Das Mädchen IN SCHWARZ

Lihi Lapid, Israels scheidende First-Lady, hat bereits viele Wandlungen durchgemacht: vom jungen Mädchen aus der Provinz zur Journalistin und Fotografin aus der Schenkin-Straße, dem Treffpunkt der Tel Aviver Bohème; von der Mutter und Hausfrau zur Autorin, Feministin und Advokatin für Menschen mit Behinderungen. Dieses Jahr kam für einige Zeit als neue Rolle die der First Lady dazu. Eine typische First Lady war Lihi Lapid nicht.

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© OLIVER WEIKEN / EPA / picturedesk.com

Sie hatte immer schon viel zu sagen, sei es in Worten oder in Bildern. Und sie sagt es auch. So soll sie einmal einen ihrer Interviewer zurechtgewiesen haben: „Sie haben es geschafft, den Namen meines Mannes in den letzten zwei Minuten fünfmal zu erwähnen. Wollen sie über Yair sprechen oder über mein Buch?“ Der Journalist entschuldigte sich und hielt sich für den Rest des Gesprächs an das Thema. Eine israelische Tageszeitung betitelte Lihi Lapid im Frühling dieses Jahres als „Motorrad-Königin auf der Schnellspur zum Titel der First-Lady“. Und ihr Mann, Noch-Premierminister Yair Lapid, soll sie, als er sich noch damit befasste, Lieder zu texten, im 1989 kreierten Song Living on Sheinkin als schwarz gekleidetes HipsterGirl verewigt haben. Die sportlich-elegante Mittfünfzigerin mit den tiefblauen Augen zeigt Präsenz. Sie ist gleichzeitig nobel und herzlich, und sie hat Humor. In ihrem ersten, teilweise autobiografischen Buch A Woman of Valor (Eine tapfere Frau, 2008) beschreibt sie mit erfrischender Offenheit ihre – anfangs vergeblichen – Bemühungen, Mutterschaft und Karriere unter einen Hut zu bringen. Nach ihrer Rückkehr von einer Fotoreportage in Ruanda entdeckte sie, dass sie (nach zwei Fehlgeburten) wieder ein Baby erwartete. Der Arzt verordnete ihr strikte Bettruhe, und so verwandelte sie sich von einer erfolgreichen Fotografin mit eigenem Studio, die auf ihrem Motorrad von Termin zu Termin gezischt war, in „ein Walross, um 50 Pfund schwerer und mit 50 Doppelkinnen“, das auf dem Sofa vor dem Fernseher Seifenopern konsumierte. Und das alles nur, um dann nach der Geburt ihres ersten Kindes zu entdecken, dass „niemand eine Fotojournalistin sucht, die alle vier Stunden stillt“.

Ein starkes „first couple“: Lihi und Yair Lapid. ©JACK GUEZ / AFP / picturedesk.com

Sie verkaufte das Motorrad und verschenkte ihre Kamera. Und ihr Credo, dass man auch als Frau alles erreichen kann, wenn man nur fest genug daran glaubt und daran arbeitet, schien zu zerbrechen. Ehrlich, manchmal voll Schmerz, aber immer wieder auch mit viel Humor erzählt sie von ihrer Verwandlung zur Mutter und Hausfrau, davon, wie sie schließlich entdeckte, dass ihr zweites Kind schwer autistisch ist und wie ihre Ehe beinahe in Brüche ging. Sie beschreibt, wie sie ihre Stimme als Autorin findet und sich in ihren wenigen freien Minuten zuhause in einer kleinen Arbeitsecke neben der Waschmaschine installiert, um zu schreiben. In den autobiografischen Teilen dieses ersten Buches geht es vor allem um die Veränderungen, die die Mutterschaft in ihr Leben brachte, um die unerreichbaren Ansprüche von Perfektion in dieser Rolle und darum, ob und wie man Beruf und Muttersein vereinen kann. Zwischen den Kapiteln eingeflochten sind die Briefe der Leserinnen ihrer wöchentlichen Zeitungskolumne, die ihre eigenen Erfahrungen zu dem Thema teilen.

 

„Ich habe von Anfang an darum gebeten,
dass man
mir nur das sagt,
was ich unbedingt wissen muss.“
Lihi Lapid

 

Kompromisse als Stärke. Als Yair Lapid vor zehn Jahren in die Politik ging, musste sie die Kolumne, die sie über ein Jahrzehnt gestaltet hatte, aufgeben. Das schmerzte, aber ihre Leserinnen folgten ihr in die sozialen Medien und zu ihren Vorträgen und Seminaren. Das Erlebnis der Mutterschaft half ihr auch, ihren Feminismus zu präzisieren. Sie strebt nicht, wie Generationen von Feministinnen, die Gleichheit mit den Männern an, sondern kämpft für die Anerkennung der Unterschiede zwischen Mann und Frau. Dabei plädiert sie dafür, dass Frauen beides bewältigen können: Mutterschaft UND Karriere. Das Rezept dafür sei, wie sie in ihren Seminaren, Workshops und TED-Gesprächen immer wieder betont, der Verzicht der Frauen auf Perfektion und die Adoption von Kompromissen: „Meine Freundschaft mit Kompromissen hat begonnen, als ich Mutter wurde“, erzählt sie in einem ihrer Vorträge: „Ich mache Kompromisse aus einer Position der Stärke. Ich habe nur 50 Prozent meines Traums erfüllt, aber das ist eine Menge. Ich lade Sie alle ein, Kompromisse zu schließen und dabei viele Glücksmomente zu genießen.“

Berührend und offen beschreibt sie auch immer wieder ihre Erlebnisse und Gefühle als Mutter eines Kindes mit speziellen Bedürfnissen. Sie traute sich schon früh, dieses einstige Tabuthema an die Öffentlichkeit zu tragen, und avancierte zur Fürsprecherin aller israelischen Kinder mit Behinderungen. Dabei kämpft sie für die Integration dieser Kinder in alle Bereiche der Gesellschaft, sei es Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz und letztens sogar die Armee. Vor einigen Jahren gelang es ihr auch, für Jugendliche mit Behinderungen Arbeitsplätze in Kibbuzim, den israelischen Landwirtschaftskommunen, zu schaffen. Heute ist Lihi Lapid Präsidentin von Shekel, einer Organisation zur Integration dieser Menschen in alle Bereiche der Gesellschaft.

Kürzlich, beinahe zeitgleich mit ihrem Umzug in die Residenz des Premierministers in Jerusalem, kaufte ein großer Verlag die Rechte für die englische Übersetzung ihres letzten Buches Strangers (Fremde) – ein weiterer Erfolg in ihrem Karriere-Puzzle.

Wie viel Zeit bleibt da noch für die Rolle der First Lady? Und ist Yair Lapids politischer Traum auch ihr eigener? (Immer hin war sie schon als kleines Mädchen in Arad, ihrer Heimatstadt, als „Staat Israel“ verkleidet gewesen.) „Er war es nicht immer, aber er ist auch zu meinem Traum geworden“, antwortet sie bei einem Fernsehinterview diplomatisch. Und erzählt bei der Gelegenheit auch, wie sie oft vor Entrüstung beinahe ihren Kaffee verschüttet, wenn sie beim Frühstück die Statements aus der Opposition liest.

Zur Zeit der letzten Regierung, als Naftali Bennett Premierminister und Yair Lapid noch Außenminister war, gab es Drohungen gegen Bennetts Frau und Sohn. Doch Lihi Lapid meint, sie hätte keine Ängste oder Bedenken gehabt, als sie dann selbst in die neue Rolle schlüpfte: „Ich habe von Anfang an darum gebeten, dass man mir nur das sagt, was ich unbedingt wissen muss“, meint sie locker zu dem Thema. Und um im Allgemeinen nicht zu sehr vom Job der First Lady vereinnahmt zu werden, hält sie sich an den Rat ihrer Schwiegermutter, Schulamit Lapid, selbst Schriftstellerin und Verfasserin zahlreicher erfolgreicher Krimis und Romane: Sie hatte es sich, als ihr Mann Tommy Lapid, in die Politik ging, zur Regel gemacht, ihn nur einen Abend pro Woche bei einem offiziellen Event zu begleiten. Eine Regel, an die auch Lihi Lapid sich gerne hält. Denn was die Politik betrifft, sucht sie noch immer nach einem „guten Spa, das mir eine dickere Haut einsetzen könnte“.

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