„Das stand eigentlich nicht auf meinem Karriereplan“

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Michael Rubinstein im Gespräch mit Esther Graf über seine Kandidatur als Oberbürgermeister von Duisburg.

wina: Herr Rubinstein, Sie sind Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde Duisburg. Wie sah Ihre jüdische Erziehung aus?

Michael Rubinstein: Meine Eltern waren immer Aktivposten in der jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Erst war mein Vater, später meine Mutter im Gemeinderat und Vorstand. Mein Vater ist dann irgendwann im Laufe der Zeit Geschäftsführer geworden. Und deshalb war’s ihnen wichtig, dass wir in der jüdischen Gemeinde sind, sprich jüdischer Kindergarten, Religionsschule, Jugendzentrum, dann Studentenarbeit. Zu Hause sind wir auch traditionell groß geworden. Es war immer klar, wir halten die Feiertage und feiern Schabbat zusammen.

wina: Was hat Sie dazu bewogen, in einer jüdischen Gemeinde zu arbeiten?

MR: In Frankfurt [bei einem Tochterunternehmen der Hessischen Landesbank, Anm. d. Red.] war die Zeit quasi abgelaufen. Ich habe etwas Neues gesucht, die jüdische Gemeinde hier hat jemand Neuen gesucht. Ich habe der Gemeinde viel zu verdanken. Vieles auch, was mich auf meinem beruflichen Weg begleitet hat oder mich dahin gebracht hat, habe ich hier zuerst ausprobieren dürfen. Ich habe ehrenamtlich sehr viel machen dürfen, und nun wollte ich der jüdischen Gemeinde und der jüdischen Gemeinschaft etwas zurückgeben, da ich jemand bin, der sagt: Wir können nicht immer nur meckern, wir müssen uns auch selbst engagieren. So kam das, und ich habe es zu keinem Zeitpunkt bereut.

wina: Welche Position nimmt die jüdische Gemeinde in Duisburg ein?

MR: Wir sind ein offenes Gemeindezentrum. Wir haben um uns keine Mauern und Zäune. Wir liegen an einem sehr prominenten Platz. Wir haben hier bisher, G-tt sei Dank, bis auf ein, zwei Ausnahmen keinerlei Probleme mit Antisemitismus, der uns offen entgegenschlägt, weder durch Schmierereien noch durch Anrufe oder Briefe. Unser Gemeindezentrum ist ein Haus der Begegnung.

wina: 40.000 Muslime und 2.800 Juden leben heute in Duisburg. Wie gestaltet sich das Zusammenleben von Muslimen und Juden?

MR: Sagen wir es einmal so: Sie leben zumindest friedlich nebeneinander. Wir haben zur DITIB [Vertretung der Türkisch-Islamischen Gemeinschaft in Deutschland] einen ganz guten Draht. Ich war bei der Eröffnung der Großen Moschee und durfte sprechen. Wir versuchen Kooperationen einzugehen, wo es geht. Aber das darf man auch nicht überbewerten, das funktioniert mehr auf der Funktionärsebene als im Privaten.

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wina: Als vor etwa einem halben Jahr die Abwahl des Oberbürgermeisters Adolf Sauerland wegen seines Fehlverhaltens nach dem Unglück bei der Love Parade 2010 in Vorbereitung war, wurde der Ruf nach einem überparteilichen Kandidaten laut, und Ihr Name wurde ins Spiel gebracht. Können Sie uns erklären, warum?

MR: Es wurde in der Öffentlichkeit ein Profil genannt, das nicht auf so viele passt: in Duisburg leben, nicht parteigebunden sein, eine integrative Person sein, die in Duisburg auch bekannt ist, am besten aus dem kirchlichen Raum und mit Verwaltungserfahrung.

Die Idee war, einen Oberbürgermeister oder eine Oberbürgermeisterin zu finden, die weder neue Gräben aufreißt noch zuschüttet oder überwindet, weil er oder sie eben nicht einem Lager zugehört, wirklich mit allen gesellschaftlich relevanten Kräften sprechen kann, sich für die Stadt einsetzt, weil es ihm oder ihr wichtig ist und nicht weil es Teil des Parteiprogramms ist. Das Abwahlbündnis war ja auch überparteilich. Da haben sich die Duisburger und Duisburgerinnen zusammengetan. Sie möchten nicht wieder, dass alles wie vorher ist, sondern dass sich wirklich jemand mal hinstellt, der sagt: „Mir geht es um die Stadt.“ Und wir müssen hier radikal was ändern. Wir haben im Augenblick eine schwere Situation, finanziell, vom Image, von der Stadtgesellschaft, von der Infrastruktur, von den Investitionen her. Im Prinzip sucht man den Messias, aber den wird es nicht geben. Aber halt jemand, der sagt, ich tue das und ich artikuliere das, was ich für richtig empfinde, und der keine Rücksicht nehmen muss auf Parteiräson. Und da ist ein überparteilicher Kandidat sicher gut, weil das die Parteien auch zu einem anderen Miteinander bringen müsste, und parteilos ist natürlich noch besser, weil er mit allen unbefangen sprechen kann. Ich bin ein ganz großer Freund von Parteien. Dass in der Regel Parteien den Oberbürgermeister stellen, ist richtig und gut. Aber ich glaube, dass Duisburg seit der Love Parade in einer Sondersituation war. Hier passierte gar nichts mehr in der Stadt. Ich hätte mich unter anderen Voraussetzungen auch nie dafür begeistern können zu kandidieren. Das ist sicher dieser besonderen Situation geschuldet, dass man auf mich zugekommen ist. Ich selbst wäre nicht nach vorne gegangen und hätte gesagt: „Ja, ich mach’s!“

wina: Hatten Sie jemals vor, in die Politik zu gehen?

MR: Ich war eigentlich darauf programmiert, den Rest meines Lebens im Jewish Business zu bleiben. Und sollte das mit der Oberbürgermeisterkandidatur letztendlich nicht klappen, dann wird es auch sicherlich so sein. Von daher stand das eigentlich nicht auf meinem Karriereplan. Aber es gibt nun mal Dinge im Leben, die kommen nur einmal und nie wieder.

Zur Person

Michael Rubinstein, geb. 1982 in Düsseldorf, verheiratet, eine 12-jährige Tochter. Ehrenamtlich tätig als Jugendleiter u. a. in Düsseldorf und Duisburg. Bis 2004 stellvertretender Betriebsratsvorsitzender eines Tochterunternehmens der Hessischen Landesbank in Frankfurt am Main. 2004–2005 Mitglied der Geschäftsführung der jüdischen Gemeinde Duisburg. Seit 2005 alleiniger hauptamtlicher Geschäftsführer der jüdischen Gemeinde Duisburg.

Jüdische Oberbürgermeister in Deutschland nach 1945:

Herbert Weichmann, 1965–1971 in Hamburg

Peter Feldmann, seit März 2012 in Frankfurt am Main. Der SPD-Mann löst die nach 17 Jahren scheidende Petra Roth (CDU) ab. Seit Ludwig Landmann, der die Stadt von 1924 bis 1933 regierte, ist Feldmann der erste jüdische Oberbürgermeister der Stadt.

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