Israelis sind bekannt für ihre Chuzpe. Sie können aber auch anders. Im Alltag sind sie zuvorkommend und freundlich. Oder war ich nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort?
Von Iris Lanchiano
An der Feinkosttheke im Supermarkt spielte sich folgende Szene ab: Eine ältere Dame und ihr kleiner Hund standen vor der Vitrine. „Bitteschön, die Dame, haben Sie sich schon entschieden? Darf ich Sie heute mit meinem besten Würstchen verwöhnen?“ Obwohl es wie im Englischen auch im Hebräischen keine Höflichkeitsform gibt, verrieten Ton und Intonation, dass es sich hier um einen Gentleman der alten Schule handelte. Jemand, der weiß, was Service bedeutet. „Hier etwas ganz Besonderes. Nur das Beste vom Besten für Sie.“
Es war bereits lange nach Ladenschluss, als mir einfiel, dass ich schon wieder auf das Brot vergessen hatte. Also machte ich mich noch schnell auf die Suche … Ladenschluss in Tel Aviv ist relativ. Die Non-Stop-City verfügt nämlich über eine Reihe von 24-Stunden-Supermarktketten. Doch Ecke Weizmann/Arlozerov hatte mich eine Bäckerei angelacht, die mich an Anker, Ströck und Co. in Wien erinnerte.
Zwei junge Männer waren gerade damit beschäftigt, das Geschäft für die Nachtruhe vorzubereiten. Der an der Kassa beobachtete mich und schüttelte den Kopf, wohl als Zeichen dafür, dass sie bereits geschlossen hatten. Trotzdem blieb ich stehen, faltete die Hände zusammen und schaute ihn mit großen Augen an. Er kam mir entgegen und öffnete die Türe. „Was brauchst du denn? Nur Brot?“ Ich nickte. Er drehte sich zur Wand, nahm einen Brotlaib und steckte ihn mir entgegen. „Hier. Ich kann es dir leider nicht mehr verpacken, da ich schon alles weggeräumt habe.“ – „Was bekommst du dafür?“ – „Ach, die Kasse habe ich auch schon geschlossen. Lass es dir einfach schmecken.“
Doch nicht nur, wenn es ums Essen geht, habe ich die Erfahrung gemacht, dass Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft hier doch mehr zum Alltag gehören, als vermutet wird.