Demokratie im Umbau

Wie werden im kommenden Jahr regierende Deutschnationale den Untergang Österreichs 1938 betrauern? Der massive Shitstorm gegen den Zeitzeugen Rudi Gelbard zeigt, wie Recht er mit seinen Warnungen vor dem Rechtsruck hat.

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Er ist einer der letzten Zeuge. 1942 wurde er mit seinen Eltern in das Lager Theresienstadt deportiert. Neunzehn seiner Verwandten wurden ermordet. Er war erst vierzehn, als er befreit wurde. Seither – seit 1945 – kämpft er gegen die Wiederkehr der Vernichtungsideologie.
Wer Rudi Gelbard kennt, weiß, wie unermüdlich er gegen die Geschichtsleugner auftritt. Er scheut nicht zurück vor der Auseinandersetzung mit Neonazis, doch auch wenn es gilt, gegen den islamistischen Antisemitismus auf die Straße zu gehen, fehlt Professor Rudolf Gelbard nie. Er schweigt auch nicht, wenn gegen Israel gehetzt wird. Er spricht klar gegen jedes Regierungsbündnis mit den Freiheitlichen – auch in seiner eigenen Partei. Als Hofjude steht er nie zur Verfügung. Solche wie ihn brauchen wir jetzt mehr denn je …
In einem Video, das SOS-Mitmensch im Netz veröffentlichte, erklärte Gelbard, weshalb eine Koalition mit den Freiheitlichen für wahre Demokraten abzulehnen sei. Er nannte die Namen der Naziverbrecher, die immer noch Ehrenmitglieder jener Burschenschaften sind, in denen die Spitzenpolitiker der Freiheitlichen aktiv sind. Kaum war der Clip online, brach ein Sturm des Hasses gegen Gelbard los. Die Reaktionen beweisen nur, dass er mit seinen Warnungen Recht hatte.

Rudi Gelbard nannte die Namen der Naziverbrecher, die immer noch Ehrenmitglieder jener Burschenschaften sind,
in denen die Spitzenpolitiker der Freiheitlichen
aktiv sind.

Aber wen wundert’s? Niemanden, der vor Kurzem etwa sah, wie die freiheitlichen Abgeordneten als einzige Fraktion nicht klatschten, als der noch amtierende Kanzler Kern im Nationalrat an das Novemberpogrom erinnerte. Sie saßen ungerührt da, als er von den Schrecken des Jahres 1938 redete und vor rassistischer Hetze warnte. Einer der FPler, es kann im Netz gesehen werden, hob die Rechte ein wenig an, um seine Fingernägel eingehend zu inspizieren. Eine Übersprunghandlung, eine Geste der Verlegenheit, weil dieser schmissige Rechtsrechte wohl unentschieden war, wie er seine Gleichgültigkeit im Lichte der Öffentlichkeit ausdrücken konnte, die mir jedoch unweigerlich so vorkam, als wolle er sicher gehen, es klebe kein Blut an seinen Händen. Norbert Hofer, der dritte Nationalratspräsident, verzog wiederum ein wenig abschätzig den Mund, als alle anderen Parteien applaudierten.
Im nächsten Jahr 2018 werden wir zweifellos öfter an die Machtübernahme des Nationalsozialismus in Österreich und an den so genannten „Anschluss“ an das Deutsche Reich denken. Wie werden die Deutschnationalen, die so gern kokett mit ihren schwarzrotgoldenen Schärpen und ihren Burschenschaftlerkäppchen auftreten, den damaligen Untergang Österreichs betrauern?
Die kommende Koalition – heißt es – plant den Umbau der Demokratie. Die Freiheitlichen wollen plebiszitär regieren. Sie zielen gegen die sozialpartnerschaftlichen Institutionen. Sie wollen somit Parlament und Kammersystem zugleich schwächen. Sie höhlen jene Politik des Kompromisses aus, die dieses Land nach 1945 prägte. Sie streben nach einer Herrschaft der Mehrheit, um die Rechte der Minderheiten zu missachten. Sie glauben nicht an die Vielfalt der Bevölkerung, sondern bloß an das Volk schlechthin, das – ginge es nach ihrem Willen – ein treudeutsches sein soll. Sie greifen nach der Republik, die ihnen von Anfang an zuwider war. Sie vergreifen sich an ihr.

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