„Israel ist meine Inspiration. Auch wenn es jetzt gerade nicht einfach ist hier: Ich mache weiter.“ Mirit Rodrig liebt ihr Land und seine Traditionen, „die Kontraste und Perfektionen, die gemischten Kulturen und die scharfen Kanten, die Farben und Landschaften“. Die bunten Formen, die ihre polnische Großmutter auf ihrem kleinen Balkon im einstigen Tel Aviv auf Keramik malte, und die Kräuter und Pflanzen aus dem wilden Garten ihrer noch in Palästina oder „Eretz Israel“ geborenen Großmutter Miriam, die im Norden des Landes, an der Küste neben Akko lebte, haben sie ebenso beeinflusst wie die alten Filme von Audrey Hepburn, die sie in ihrer Kindheit manchmal zu sehen bekam. Die Knöpfe, verblichene Spitze und alten Drucke, die sie schon damals sammelte – all das spiegelt sie in ihren Designs wider. Jede Saison hat ein Motto, dabei lässt sich die Modemacherin von der Natur, von einem Kunstwerk oder, wie kürzlich, von den Handarbeiten der Frauen am Markt in Budapest inspirieren. So ließ sie die Stickereien, die sie dort ergatterte, von ihrem Schneidereiteam in ihrem Atelier in Kiriat Motzkin, nördlich von Haifa, in die schicken Tops und Kleider der neuen Kollektion verarbeiten.
Handarbeit spielt eine wichtige Rolle in der Arbeit von Rodrig. Die Stofftaschen, die sie im Shop des Israel Museums verkauft, werden, so wie auch viele Teile der neuen Frühlingskollektion, nach ihren Skizzen von Drusinnen aus dem Norden Israels bestickt. Im letzten Jahr nahm die Designerin dann Natascha, die aus der Ukraine geflüchtet war, in ihr Team auf, in dem bereits drei Ukrainerinnen emsig stickten. Durch die Stickereien wird jedes Stück ihrer „Hand Made“-Linie einzigartig. Dabei sind die Schnitte und Designs zeitlos und individuell und sollen die Trägerinnen viele Jahre lang begleiten. Ein Konzept, das in der ersten Show ihres Labels MR bei der Fashion Week im Pariser Ritz mit viel Applaus begrüßt wurde. Das war 2019, kurz bevor sie ihre Boutique MR auf dem Rothschild Boulevard in Tel Aviv lancierte. Am Tag nach der Eröffnung traten die ersten Corona-Bestimmungen in Kraft, und sie musste wieder zusperren.
„Wir werden nicht einfach
aufstehen und gehen.
Man muss daran glauben,
dass es wieder besser wird.“
Mirit Rodrig
Doch dank ihrer Resilienz und Kreativität überlebte ihr Unternehmen diese schwierige Zeit, und Rodrig konnte im letzten Jahr sogar eine zweite Filiale in einem neuen Viertel von Herzlia eröffnen. Unterstützt hat sie dabei die Zusammenarbeit mit ihrem einstigen Arbeitgeber Jair Razili, dem Gründer der gleichnamigen Modekette, bei der sie acht Jahre lang als Chefdesignerin fungierte. In der zweiten, geräumigen Boutique zeigt sie auch ihre Prêt-à-porter-Kollektionen, doch ihre Handarbeiten und ihr Stil sind allgegenwärtig und finden sich auch in der Einrichtung wieder.
„Hier verkörpert jedes Bild, jedes Möbelstück, jede Dekoration auf dem Saum eines Vorhangs oder auf einem Kleid einen Teil meiner Persönlichkeit und meiner Welt“, erklärt die Absolventin der Shenkar-Modeschule, die auch auf Bezalel, der Kunstakademie in Jerusalem, studiert hat und Praktika in Paris und London absolvierte. Ihr besonderer Stolz ist der offene, antike Kleiderkasten, der neben der Theke ihres neuen Geschäfts thront und verschiedenste Einzelstücke und Handarbeiten beherbergt. Er stammt noch aus ihrem ersten Lokal, Closet, im Süden von Tel Aviv, in dem viele junge Designer ihre ersten Gehversuche auf dem Modemarkt machten und wo auch Rodrig ihre Erfahrungen sammelte. „Closet war für mich wie ein offener Garderobekasten, wie ein Laboratorium, in dem (die Realität von) draußen und meine inneren Bilder zusammenfließen. Vieles habe ich an die jeweilige Trägerin angepasst – ich mag das Persönliche, den Kontakt mit den Kundinnen.“ Die Avantgarde-Boutique wurde im prestigeträchtig „Fashion Work Book“ WeAr als eines der Lokale mit dem besten Interior Design angeführt. Leider musste sie das Geschäft später räumen, weil das Gebäude in dem alten Viertel abgerissen wurde.
Im geräumigen Shop in Herzlia plant Rodrig jetzt auch Vorträge und Lesungen für ihre Kundinnen: „Es soll mehr sein als nur eine Boutique. Mir ist das Zusammentreffen wichtig, der Kontakt mit den Frauen, dass sie gerne vorbeikommen und sich hier wohlfühlen.“ Und auch die Zusammenarbeit mit Museen will sie weiter ausbauen und dort ihre handbestickten Taschen, Schals und andere Accessoires ausstellen. – Viele Pläne für die Zukunft, obwohl die Lage in Israel gerade nicht einfach ist. Wie geht sie damit um, wo sie doch in gewisser Weise Israel in ihren Designs repräsentiert? Für die Endvierzigerin ist der Weg klar: „Ich war hier in der Armee, meine Kinder kommen jetzt in der Armee. Wir werden nicht einfach aufstehen und gehen. Man muss daran glauben, dass es wieder besser wird.“ Ihr Logo, die Distel mit dem Fingerhut, scheint weise gewählt: Der Fingerhut symbolisiert die Handarbeit und garantiert den Schutz der Finger vor Verletzungen durch die spitzen Nadeln. Und darüber sprießt keine zarte, schöne Blume, sondern die stachelige, widerstandsfähige Distel. Sie steht für das Land Israel. Ein Land, in dem nicht immer alles leicht geht.