Der andere Weg zur Matura

Am Jüdischen Beruflichen Bildungszentrum (JBBZ) ist es nicht nur möglich, eine Lehrausbildung oder berufliche Weiterbildung zu absolvieren. Hier kann man im Anschluss an eine Lehrausbildung oder berufsbildende mittlere Schule auch den Berufsreifeprüfungslehrgang besuchen. Davon machen jedes Jahr einige Jugendliche und junge Erwachsene Gebrauch – und legen dann erfolgreich die Matura ab. Wie alle anderen Maturanten und Maturantinnen auch müssen sie dabei zur Zentralmatura antreten. Danach steht ihnen der Zugang zu einem Studium an einer Universität oder Fachhochschule offen.

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Emanuel Djouraev (19): „Es war mir zunächst einmal wichtig, eine Ausbildung zu haben. ©Daniel Shaked

Emanuel Djouraev (19) ist auf der Zielgeraden: Im Oktober tritt er zur Matura an. Ein Jahr lang hat er sich darauf mit seinen sieben Klassenkollegen und -kolleginnen vorbereitet. 30 Stunden pro Woche haben sie Unterricht erhalten, auf dem Stundenplan standen dabei die vier Maturafächer: Deutsch, Englisch, Mathematik sowie Medieninformatik beziehungsweise Eventmanagement als berufsspezifisches Fach. So ist eine Berufsreifeprüfung aufgebaut.

Warum er sich für diesen Ausbildungsweg entschieden hat? „Es war mir zunächst einmal wichtig, eine Ausbildung zu haben. Deshalb habe ich mich für eine technische Fachschule und nicht für eine HTL entschieden. Dreieinhalb Jahre werde ich schaffen. Aber fünf Jahre könnten schon etwas kritisch werden, dachte ich mir. Und wenn ich dann abbrechen würde, wäre das verlorene Zeit. So habe ich zuerst die Fachschule absolviert und danach die Matura gemacht, und das, ohne Zeit zu verlieren.“

Die Matura sei sicher nicht leichter, weiß Djouraev. Aber durch das Fokussieren in der Vorbereitung auf nur vier Fächer komme man gut mit. Das Lernen in der Kleingruppe sei ebenfalls ein großer Vorteil. Er ist daher zuversichtlich, die Prüfungen im Oktober zu schaffen. Danach tritt er seinen Zivildienst an, und in einem Jahr möchte Djouraev an einer Universität zu studieren beginnen. Noch schwankt er dabei zwischen einem IT- und einem Kunststudium.

Emanuel Sivan (19): „Für mich war dieser Weg die Möglichkeit, doch auch studieren zu gehen.“ ©Daniel Shaked

Emanuel Sivan (19) hat eben am JBBZ seine Lehrausbildung zum Bürokaufmann abgeschlossen. Gefallen hat ihm daran vor allem, dass man dabei „für die echte Welt“ vorbereitet wird. Zuvor hat er ein Gymnasium besucht, sah aber nicht, wie er es schaffen hätte sollen, dieses schließlich auch positiv zu absolvieren. „Ich hätte Französisch und Latein gehabt, ich habe mir da keine Chancen ausgerechnet. Für mich war dieser Weg die Möglichkeit, doch auch studieren zu gehen.“

Den Berufsreifeprüfungslehrgang hat Emanuel Sivan noch nicht begonnen. Dieser startet am JBBZ immer im Oktober. Zuvor müssen sich die Interessierten einem Auswahlverfahren stellen. Dieses stellt sicher, dass nur jene mit der Maturavorbereitung beginnen, die auch reelle Chancen haben, die Berufsreifeprüfung schließlich erfolgreich abzulegen, erklärt Rebecca Janker. Sie hat am JBBZ die pädagogische Leitung inne. Doch auch auf diese Prüfung könne man sich gut vorbereiten. Beherrscht werden können müsse jeweils der Lehrstoff der neunten Schulstufe in Deutsch, Englisch, Mathematik.

Emanuel Sivan würde sich jedenfalls freuen, wenn es für ihn klappt und er ab Oktober am JBBZ für die Matura lernen kann. „Falls es möglich ist, würde ich das sehr gerne machen.“ Für seine weitere Zukunft würde er gerne ein wirtschaftsorientiertes Studium absolvieren – konkret schwebt ihm da Wirtschaftsrecht vor. Anderen Jugendlichen kann er, wenn sie sich mit dem Lernen in einem Gymnasium schwer tun, diesen Ausbildungsweg nur empfehlen. Die Lehrausbildung habe ihn gut auf das Leben vorbereitet. Und dennoch werde er an einer Universität studieren können.

„So habe ich zuerst die Fachschule absolviert und danach die Matura gemacht, und das, ohne Zeit zu verlieren.“
Emanuel Djouraev (19)

Ruth Weiss-Gold (35) studiert heute Kunst auf Lehramt an der Akademie der bildenden Künste. Ihr Bildungsweg bis dahin war kein geradliniger – aber schließlich jener, der sie an ihr Ziel gebracht hat. Genau das empfiehlt sie auch ihrem heute 15-jährigen Sohn. „An sich selbst zu glauben und zu schauen, was macht mir Spaß? Aber auch, worin bin ich gut, was liegt mir, was interessiert mich? Und daran weiterzuarbeiten.“

Sie selbst kam im Gymnasium nicht recht weiter, wiederholte in der Oberstufe mehrmals.

Ruth Weiss-Gold (35): „Es hat sich am Ende bei mir alles sehr glücklich getroffen, auch wenn es kein geradliniger Weg war.“ ©Daniel Shaked

„Ich war sehr oft müde und hatte wenig Lust.“ Aber woran sie in dieser Zeit Freude gehabt habe, war, ihr Zimmer umzugestalten und die Möbel umzustellen. „Meine Mutter hat dann gesagt, mach doch eine Tischlerlehre. Und das hat dann auch für mich gut funktioniert. Es ist bis heute ein Beruf, den ich sehr mag.“

Nach ihrem Lehrabschluss bei Jugend am Werk war Weiss-Gold einige Jahre im Technischen Museum im Bereich der Inventarisierung tätig. Dabei musste sie Objekte für das Lager verpacken. Dafür hat sie auch den Kran- und den Staplerführerschein gemacht. „Mit 60 habe ich mich dort aber nicht mehr gesehen, so am Boden arbeitend oder kopfüber bohrend.“

Deshalb entschloss sie sich, die Berufsreifeprüfung abzulegen – und besuchte dazu 2016 den Vorbereitungslehrgang am JBBZ. Die Maturaprüfung abzulegen, sei so nicht schwer gewesen. Im Anschluss habe sie zunächst noch drei Jahre in den städtischen Büchereien gearbeitet, doch dann entschloss sie sich doch, sich ihren Traum eines Kunststudiums zu erfüllen. Zwei Drittel des Studiums hat sie inzwischen bereits absolviert. „Es hat sich am Ende bei mir alles sehr glücklich getroffen, auch wenn es kein geradliniger Weg war.“

Lehre plus Matura. Durchlässigkeit des Bildungssystems ist auch immer wieder eines der Argumente für das Modell Lehre plus Matura in bildungspolitischen Diskussionen. Rebecca Janker sieht aber noch mehr Vorteile. Arbeitgeber suchen heute nach jungen Arbeitskräften, die sowohl über einen Studienabschluss wie auch bereits Berufserfahrung verfügen. Mit einem Lehrabschluss, Matura und anschließendem Studium sei das zu bewerkstelligen. Zudem mache eine Lehrausbildung früher unabhängig. Worum Schüler und Schülerinnen noch ihre Eltern bitten müssten, könnten sich Lehrlinge bereits selbst bezahlen. Andererseits bekämen sie bereits mit, wie es ist, nicht mit Samthandschuhen angefasst zu werden. Der Ton seitens Kunden und Kundinnen sei doch manchmal rauer als der in der Schule. „Schule ist wirklich ein sehr geschützter Rahmen, Lehrlinge bestehen in der realen Welt.“

Am JBBZ kann man seit dem Schuljahr 1998/99 die Berufsreifeprüfung ablegen, sagt Geschäftsführer Markus Meyer. Anfangs habe man Lehre mit Matura angeboten, es wurde also gleichzeitig ein Lehrberuf erlernt und für die Reifeprüfung vorbereitet. Das habe sich allerdings nicht bewährt. „Einerseits haben junge Leute vielleicht auch etwas anderes im Kopf, als zwei Mal in der Woche bis 20 Uhr Unterricht zu haben. Andererseits haben es dann einige in der Berufsausbildung ziemlich schleifen lassen, und dann gab es ein böses Erwachen, weil der Lehrabschluss nicht gelang.“

 

„An sich selbst zu glauben und zu schauen, was macht
mir Spaß? Aber auch, worin bin ich gut,
was liegt
mir, was interessiert mich.“
Ruth Weiss-Gold

Das JBBZ setzt daher seit vielen Jahren auf das Modell Lehre plus Matura, erklärt Janker. Dabei absolviert man zunächst die Lehre und wird dann in einem einjährigen Lehrgang in den Maturafächern unterrichtet. Das habe sich sehr bewährt – und viele der Absolventen und Absolventinnen hätten danach auch ein Studium begonnen oder inzwischen schon abgeschlossen. Sowohl während den Lehrjahren wie auch im Maturalehrgang erhalten die Teilnehmenden übrigens eine Bezahlung, zunächst die Lehrlingsentschädigung, danach eine Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts.

Maturalehrgänge gibt es am JBBZ so gut wie jedes Jahr, sehr selten habe es keine solche Klasse gegeben, in manchen Jahren seien es aufgrund des großen Andrangs sogar zwei gewesen. Für den kommenden Herbst ortet Janker „riesengroßes Interesse“. Immer mehr sehr religiöse Gemeindemitglieder, die bisher ins Ausland an eine Jeschiwe gingen, möchten nun nach einer dreijährigen Fachschule für Kommunikation und Wirtschaft in Wien die Matura ablegen. „Also, wir sind übervoll.“

Schade findet Janker, dass die Lehre teils einen schlechten Ruf hat. Diese brauche dringend eine Aufwertung – und dazu trage die Möglichkeit, nach einem Lehrabschluss die Matura abzulegen, eben bei. „Wäre ich heute noch einmal 15, würde ich mich wahrscheinlich für eine Lehre entscheiden“, sagt sie. Warum? Man lerne dort die lebenspraktischen Dinge, auch diese würden einen nicht nur gut auf das Bestehen in der Arbeitswelt, sondern auch auf ein Studium vorbereiten.

Wichtig ist ihr außerdem zu sagen: Mit der Entscheidung für eine Lehre entscheide man sich eben nicht gegen ein Studium, sondern für frühere Selbstständigkeit. Sie selbst habe ein Lehramt absolviert und könne auch aus dieser Perspektive zudem sagen: „Es ist auch für Schüler und Schülerinnen, vor allem an Mittelschulen und berufsbildenden Schulen, extrem profitabel, Lehrpersonen zu haben, die auch wissen, was in der Berufswelt gefragt ist, und die eben vielleicht selbst ein Handwerk erlernt haben.“

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