwies, begann er zu experimentieren und entwickelte selbst neue, dünnere, feinere Schminken. Seine „flexible Fettfarbe“, die er in zahlreichen Schattierungen anbot, wurde bald von zahlreichen Größen des Stummfilms, später auch des Tonfilms verwendet.

Angeblich führt sich sogar die heutige universelle Bezeichnung „Make up“ auf Factor zurück, sie leitet sich von „herrichten, schminken“ – „to make up“ – her.

Während Max Factor sich noch auf Hollywood beschränkte, erweiterten seine Kinder das Unternehmen und wandten sich an breitere Kundenschichten. 1960 wagte man einen Börsegang, dann folgte eine Reihe von Übernahmen. Zeitweise gehörte Max Factor zu Revlon, seit 1991 ist es eine Marke des Mischkonzerns Procter & Gamble.

Apropos Revlon: Auch die Gründer dieses Unternehmens haben osteuropäische Wurzeln. Samuel Revson stammt aus Litauen, damals Russland, seine Frau Jeanette Weiss Revson aus einer deutschsprachigen jüdischen Familie im Habsburgerreich. Ihre Söhne Charles und Joseph Revson, bereits in den USA geboren, sollten einen der bedeutendsten Kosmetikkonzerne des Landes gründen. Und auch hier war am Anfang eine Enttäuschung gestanden. Charles, Jahrgang 1906, hatte Anfang der 30er-Jahre für einen Kosmetikproduzenten, Elka, gearbeitet. Als man ihn bei der Bestellung für den Posten des landesweiten Vertriebsleiters überging, beschloss er, sich selbstständig zu machen.

Gemeinsam mit seinem Bruder und dem Chemiker Charles Lachmann – von ihm stammt das L in Revlon – gründeten sie ein Unternehmen, das sich zunächst auf Nagellack spezialisierte. Und dieses sollte äußerst erfolgreich werden. Schon zu Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte es in den USA zu den Top fünf seiner Branche, 1955 ging Revlon an die Börse.

Belgische Prinzessin

Ernö László, studierter Dermatologe, wurde noch in seiner Heimatstadt Budapest eine Berühmtheit, unter anderem weil er eine belgische Prinzessin mit Hautproblemen behandelte. 1939 emigrierte er in die USA und gründete in New York das Erno Laszlo Institute für Schönheitsbehandlungen. Das Institut wurde schnell zum Insider-Tipp, bereits 1940 wollte Helena Rubinstein es kaufen, aber Laszlo weigerte sich. Er wurde der Kosmetiker der Stars in New York – zu seinen Kundinnen zählten Greta Garbo und Grace Kelly, Audrey Hepburn und Jacqueline Kennedy Onassis. Laszlo starb 1973. Das Unternehmen wechselte nach seinem Tod mehrmals den Besitzer – es gehörte erst zu Elizabeth Arden, dann verschiedenen Finanzinvestoren. 2011 wurde es vom englischen Unternehmer Charles Denton gekauft.

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