„Den Mund aufmachen, wo und wann es wichtig ist“

Als neuer Präsident der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich möchte der prominente Schauspieler Cornelius Obonya auch medial stärker präsent sein, ohne eine ständige Kommentarspur im Netz zu legen.

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Cornelius Obonya, 1969 in Wien geboren, stammt aus einer Schauspielerdynastie: Seine Eltern sind Elisabeth Orth und Hanns Obonya (gest. 1978), seine Großeltern mütterlicherseits waren Paula Wessely und Attila Hörbiger. Mit 17 Jahren ging er nur ein Jahr an das Max Reinhardt Seminar, um danach bei Gerhard Bronner zu lernen, der ebenso wie Emmy Werner am Volkstheater und Andrea Breth an der Schaubühne Berlin und am Burgtheater zu den prägendsten Begegnungen seiner Laufbahn wurden. In zahlreichen Film- und TV-Rollen war Obonya ebenso zu sehen wie als „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen von 2013 bis 2016. Obonya ist mit der Regisseurin Carolin Pienkos verheiratet. © Ulrik Hölzel

wina: Sie sind seit November 2019 Präsident der Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich. Sie folgen in dieser Funktion Ihrer Mutter, Kammerschauspielerin Elisabeth Orth. Was hat Sie als vielbeschäftigten Film- und Fernsehstar bewogen, dieses Ehrenamt anzunehmen?
Cornelius Obonya: Ich habe mich regelrecht bemüht und darum beworben. In Gesprächen mit meiner Mutter merkte ich, dass sie langsam eine Übergabe erwägt, und dachte gleich, warum mache ich das nicht selbst? Vor allem, weil mir die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus in Österreich extrem wichtig ist. Auch im Sinne von Ari Rath, der mein politischer Ziehvater in vielerlei Hinsicht war, dachte ich mir: Wenn ich es kann und auch gewünscht werde, versuche ich das fortzuführen. Wo ich kann und wo es nötig ist, werde ich den Mund aufmachen, weil das generell wichtig und richtig ist.

Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) ist Ihre Basis?
Ja, durch das DÖW hat die Aktion – und damit auch ich – mit Andreas Peham, dem Experten für Rechtsextremismus, und weiteren kompetenten Mitstreitern auch die Expertise, um diesen eminent wichtigen Kampf gegen Antisemitismus weiterzuführen. Das DÖW bietet uns die wissenschaftliche Unterfütterung unserer Arbeit, damit wir nicht kopflos, sondern fundiert und faktenbasiert agieren können. Es wäre natürlich erfreulicher, wenn dieser Kampf nicht mehr nötig wäre. Mein größter Wunsch als Präsident wäre es, wenn ich die Selbstauflösung des Vereins bekannt geben könnte. Aber derzeit ist das noch ein Wunschtraum!

 . . . ist es für die Aktion extrem wichtig, dass wir unerwünschte Vorgänge gezielt und punktgenau aufzeigen und verurteilen.
Cornelius Obonya

Die Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich wurde 1955 als eine unabhängige, überparteiliche Vereinigung gegründet. Was sind die konkreten Ziele der Aktion heute?
Das zentrale Anliegen und einzige Ziel ist, gegen Antisemitismus in jeder Form aufzutreten, egal ob er von rechts oder links kommt. Um die Tradition der Historikerin Erika Weinzierl fortzusetzen – sie war die Vorgängerin meiner Mutter in dieser Funktion –, ist es für die Aktion extrem wichtig, dass wir unerwünschte Vorgänge gezielt und punktgenau aufzeigen und verurteilen. Das heißt nicht, dass man bei allen Chören mitbrüllen muss. Aber wir versuchen, punktuell und genau jene Dinge zu kommentieren, die diese Wortmeldung erfordern. Leider passiert das immer noch zu oft. Und jedes Mal, bei dem wir den Mund aufmachen müssen, ist einmal zu viel.

Was hat sich an der Aufgabenstellung – im Vergleich zur Amtszeit von Elisabeth Orth – verändert?
Die große positive Veränderung besteht darin, dass man sich schneller äußern kann, als es in früheren Jahren möglich war. Die Verschriftlichung ist durch die Internetportale schneller geworden. Meine erste Initiative heißt daher Präsenz im Netz. Wir installieren zwar eine Facebook-Seite, werden uns aber sicher nicht in den Twitter-Chor hineinbewegen. Das ist die negative Seite dieser Entwicklung unter dem Stichwort „Hass im Netz“. Früher musste man sich die Mühe eines Leserbriefs antun, jetzt geht dies mit zwei Mausklicks, und man kann Menschen blitzschnell beleidigen und heruntermachen. Meiner Mutter hat man antisemitische Zuschriften ins Briefkästchen geschoben, ich wurde schon per E-Mail attackiert.

Was wirft man Ihnen vor? Sind Sie bereits Teil der Weltverschwörung?
Na klar, wir sind die „reichen Gutmenschen, unter den Fittichen von Bill Gates“ – das ist so absurd, darauf will ich gar nicht eingehen. Ich halte es mit dem deutschen Moderator der satirischen Heute-Show, Oliver Welke, der, auf die AfD gemünzt, meinte: „Wisst Ihr was, lasst die Arschlöcher doch labbern.“ Ich finde, dass man einiges auch ignorieren kann; man muss nicht immer seinen Kommentar dazu geben, sonst geht man in Richtung eigener Echokammer. Wo es nötig ist, soll man seine Stimme laut erheben, aber man muss keine Kommentarspur durch das Netz legen. Zur Zeit meiner Mutter war die Aktion großteils allein unterwegs, nur die davon betroffenen Menschen haben ihren erwartbaren Protest ausgedrückt. Heute gibt es aber Schutz und Zuspruch auch aus verschiedenen politischen und zivilgesellschaftlichen Kanälen.

. . . und man diesen Blödsinn oft genug wiederholt, wird er langsam und sicher von den leichtgläubigeren Menschen geglaubt.
Cornelius Obonya

Ist das Nachkriegstabu gebrochen: Kann man heute wieder mit dem Schüren antisemitischer Ressentiments Wahlkämpfe führen? In Österreich und weltweit?
Es kommt sehr auf das Land an. In Ungarn funktioniert das leider so gut, weil es die Staatsführung selbst betreibt: Wenn George Soros von der höchsten politischen Ebene aus durch bezahlte Werbung ganz offen antisemitisch diffamiert wird und man diesen Blödsinn oft genug wiederholt, wird er langsam und sicher von den leichtgläubigeren Menschen geglaubt. In Ungarn gibt es nicht immer politisch-gesellschaftlichen Konsens darüber, was geht und was nicht. Die derzeitige österreichische Bundesregierung – und das galt sogar unter Türkis-Blau – hat klare Ansagen gemacht, was nicht erwünscht ist. Das war vom Bundeskanzler abwärts so. Hoffentlich meinen die das auch genauso. Aber G-tt sei Dank kann man in Österreich heute nicht mehr alles auf die Juden schieben, wie man das Jahrtausende lang so gerne gemacht hat. Wir müssen da-
rauf schauen, dass das auch so bleibt.

© Ulrik Hölzel

Im öffentlichen Diskurs steht zuletzt immer stärker der so genannte „importierte islamistische Judenhass“ im Zentrum. Finden Sie die Gewichtung richtig? Wird dabei nicht automatisch der „hausgemachte“ autochthone Antisemitismus verharmlost?
Ja, diese Gefahr besteht tatsächlich, da gibt es noch genug aufzuarbeiten und zu besprechen. Deshalb müssen wir den autochthonen Alltagsantisemitismus aufmerksam verfolgen. Unsere klare Aufgabe ist es, aufmerksam zu beobachten, wie wir alle mit den Österreicherinnen und Österreichern jüdischen Glaubens umgehen.

Die Aktion vergibt seit 1994 die Josef-Samuel-Bloch-Medaille für besondere Verdienste im Kampf gegen den Antisemitismus. Die Auszeichnung wurde nach dem Floridsdorfer Rabbiner Josef Samuel Bloch (1850–1923), dem Gründer der Österreichischen Wochenschrift und der Union österreichischer Juden, benannt. Fällt Ihnen spontan für 2020 ein würdiger Preisträger oder eine Preisträgerin ein?
Spontan fällt mir niemand ein, aber etwas Auszeichnungswürdiges ist mir jüngst, nach dem Anschlag in Wien am 2. November, positiv aufgefallen: IKG-Präsident Oskar Deutsch wurde eine halbe Stunde, nach dem die Schüsse gefallen waren, gefragt, ob es sich um einen antisemitischen Anschlag handle. Oskar Deutsch hat keiner Versuchung nachgegeben und sehr klar auf die bohrenden Fragen von Journalisten gesagt: „Nein, das kann ich nicht sagen, weil ich keine Beweise dafür habe.“

Sie haben zuletzt auch sehr erfolgreich Regie geführt, u. a. gemeinsam mit Ihrer Frau, der Regisseurin Carolin Pienkos: sowohl beim Festival Oper im Steinbruch bei der Produktion von Die Zauberflöte wie auch bei der Fledermaus an der Mailänder Scala. Sie wollen aber nicht gänzlich vom Schauspiel weg?
Nein, das mache ich nicht, das ist mein Beruf, den ich liebe, und wenn ich den lange ausüben darf, bin ich sehr glücklich! Die Regie ist eine sehr schöne Herzensgeschichte, die sich für mich mit meiner Frau ergeben hat. Aber das gibt es nur im Doppelpack. Ich bin da der Zauberlehrling, das ist mir sehr recht, und es macht mich glücklich, dass ich da von meiner Frau lernen darf.

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