Das Jüdische Museum München (JMM) beweist mit seiner Dauerausstellung, dass man Feiertage, religiöse Rituale und sogar „Jiddischkeit“ mit einfachen Mitteln klar und ohne zeitgeistige Umwege erklären kann und eigentlich muss. Vor allem, damit sich die Besucherin und der Gast danach kenntnisreich und aufgeklärt fühlen, und mit diesem erworbenen Wissen die Wechselausstellungen besser für sich einordnen können.
In einigen jüdischen Museen, die wenigstens rudimentär die Grundpfeiler des Judentums erklären sollten, setzt man oft zu viel Wissen voraus: Den Besuchern will man neue Perspektiven des bereits Bekannten bieten – dabei wird zumeist vergessen, dass der durchaus wichtigere Beitrag jener wäre, nicht-jüdische interessierte Menschen zu gewinnen. In München ist das, meiner persönlichen Meinung nach, in der dreigeteilten Dauerausstellung gut gelungen. Unter dem Titel: Stimmen_Orte_Zeiten gibt diese neue Impulse und Informationen zur Münchner jüdischen Geschichte und Gegenwart.
In sieben Installationen wird durch Stimmen von männlichen und weiblichen Zeitzeugen, Ritualobjekte, Fotografien, Videos und Comicstrips die Sicht auf jüdische Geschichte, Kultur und Religion aufgebrochen. Dabei wird die Münchner jüdische Geschichte als integraler Teil der Stadtgeschichte sichtbar gemacht und ebenso auf ihre Einschnitte, Brüche und Leerstellen verwiesen.
In sieben Installationen wird durch Stimmen
von Zeitzeugen, Ritualobjekte, Fotografien,
Videos und Comics die Sicht auf jüdische Geschichte,
Kultur und Religion aufgebrochen.
Die Installation Stimmen erzählt über das Ankommen jüdischer Familien und Einzelpersonen in den letzten 200 Jahren, jede dieser Tonspuren stellt eine Lebensgeschichte vor, die nach München führt oder die Stadt für einige Jahre streift. Die Installationen Orte und Bilder zeigen die Lebenswege Einzelner im grafischen Modell des Münchner Stadtplans, in den man persönlich eingreifen kann, um nach Personen oder Adressen zu suchen. Gleichzeitig sind Momentaufnahmen aus dem jüdischen Leben Münchens zu sehen: vom Nobelpreisträger über die Auswanderin bis zum Gemeinderabbiner. Der Ausstellungsbereich Rituale ist besonders gut gelungen: Anhand jüdischer Kultgegenstände sowie klar verfasster Texttafeln werden religiöse Traditionen im familiären Umfeld und in der Synagoge vorgestellt und jüdische Fest- und Feiertage thematisiert. Der Untertitel Grundlagen des Judentums sagt genau das, was es ist: Die Gebote der Tora prägen große und kleine Ereignisse im Leben jüdisch-religiöser Familien. Sie haben ihren Platz im Alltag und an Festtagen und ordnen das Leben. Doch was sind diese Regeln, warum gibt es sie, und was bedeuten sie für Jüdinnen und Juden? Die Antworten sind so vielfältig wie das Judentum selbst. Daher ist es so wichtig und richtig, wie der Rundgang in der Dauerausstellung die verschiedenen Aspekte der jüdischen Religionspraxis und die Bedeutung der Feiertage unaufdringlich und leicht verständlich behandelt. Apropos Rundgang: Dieser wird für Senioren und Seniorinnen jeden dritten Dienstag kostenlos angeboten.
Der Themenweg schließt mit Humor und Selbstironie: Eine Comic-Sequenz des Zeichners Jordan B. Gorfinkel lenkt die Aufmerksamkeit auf den Neubeginn jüdischen Lebens nach 1945 und bis in unsere Gegenwart.
Eine Ausstellung, die bis heute funktioniert. Kuratiert wurde die Dauerausstellung von Jutta Fleckenstein und dem im Februar 2024 überraschend verstorbenen Direktor Bernhard Purin.* Der Vorarlberger studierte empirische Kulturwissenschaft und neuere Geschichte in Tübingen und war ab 1990 Projektleiter für den Aufbau des Jüdischen Museums Hohenems, von 1992 bis 1995 Kurator am Jüdischen Museum Wien, wo er u. a. eine der ersten Ausstellungen zur Raubkunstproblematik entwickelte. 2002 wurde Purin durch den Münchner Stadtrat zum Gründungsdirektor des Jüdischen Museums München berufen, das 2007 auf Grundlage seines Konzepts eröffnet wurde.
„Bernhard Purin war ein guter Freund und Kollege, ein ausgewiesener JudaicaSpezialist, der in der Fachwelt eine große Lücke hinterlassen hat. Sein plötzlicher Tod hat auch mich hart getroffen“, sagt Barbara Staudinger, Direktorin des Jüdischen Museums in Wien. „2005 übersiedelte ich nach Bayern und Bernhard wurde mein Chef; mein Lehrer und Mentor war er schon lange davor. Er war jetzt Gründungsdirektor des Jüdischen Museums in München und riet mir, mich in München zu bewerben.“ Barbara Staudinger hat daher auch an dieser Dauerausstellung mitgewirkt, die im März 2007 zur Eröffnung des Museums erarbeitet wurde.
Das Konzept und seine Verwirklichung durch Bernhard Purin und Jutta Fleckenstein entstand also vor 17 Jahren – und funktioniert immer noch. „Wir haben laufend Details, z. B. die Vitrinen Objekte, verändert“, erzählt Jutta Fleckenstein, die komm. Leiterin des JMM. Offensichtlich muss man das Rad von guten Dauerausstellungen nicht ständig neu erfinden.
* Barbara Staudinger: Nachruf auf Bernhard Purin
Die aktuelle Ausstellung (eröffnet am 15. Mai 2024; läuft bis 2. März 2025) Bildgeschichten: Münchner Jüdinnen und Juden im Porträt verwendet das Wort Porträt im doppelten Sinn, denn es sind ausschließlich Bildnisse bekannter oder vergessener Münchner zu sehen. Wer ließ sich von wem porträtieren? Wie wollte man gesehen werden? Wen wollte man darstellen? Die Antwort liefert man gleich dazu, denn der Atelierbesuch gehörte zum Selbstverständnis des Münchner Bürgertums, zu dem ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch Jüdinnen und Juden zählten. Ihre Porträts sagen etwas über ihren Beitrag zur Stadtgesellschaft, erzählen aber auch vom langen Weg zur Gleichberechtigung und ihrem Ringen um Sichtbarkeit. Die Ausstellung geht den Geschichten von rund 40 Porträts nach und zeigt die Vielfalt jüdischer Identitäten.
Ab 1933 änderte sich die Situation sowohl für die Künstlerinnen und Künstler wie für fast alle Auftraggeber schlagartig. Münchner Juden und ihre Familien, die sich wenige Jahre zuvor noch stolz präsentierten und porträtieren ließen, wurden systematisch entrechtet und verfolgt. Viele der gezeigten Porträts überdauerten im Exil, waren aber in München lange vergessen. Tatsache ist, dass sich nur wohlhabende „Bürger“ porträtieren lassen konnten, daher entsteht bei der Besichtigung der Eindruck, dass es in dieser Zeit „nur reiche Juden“ gegeben hat, damit werden womöglich Vorurteile genährt. Bilder und Texte zu jüdischen Handwerkern in München hätten hier Abhilfe schaffen können.