Zu einer berührenden Zeitreise wird der Besuch im letzten Stiebl von Budapest. Von Marta S. Halpert
Eine lang gestreckte Friedhofsmauer begrenzt ein großes, offenes Feld, auf dem nichts mehr wächst. Doch früher einmal blühte es auch hier: Der Teleki tér war im 19. Jahrhundert der größte Flohmarkt von Budapest. Getragene Kleider und Hausrat wurde von zahlreichen aus der k.u.k. Monarchie zugezogenen Händlern angeboten, davon waren fast siebzig Prozent Juden. Jetzt ist es ein leerer, verwahrloster Platz im 8. Bezirk, der Josefstadt (Józsefváros). Die Armut trifft heute gleichermaßen Jung und Alt: Sogar das Lidl-Einkaufssackel, das eine junge Frau trägt, ist nach mehrfachem Gebrauch zerschlissen.
Im Hof des Hauses Nummer 22 zählen wir sieben Eingänge zu ebenerdigen Wohnungen. Gábor Mayer geht auf eine unscheinbare Türe zu, ohne Kamera und ohne Mezuzah, sperrt sie auf: Geblendet von nackten Glühbirnen erblicken wir einen Innenraum, der zuerst wie eine Filmkulisse wirkt. „Das ist das letzte von etwa 20 Stiebln, die hier rund um den Teleki tér existierten“, erzählt der 31-jährige Computerprogrammierer. Ihm und seinem älteren Bruder András ist es zu danken, dass es dieses Juwel aus der Vergangenheit überhaupt noch gibt.