Der Elefant wird immer größer

Die ÖVP, allen voran der frühere Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, nun Präsident des ÖVP Think Tanks „Campus Tivoli“, zeigte sich in den vergangenen Jahren als entschlossene Kämpferin gegen Antisemitismus.

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Die letzte Regierung aus ÖVP und Grünen beschloss und implementierte hier eine Nationale Strategie gegen Antisemitismus, sicherte mit dem „Österreichisch-Jüdischen Kulturerbegesetz“ die Existenz der jüdischen Gemeinden auch langfristig ab und machte Nachfahren von im Nationalsozialismus Verfolgten die österreichische Staatsbürgerschaft zugänglich. Anlässlich des kommenden Holocaust-Gedenktags am 27. Jänner wurde am Freitag zu einer Veranstaltung zum Thema „Gedenken. Vermitteln. Entgegentreten“ ins Parlament geladen. Von keinem der Redner und Diskutanten wurde dabei allerdings der Antisemitismus der FPÖ auch nur erwähnt.

Wenige Tage vor der Wahl des freiheitlichen Abgeordneten Walter Rosenkranz zum Ersten Nationalratspräsidenten am 24. Oktober des Vorjahres fand ebenfalls im Parlament eine andere Tagung statt: Dabei ließ der 1995 gegründete Nationalfonds seine bisherige Arbeit Revue passieren und machte einen Ausblick auf Erinnerungsarbeit und Kampf gegen Antisemitismus in der Zukunft. Damals benannte einer der Redner, was alle im Raum beschäftigte: die Kür eines Burschenschafters zum Parlamentspräsidenten. Andreas Kranebitter, geschäftsführender wissenschaftlicher Leiter des Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW), meinte da Mitte Oktober: es sei „ein Elefant im Raum“. Und: werde Rosenkranz tatsächlich gewählt, sei dieser dann auch Vorsitzender des Nationalfonds. Er, Kranebitter, werde dann bei einer solchen Veranstaltung im Parlament nicht mehr sitzen. Denn: so zu tun, als würde man gemeinsam mit Menschen, die von „Globalisten“ sprächen, Antisemitismus bekämpfen, „das geht sich nicht aus“.

Viel ist inzwischen passiert. Die Regierungsverhandlungen von ÖVP, SPÖ und NEOS sind gescheitert. Karl Nehammer ist als Bundeskanzler und ÖVP-Chef zurückgetreten. EU- und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, die wie Sobotka den Kampf gegen Antisemitismus vorantrieb, wird nächste Landeshauptfrau in Salzburg. Der neue ÖVP-Vorsitzende heißt Christian Stocker – er und sein Team verhandeln nun mit der FPÖ unter Herbert Kickl eine Regierungskoalition. Und das, obwohl die ÖVP vor der Wahl zig Mal betont hatte, nicht mit einer FPÖ unter Kickl zusammenzuarbeiten. Selbst nach Aufnahme der Koalitionsverhandlungen hielt Stocker in mehreren Interviews fest: er halte Kickl weiterhin für „rechtsextrem“ und „für ein Sicherheitsrisiko“. Doch es wird verhandelt.

Einer der ÖVP-Verhandler war Eröffnungsredner der freitäglichen Gedenkveranstaltung: Wolfgang Gerstl. Im Dezember hatte er in einem Nationalratsplenum den damals bereits amtierenden Präsidenten Rosenkranz scharf kritisiert. Es ging in der Sitzung damals einerseits um Auslieferungsansuchen der drei FPÖ-Mandatare Martin Graf, Harald Stefan und Norbert Nemeth. Die Staatsanwaltschaft wollte hier wegen des Verdachts von NS-Wiederbetätigung ermitteln. Die drei Abgeordneten sollen im September beim Begräbnis des ehemaligen FPÖ-Politikers und Burschenschafters Walter Sucher das von der SS als „Treuelied“ verwendete Lied gesungen haben. Ein viertes Auslieferungsansuchen betraf FPÖ-Chef Kickl: ihm wird vorgeworfen, in Zusammenhang mit der Vergabe von Inseraten während seiner Zeit als Innenminister vor dem U-Ausschuss falsch ausgesagt zu haben. Gerstl hielt Rosenkranz mit Verweis auf Medienberichte vor, dass dieser den Antrag zur Auslieferung Kickls nicht sofort an den zuständigen Ausschuss weitergeleitet habe. Rosenkranz meinte darauf, das entspreche nicht den Fakten und kündigte Gerichtsverfahren an, die das belegen würden.

Gerstl ist Verfassungssprecher der ÖVP. Als solcher sei er nun auch Mitglied jenes Teams, das die Regierungsverhandlungen führt, sagte er am Freitag gegen Ende seiner Eröffnungsrede. Er betonte dabei, dass Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte und der freie Rechtstaat „über alles gehen“, daher „haben wir den Mut, nicht zu schweigen, sondern Hass und Menschenfeindlichkeit entschlossen entgegenzutreten“. Er meinte auch, „wir leben in einer Zeit, in der die radikalen Kräfte an den rechten und linken Rändern auch in Österreich immer lauter werden, in einer Zeit, in dem wir den Geist des Nie Wieder entschlossen ein- und ausatmen müssen“. Und: „Es ist unsere Aufgabe, jeder Form des Antisemitismus entschiedener entgegenzutreten.“ Nur über die FPÖ war in seiner Rede nichts zu hören.

Und da war er wieder der Elefant, den Kranebitter im Oktober benannt hatte, nur dieses Mal um einiges größer als noch im Oktober. Nun geht es nicht nur um einen freiheitlichen Parlamentspräsidenten, nun geht es um eine Regierung mit einem freiheitlichen Kanzler Kickl an der Spitze. Und mit jedem Redebeitrag, in dem wieder keine klaren Worte fielen, wuchs der Elefant noch ein Stückchen weiter.

Wolfgang Sobotka führte in seiner kurzen Ansprache wichtige Punkte aus: etwa, dass es nicht nur wichtig sei zu gedenken, sondern auch das Handeln heute in den Fokus zu nehmen. Er sagte die Hamas sei die Verantwortliche für tote Kinder und Mütter in Gaza – und jeder dieser Toten sei zu viel. Verantwortlich sei aber eben die Hamas, das müsse klar benannt werden. Kinder und Frauen als Schutzschilder zu missbrauchen, sei zudem ein Kriegsverbrechen. Die Regierungen in Spanien und Irland sähen die Hamas demgegenüber als Befreiungsarmee.

Er nahm aber auch Europa in die Pflicht: in Gaza sei ein Tunnelsystem „größer als das U-Bahnnetz in Wien“ gebaut worden. Da habe Europa vieles an Geld hingeschickt. „Warum ist das kein Singapur geworden? Warum ist das ein Zentrum des Terrorismus geworden? Weil wir weggeschaut haben.“ Er prangerte weiters die Verharmlosung des Holocaust durch eine Gleichstellung mit einem „genozidalen Vorgehen Israels“ an.

Aus all dem ergebe sich ein Auftrag: jüdisches Leben zu stärken. Und, so Sobotka: „Gedenken ohne heutigen Auftrag bleibt ein schales Gedenken.“ Doch auch er sprach die FPÖ und die laufenden Koalitionsverhandlungen seiner Partei mit dieser FPÖ nicht an. Zu jüdischem Leben gehört zum Beispiel auch koscheres Essen. Die FPÖ tritt – zwar im Hinblick auf Muslime, treffen würde es dann auch die jüdischen Gemeinden – für ein Verbot des rituellen Schächtens ein.

Hannah Lessing, Vorständin des Nationalfonds der Republik Österreich, meinte: Seit 30 Jahren sei der Nationalfonds dem Gedenken an die Opfer, der Vermittlung von Wissen um die NS-Diktatur und dem Eintreten gegen eine Wiederholung von Geschichte sowie dem „Wehret den Anfängen“ verpflichtet, „wobei wir heute nicht mehr guten Gewissens nur von Anfängen sprechen können“. Der sichere Hafen sei dabei noch nicht erreicht, vielmehr scheine das Ziel, das man erreichen wolle, immer wieder zu entgleiten. Dennoch: seit der Gründung des Nationalfonds habe sich im gesellschaftspolitischen Umgang mit der Zeit des Nationalsozialismus viel verändert. Der kritische Umgang mit dieser Zeit sei auch in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Lessing meinte dann aber auch: „Daneben gibt es aber auch die andere Seite. Es ist erstaunlich nach so vielen Jahren der Vermittlung, dass immer noch so viele Menschen nicht erreicht werden konnten, dass viele der alten Denkmuster weiter da sind.“ Der Antisemitismus sei tief verwurzelt, Vorurteile würden über Generationen weitergegeben. Doch man könne die Übernahme von Haltungen nicht verordnen, das sei ein Lernprozess, der nie abgeschlossen sei und immer wieder neu begonnen werden müsse. Erinnerungskultur bleibe eine Sisyphosaufgabe. Und, erraten: Die FPÖ sprach auch Lessing nicht direkt an.

Indessen präsentierte zeitgleich zu dieser Veranstaltung das DÖW den Rechtsextremismusbericht für die Jahre 2020 bis 2023. Darin werden auch direkte Verbindungen der FPÖ zur rechtsextremen Szene beschrieben, wie etwa zur Identitären Bewegung. Das völkische Milieu, zu dem die Burschenschaften zählen, sei zudem ein traditioneller „Pfeiler des österreichischen Rechtsextremismus“, wird festgehalten. Genau aus diesen Burschenschaften kommen aktuell einige der FPÖ-Mandatare – darunter eben auch Rosenkranz.

SPÖ, Grüne und NEOS kritisierten die FPÖ entsprechend. Aus der ÖVP meldete sich der neue Generalsekretär Alexander Pröll zu Wort: „Wir lehnen Rechtsextremismus, aber auch jede andere Form von Extremismus strikt ab“. Der Bericht sei Anlass „klarzustellen, dass wir rechtsextremistisches Gedankengut ablehnen und es in der Volkspartei auch keinen Platz hat“.

Die Koalitionsverhandlungen zwischen ÖVP und FPÖ laufen indessen weiter. ÖVP-Chef Stocker betonte zwar ebenfalls am Freitag, die FPÖ müsse sich „vom rechten Rand in die Mitte“ bewegen, ansonsten werde sich eine Regierung mit der ÖVP nicht ausgehen. Einmal mehr benannte er dabei aber keine konkreten roten Linien. Entscheidend werde laut Stocker sein: „Ist die FPÖ bereit zu einem klaren Bekenntnis zur EU, in der Österreich ein konstruktiver Partner bleibt, und ist sie bereit, unsere Souveränität gegenüber Einflüssen aus dem Ausland zu schützen?“ Sicherheit und Landesverteidigung, Rechtsstaat, liberale Demokratie, Medienfreiheit und der Kampf gegen Antisemitismus müssten gewährleistet sein. Auch in diesem Statement sprach Stocker allerdings nicht den Antisemitismus innerhalb der FPÖ an. Ja, der Elefant ist inzwischen mehr als ausgewachsen.

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