Damit ihr Lied nie verklingt

Amnon Weinstein sammelte und restaurierte Musikinstrumente von Schoah-Opfern und Überlebenden. Jetzt verleiht er diese „Violinen der Hoffnung“ an Konzertmusiker und sucht nach weiteren Schätzen.

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Amnon Weinstein hat 66 Violinen ehemaliger KZ-Häftlinge gesammelt, restauriert und die Geschichte ihrer Besitzer erforscht. © VIVI VISKIN privat
James A. Grymes:
Die Geigen des
Amnon Weinstein.
Open House Verlag, 304 S., € 25,70

Obwohl die Geschichte mit Deutschland und Israel zu tun hat, kam der entscheidende Hinweis aus Mexico City. Vivi Viskin, engagiertes Mitglied der dortigen jüdischen Gemeinde, berichtete über ein klassisches Konzert, das sie mit einigen Freunden organisiert hatte. „Wir haben Avshalom Weinstein, den israelischen Geigenbauer, mit acht Violinen für ein unglaubliches Konzert mit den Künstlern Shlomo Mintz, Cihat Askin and Yoel Levi hierhergebracht. Sie musizierten gemeinsam mit 200 Kindern, die entweder Instrumente spielten oder im Chor sangen.“ Doch warum betont Viskin die acht Geigen so besonders? „Das sind Geigen seines Vaters Amnon Weinstein, der in seiner Werkstatt in Tel Aviv bereits fast 70 Instrumente von Holocaust-Opfern aufbewahrt und sie als Boten der Hoffnung zu Konzerten auf der ganzen Welt schickt“, erzählt Viskin, die infolge dieses Ereignisses mit ihren Freunden aktiv geworden ist.

»[…] fast 70 Instrumente von Holocaust-Opfern aufbewahrt und sie als Boten der Hoffnung zu Konzerten auf der ganzen Welt geschickt.«
Vivi Viskin

Der Verein Instrumente der Hoffnung (Instrumentos de la Esperanza) hat es sich zur Aufgabe gemacht, Musikinstrumente zu suchen und anzukaufen, die europäischen Juden gehörten, die in der Schoah ermordet wurden. „Derzeit besitzen wir zum Beispiel ein wunderschönes Cello, das der jüdisch-holländische Geigenbauer Jacques Hakkert gebaut hat. Er ist in Auschwitz ermordet worden“, berichtet Viskin. Ein Flüchtling, der 1948 nach Mexiko kam, schenkte ihnen eine Klarinette; ein Kantor in Mexiko leiht dem Verein ein Akkordeon, auf dem sein Großvater in Europa gespielt hatte.

David Yoel Katz ist Schoah­-Überlebender und spielt hier auf seiner Klarinette aus der Zeit vor dem Krieg. © VIVI VISKIN privat

Familie der Geigenbauer. Avshalom war in Mexiko der Emissär seines Vaters, Amnon Weinstein, der seinerseits den Beruf des Geigenbauers, die Werkstatt und die Sammlung von seinem Vater Mosche geerbt hatte. Amnon Weinstein ist 79 Jahre alt und stammt aus einer Familie litauischer Juden, die rechtzeitig vor den Nazis fliehen konnten. Er wird nicht müde, die Geschichte der Violinen der Hoffnung (Violins of Hope) immer wieder zu erzählen. Sein Vater Mosche Weinstein war 1938 einer der ersten Geigenbauer in Tel Aviv. Dort war erst kurz zuvor, im Dezember 1936, das Palestine (spätere Israel) Philharmonic Orchestra gegründet worden. Der polnische Geiger Bronislaw Hubermann hatte 75 jüdische Musiker überzeugt, mit ihm zusammen nach Palästina auszuwandern, um der Verfolgung durch die Nazis zu entgehen. Als diese Musiker vom Ausmaß der Nazigräuel erfuhren, kamen viele mit ihren in Deutschland gebauten oder gekauften Violinen zu Amnons Vater: „Nehmen Sie mein Instrument, oder ich zerschlag’s!“ Mosche Weinstein ertrug diesen Gedanken nicht, kaufte alle und verwahrte sie in einem Schrank seiner Werkstatt. Dort lagen sie fast ein halbes Jahrhundert – bis nach der Wende 1989 ein junger Bogenbauer aus Dresden bei Amnon lernte, viele Fragen stellte und ihn überzeugte, über die Geschichte der Geigen öffentlich zu sprechen.

Das Cello des jüdisch-holländischen Geigenbauers
Jacques Hakkert – hier gespielt vom israelischen Cellisten Zvi Plesser. © VIVI VISKIN privat

Bereits nach dem ersten Vortrag in Deutschland meldeten sich viele Menschen mit weiteren Instrumenten und dazugehörigen Geschichten. Der Bann war gebrochen, und Amnon Weinstein begann, zuerst die Geigen zu reparieren und nach ausgiebigen Recherchen im Internet zu dokumentieren. Einige sind echte Schmuckstücke, auf der Rückseite etwa mit einem Davidstern aus Perlmutt und anderen Einlegearbeiten verziert. „Jedes dieser Instrumente habe einen eigenen Ton, aus ihnen schlüpfen Stimmen, Weinen, Lachen und Gebete“, erzählt Amnon Weinstein, der jede Geige einem historischen Ereignis oder einer ausgelöschten Person widmet. Da ist jene Violine, die sein Besitzer auf dem Weg vom französischen Lager Drancy nach Auschwitz aus dem Zugfenster einem überraschten Bahnbediensteten hinausreichte und sagte: „Dort, wo ich hinfahre, kann ich nichts mehr damit anfangen.“ Über die „Drancy-Geige“ weiß man sonst nichts. Anders steht es um das Instrument, auf dem Alma Rosé spielte, die Nichte Gustav Mahlers und Tochter des berühmten Wiener Geigers Arnold Rosé, als sie das Mädchenorchester in Auschwitz leitete. Und es gibt auch die Geige des ukrainischen Partisanenjungen Motele Schlein.

Als Olga Novak und ihr Mann von den Nationalsozialisten ermordet wurden, fiel ihr Piano in die Hände eines Nazioffiziers. Heute ist es im Besitz ihrer Kinder. © VIVI VISKIN privat

Während er die Violine unter sein Kinn klemmt, zittert Solist Guy Braunstein mitten im Konzertsaal von Tel Aviv. „Ich habe tausende Konzerte gegeben, aber nie war ich so aufgewühlt wie in dem Moment, als ich die Geige aus Auschwitz in meiner Hand hielt“, erzählt der langjährige Konzertmeister der Berliner Philharmoniker. Das Instrument gehörte einem der Orchestermusiker, die täglich im KZ Auschwitz spielen mussten. Nicht nur, wenn die Lagerinsassen zur Zwangsarbeit aus dem Tor marschierten, sondern auch, als die Toten gebracht wurden.“

In der Zwischenzeit reisen einzelne Instrumente zu Konzerten in ganz Europa, in die USA und neuerdings auch nach Mexiko. Zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 2015 spielten die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Sir Simon Rattle auf sechzehn dieser Instrumente. Amnon Weinstein ist in Deutschland für sein Engagement schon mehrfach ausgezeichnet worden, denn „er machte alle Anstrengungen, damit das Lied dieser Geigen nie verklingt.“

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