WINA: Was war die Motivation, die Reihe Über den Holocaust sprechen zu starten?
Hannah Landsmann: Es gab einen Vorfall an einer Schule, der auch medial zu viel Aufmerksamkeit führte. Martina Maschke vom Bildungsministerium, sie war dort für den Aufbau von erinnern:at zuständig, kam mit uns ins Gespräch, und gemeinsam haben wir dann dieses Angebot entwickelt. Inzwischen nennt sich das Format Geschichte in Geschichten, und das finde ich auch passender. erinnern:at ressortiert heute zum OeAD.
Was bietet diese Reihe Lehrern und Lehrerinnen?
I Wir führen sie zu Beginn jeder neuen Ausstellung durch die Schau und erklären genau, was wir dazu methodisch an Führungen und Workshops anbieten. Je nach Thema wendet sich das Angebot nur an höhere Schulstufen, anderes kann auch von Volksschulklassen in Anspruch genommen werden.
Wie kann man an Hand der jeweils laufenden Wechselausstellung über Geschichte – und ganz speziell über den Holocaust – sprechen? Die aktuelle Schau befasst sich zum Beispiel mit G’tt. Wie stellen Sie da den Bezug her?
I Über Geschichte kann man immer reden, weil wir immer in der Gegenwart sind, und die Gegenwart hat immer ein Davor. Nun ist es so, dass das Jüdische Museum Wien kein Holocaust-Museum ist – aber der Bezug zur Shoah ist immer da. Sie kommt immer irgendwie vor. In Führungen zeige ich zum Beispiel auf ein kleines Architekturdetail und sage, auch das hat mit der Shoah zu tun, um deutlich zu machen, dass alles mit der Shoah zu tun hat. Da gibt es kein Heraus. Es ist unmöglich. Es kann das vergnüglichste Thema behandelt werden, und trotzdem hat es immer auch mit der Shoah zu tun.
„Und manchmal sind Fragen
die besseren Antworten.“
Hannah Landsmann
Wer sind die Lehrer und Lehrerinnen, die ins Jüdische Museum kommen? Haben sie eher ein persönliches Interesse, weil sie zum Beispiel Geschichte unterrichten, oder sind es Problemlagen in Klassen wie zum Beispiel antisemitische Vorfälle, die sie dazu bringen, sich hier nach unterstützenden Angeboten umzusehen?
I Beides. Oft sind es Lehrerinnen und Lehrer, die Geschichte oder Politische Bildung unterrichten oder sich im Unterricht gerade mit einem einschlägigen Thema befassen. Es kann aber auch Vorfälle gegeben haben – davon erfahren wir aber nichts. Es ist nicht so, dass die Pädagogen und Pädagoginnen diese Veranstaltung als Plattform nutzen, um uns zu sagen, wir haben diesen oder jenen Fall und wollen wissen, wie wir da jetzt intervenieren können.
Wobei ich aber in Richtung von Schulen und Lehrern und Lehrerinnen anmerken möchte: Wenn es hier Bedarf gibt, können wir das auch gerne anbieten. Wenn es also in einer Klasse oder an einer Schule eine problematische Situation gibt, können wir auch gerne kurzfristig ein dazu passendes Programm machen. Die Erwartungshaltung darf dann zwar nicht sein, dass so ein Workshop wie ein Medikament wirkt. Aber die Auseinandersetzung mit einem Thema an einem anderen Ort, in diesem Fall in einem Museum, funktioniert oft besser als das Besprechen im Klassenzimmer.
Was konnte mit der Reihe Geschichte in Geschichten bisher erreicht werden?
I Wir hatten eben die hundertste Veranstaltung der Reihe – mit entsprechend vielen Lehrerinnen und Lehrern konnten wir daher schon in Kontakt kommen. Neben den Wechselausstellungen haben wir auch Repertoire in den Dauerausstellungen in der Dorotheergasse und am Judenplatz. Wir bieten derzeit 29 Vermittlungsprogramme an. Das ist ganz schön viel.
Für uns sind diese Fokusführungen mit Pädagogen und Pädagoginnen auch eine Metaebene, wo wir nochmals hinterfragen können, ob unser Angebot funktioniert, ob das, was wir uns ausgedacht haben, auch passt. Wir bekommen so auch die Perspektive der Arbeit im Klassenzimmer. Mit diesem Dialog gelingt es uns also auch, unser Angebot noch besser auf die Bedürfnisse der Schüler und Schülerinnen anzupassen.
Spüren Sie einerseits bei der Nachfrage, andererseits auch bei den Fragen, die gestellt werden, Veränderungen seit dem 7. Oktober 2023?
I Ja und nein gleichzeitig. Von Schülerinnen und Schülern kommen generell selten wirklich problematische Fragen. Das kann ich in den fast 30 Jahren, die ich für dieses Museum arbeite, an einer Hand abzählen. Das hat verschiedene Gründe. Der Hauptgrund ist, dass die Schüler und Schülerinnen bei uns etwas tun müssen. Sie müssen Aufträge erfüllen, etwa Fotos machen oder einen Brief schreiben.
Was ich schon merke: dass es eine Unsicherheit gibt und dass sie nun ein bisschen vorsichtiger sind, was sie fragen – und dann auch wieder überhaupt nicht vorsichtig sind. Es ist derzeit schwierig – für alle Menschen. Wo steht man, was glaubt man? Die einen sagen das, die anderen jenes. Was wir daher versuchen ist, den Schülern und Schülerinnen zu vermitteln, dass das Museum ein Ort zum Reden, zum Zuhören, zum Fragen, aber auch ein Ort zum Streiten ist. Ich mag die aus meiner Sicht pathetische Formulierung „safe space“ zwar nicht, aber das Museum ist eben schon auch ein Ort, an dem wir aushalten müssen, dass jemand eine andere Meinung hat. Und das muss man verstärken und dranbleiben. Wir appellieren daher an die Schüler und Schülerinnen: Bitte stellt jede Frage, egal wie dumm sie euch zu sein scheint. Und manchmal sind Fragen die besseren Antworten.

























