„Das Österreich-Israel-Verhältnis scheint derzeit paradox“

Erhard Stackl war Mitbegründer und stellvertretender Chefredakteur der Zeitschrift profil, danach Chef vom Dienst der Tageszeitung Der Standard. Er ist Vorstandsmitglied von Reporter ohne Grenzen Österreich sowie Herausgebervertreter des Magazins Südwind. Für sein Buch 1989. Sturz der Diktaturen wurde er 2009 mit dem Hauptpreis des Bruno-Kreisky- Preises ausgezeichnet. Seit 2013 verantwortet er die Jahrespublikation Das jüdische Echo.

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© Ronnie Niedermeyer

WINA: Woher entwickelte sich dein Bezug zum Judentum?

Erhard Stackl: Meine beiden inzwischen längst erwachsenen Töchter besuchten vom Kindergartenalter an etliche Jahre die Zwi-Perez-Chajes-Schule. Wir haben gemeinsam die Feste gefeiert, und ich habe, wenn die Polizei eine Sicherheitswarnung herausgab, frühmorgens gemeinsam mit anderen Vätern die Schulwegsicherung verstärkt. So hat sich die Beziehung zur hiesigen Gemeinde intensiviert. Starke Eindrücke haben meine journalistischen Reisen nach Israel hinterlassen. Etwa der Besuch einer Schule in Kiryat Shmona, wo die Kinder wegen der Raketenangriffe aus dem Libanon das Purim-Fest in einem Luftschutzkeller feiern mussten. Oder als ich im Jänner 1991 in Jerusalem zusammen mit alten und zum Teil verängstigten Menschen mit Gasmasken im Bunker saß, während Saddam Hussein Raketen gegen Israel abfeuerte. Nach solchen Erlebnissen ist der Nahostkonflikt nie mehr ein theoretisches Diskussionsthema.

Die seit 1951 erscheinende Zeitschrift Das jüdische Echo ist wohl mit einiger Tradition behaftet. Welche Ziele hast du dir als Chefredakteur gesetzt? Wo lagen die Herausforderungen?
Damals, 1951, war das Jüdische Echo ein Mitteilungsblatt der Jüdischen Hochschülerschaft. Leon Zelman, den ich gut kannte und der 2007 leider verstorben ist, hat in den Jahren dazwischen ein allseits respektiertes „europäisches Forum für Kultur und Politik“ daraus gemacht. Unverändert sieht sich die Zeitschrift auch jetzt als „Stimme eines lebendigen Judentums, als Mittlerin für ein besseres Verständnis zwischen Juden und Nichtjuden“. Wegen des guten Namens war und ist es für mich nicht schwer, von namhaften Publizisten und Publizistinnen, von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern prinzipielle Zusagen für Beiträge zu bekommen. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, diese Beiträge auch zeitgerecht vor dem Redaktionsschluss einzutreiben.

»Es reichen ein paar Krisen,
um das Vertrauen in die Demokratie
zu schwächen.«

Im Herbst wird die neue Ausgabe präsentiert, diesmal geht es um den Österreich-Israel-Bezug. Was können wir uns darunter vorstellen?
Zum 70-Jahre-Jubiläum des Staates Israel wurde schon viel publiziert, im deutschen Sprachraum auch viel Überkritisches, wenn man bedenkt, dass das Überleben Israels trotz aller dauernden Bedrohungen fast schon ein Wunder ist. Wir schauen uns im Detail die historische und aktuelle Entwicklung der diplomatischen Beziehungen an, die selten ohne Probleme waren, beleuchten aber auch Facetten des heutigen Israel, von den vielen Start-ups über die Filmszene bis zur Küche.

Das Thema Österreich–Israel könnte jedenfalls nicht passender gewählt sein: Bei seinem jüngsten Staatsbesuch in Israel hat Bundeskanzler Kurz sich mit Premierminister Netanjahu bestens verstanden …
Ja, das haben beide Politiker ausdrücklich gesagt. Es wird aber auch von israelischer Seite so gesehen, dass das Verhältnis derzeit paradox ist. Mit der einen Hälfte der Regierung besteht bestes Einvernehmen, zu den Ministern der FPÖ gibt es dagegen keinen Kontakt. Man wird sehen, ob und wie sich das noch entwickelt.

Als Journalist hast du etliche politische Umbrüche in Osteuropa und Südamerika selbst miterlebt. Stehen wir wieder vor einer Zeit der Umbrüche wie damals um 1989?
In den Jahren vor 1989 gab es in Osteuropa und Lateinamerika zahlreiche Diktaturen, aber auch viele Menschen, die dagegen ankämpften. Ursprünglich waren auch viele dieser Regimegegner radikal und wenig demokratisch eingestellt. Als politische Gefangene und als Zwangsexilierte lernten viele von ihnen, die Werte des demokratischen Rechtsstaats mit der Einhaltung der Menschenrechte und dem Schutz von Minderheiten zu schätzen. Als Ende 1989 bei der „Samtenen Revolution“ in Prag die Minimalforderungen der demokratischen Opposition formuliert wurden (1. Rechtsstaat, 2. freie Wahlen, 3. soziale Gerechtigkeit, 4. saubere Umwelt, 5. funktionierende Bildung), hätten das Ungarn und Polen genauso unterschreiben können wie Brasilianer und Chilenen oder auch Westeuropäer. Es ist erschütternd, dass ein paar Krisen reichten, das Vertrauen in diese große Idee derart zu schwächen und die alten nationalistischen Gespenster zurückzuholen. Kürzlich habe ich den klugen Satz gelesen, dass die Demokratie nicht an ihren Feinden zugrunde gehen wird, sondern daran, dass sie zu wenige Freunde hat.

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