Besucher seiner Wohnung und seines Ateliers staunten stets darüber, wie sich der alte Herr in seinem Wirrwarr von Kunstgegenständen, Design-Trouvaillen und gesammeltem Alltagskram zurechtfinden könne. Als ihn etwa vor zwei Jahren der Architekturjournalist des Wiener Standard, Wojciech Czaja, fragte, wie er sich in dem Chaos seines Wohnzimmers überhaupt zurechtfinde, antwortete Yona Friedman augenzwinkernd: „Mein Atelier auf der anderen Seite des Flurs sollten Sie sehen! Dort ist Chaos. Aber das hier, das ist kein Chaos. Hier hat alles seine Ordnung und ist ganz genau durchstrukturiert. Hier die Zeichnungen, da die Fotomontagen und dort die Modelle. In einem Kistchen liegen die Korken, dort die Lämpchen, und schauen Sie hier … Erst unlängst hat mir jemand diese Plastikverschlüsse geschenkt. Sind das nicht wunderschöne Objekte? Ich denke, das könnte ein Hochhaus werden.“
Die Kombination aus spielerischem, kreativem Zugang und elegantem Hinwegwischen realer Unmöglichkeiten sollte das Leben und die Karriere Friedmans über viele Jahrzehnte bestimmen. Er selbst baute zwar kaum etwas, genoss aber unter Architekten und Stadtplanern hohen Respekt, lehrte – ohne ordentliche Professur – an renommierten Universitäten wie dem Massachusetts Institute of Technology MIT, an der Columbia University in New York, an der Harvard University sowie an der Princeton University. 2018 wurde ihm der österreichische FriedrichKiesler-Preis verliehen.
Im Kern von Friedmans Theorien standen flexible, mobile Wohneinheiten, die sich die Menschen selbst gestalten können sollten. Mit seinem Konzept der „Ville Spatiale“, der „Raumstadt“, wurde er in den späten 1950er-Jahren bekannt. Dabei handelte es sich um eine modulare Stadt auf Säulen, die man sowohl über Gewerbegrund, Bahngeleisen oder bereits benalen Sommerakademie für bildende Kunst Salzburg leiten. Friedman hatte ihn 1953 als Gastdozent am Technion in Haifa getroffen, und Wachsmanns Ideen fielen bei ihm auf fruchtbaren Boden.
Arbeit als Bauarbeiter. Friedman, 1923 geboren als János Antal Friedman, stammte aus einer jüdischen Familie in Budapest. Er studierte an der Technischen Universität Budapest, die damals noch Palatin-Josef-Universität für Technik und Wirtschaft hieß. Zugelassen zum Architekturstudium wurde er trotz sehr früher antijüdischer Beschränkungen übrigens nur deshalb, weil einer der Professoren sein Talent erkannte und ihm eine Ausnahmegenehmigung beschaffte. Friedman schloss sich während der deutschen Besetzung Ungarns dem Widerstand an und entging nur knapp der Verhaftung nach einem Verrat. Unmittelbar nach dem Krieg emigrierte er via Rumänien nach Israel. Dort schloss er an der Technischen Universität in Haifa sein Studium ab. Finanziert hatte er sein Leben übrigens als Bauarbeiter – einer der theoretischsten Architekten arbeitete wirklich physisch mit Ziegeln, Mörtel und Holz. Auch seine ersten Jahre nach dem Studienabschluss blieb er der praktischen Welt verpflichtet, er lebte von 1945 bis 1957 im Kibbuz Kfar Glikson im Hinterland von Caesarea, später in Haifa. 1957 übersiedelte er nach Paris. Schon 1956 hatte er auf dem X. Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) in Dubrovnik erstmals sein Manifeste de l’architecture mobile veröffentlicht, das „Manifest der mobilen Architektur“ über neue Konzepte von Haus- und Städtebau. Daraus sollte dann die Raumstadt, „La Ville Spatiale“, werden. Und er gründete auch rund um dieses Konzepte die Groupe d’étude d’architecture mobile (GEAM), die „Gruppe für Studien mobiler Architektur“.
Diese Gruppe, die einige Jahre lang lose zusammenarbeitete, kritisierte die damalige Städteplanung scharf. Sie sei veraltet und überteuert, führe zu Verkehrsstaus und schlechter Wohnqualität, fordere sogar die Flucht aus den Städten heraus – und bedinge damit wiederum neuen Verkehr. Die Antwort stelle eben die flexible urbane Architektur dar, in der sich die Bewohner selbst mit verwirklichen könnten, die sie auch zum Bleiben bewegte. Doch auch trotz aller internationaler Bekanntheit: Direkt umgesetzt wurde von den Konzepten Friedmans nichts. Schon bei einem ganz frühen Plan zur Bebauung von Teilen des Pariser Bois de Boulogne musste er erkennen, wie weit seine Ideen von öffentlicher Akzeptanz entfernt waren. Als er das verstand, widmete er sich nun intensiv der Lehre und dem Propagieren seiner Theorien, um damit zumindest jüngere Architekten zu beeinflussen. Dabei war er überaus fleißig und kreativ, schrieb eine Reihe von Büchern und mehr als 500 einschlägige Artikel in Fachzeitschriften. Und sein Interesse beschränkte sich nicht bloß auf das virtuelle Errichten von städtischen Strukturen und Gebäuden, sondern wucherte weiter in Richtung Soziologie. Er blieb auch geografisch nicht auf Frankreich und die reichen westlichen Länder beschränkt, im Gegenteil: Ein Gutteil seiner Studien beschäftigte sich mit „armer Architektur“, dabei versuchte er seine Konzepte des mobilen Bauens auf Länder der Dritten Welt mit ihren völlig anderen Materialien wie etwa Bambus zu übertragen. Er arbeitete wiederholt für die UNO und die UNESCO und gab Handbücher für Bau-Laien heraus. Seine umfassende Kreativität spiegelte sich in seiner eigenen Pariser Wohnung wider, heißt es in einer Biografie Friedmans: „Die Wände sind bedeckt mit allen Arten von Zeichnungen und Gemälden, in denen sich magische Figuren, etwa Einhörner, mit philosophischen Texten abwechseln. Diese Wände werden ergänzt mit Skulpturen aus gefunden Objekten und Verpackungsmaterial.“ Bei einer großen Personale in den Niederlanden im Jahr 1999 wurde sein Wohnzimmer eins zu eins präsentiert. Die Ausstellung hieß Yona Friedman. Structures serving the unpredictable: „Die Strukturen dienen dem Unvorhersehbaren.“ Friedmann starb Ende Februar in Paris.