Der erste bucharische Rabbiner Wiens

Seit 1981 wirkt Moshe Israelov als Rabbiner der Wiener bucharisch-jüdischen Gemeinde. Viel hat sich in diesen Jahrzehnten verändert, sagt er. Stolz ist er vor allem darauf, dass die Community religiöser wurde. „In den ersten Jahren kamen die Menschen mit sehr einfachen Fragen zu mir. Heute führen wir tiefgehende Diskussionen.“

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Foto: Daniel Shaked

Religiöse Traditionen waren Moshe Israelov nicht in die Wiege gelegt. 1960 in Duschanbe im heutigen Tadschikistan, damals Teil der Sowjetunion, geboren, emigrierte er im Alter von 13 Jahren mit seinen Eltern und drei Geschwistern nach Israel. Er besuchte eine Jeschiwe, wurde zum Schochet, Mohel und Rabbiner ausgebildet, und rasch galt die Familie Israelov, die so wie viele andere bucharische Olim chadaschim Anfang der 1970er-Jahre in Neve Yaakov in Jerusalem eine neue Heimat gefunden hatten, als religiös – in der damaligen Zeit sei das noch eher unüblich gewesen, erzählt Israelov heute. Inzwischen seien viele bucharische Juden nicht nur in Wien, sondern auch in Israel observanter geworden.

1981 war Israelov bereits verheiratet und eines seiner schließlich fünf Kinder geboren. Deutsch sprach der junge Rabbiner noch nicht, doch in der Jeschiwe hatte er Jiddisch gelernt. Mit Russisch, der Schulsprache in der Sowjetunion, und Bucharisch, dem Familienidiom, sowie Iwrit standen ihm zudem drei Sprachen zur Verfügung, die ihm die sofortige Kommunikation mit jenen erlaubte, die er als erster bucharischer Rabbiner in Wien betreuen und begleiten sollte: bucharische Juden, die teils in Wien gestrandet und teils bewusst – etwa, weil bereits Familienmitglieder hier lebten – nach Österreich gekommen waren und sich hier niedergelassen hatten.

„Es ist besser, überhaupt zu beten, egal nach welchem
Ritus, als gar nicht mehr zu beten.“
Rabbiner Moshe Israelov

Nach über 40 Jahren als Rabbiner in Wien schaut Israelov durchaus zufrieden zurück. Ziel sei gewesen, die Menschen, denen der Kommunismus die Religionsausübung untersagte, wieder mit ihren Traditionen vertraut zu machen. Das sei gelungen. Von den 600 bis 700 bucharisch-jüdischen Familien, die heute zur Gemeinde zählen, seien grob geschätzt 30 Prozent inzwischen stark religiös, weitere 30 bis 40 Prozent würden traditionell leben. Völlig assimiliert seien seiner Schätzung nach maximal fünf Prozent, der Rest sei zwar nicht religiös, habe aber eine klare jüdische Identität. Den meisten Gemeindemitgliedern sei es wichtig, jüdisch zu heiraten.

Über die Jahre habe er in seiner Funktion als Seelsorger aber auch vielen Menschen in persönlichen Krisen beistehen und sie unterstützen können. Und er habe viele Familien und Gemeindemitglieder nicht nur durch den Jahres-, sondern den Lebenskreis begleitet: „Ich mache alles, angefangen von der Brit Mila über Hochzeiten bis zu Begräbnissen.“ Aus heutiger Sicht soll das auch so bleiben. Obwohl Israelov in einem Jahr offiziell in Pension gehen könnte, sieht er sich auch dann bei seiner bucharischen Gemeinde in Wien. „Mein Leben als Rabbiner macht mir Freude.“

Foto: Daniel Shaked

Seine Frau sehe das etwas anders. „Sie möchte gerne zurück nach Israel gehen – vier unserer Kinder und unsere mehr als 20 Enkelkinder leben dort.“ Hier ist der Rabbiner allerdings konservativ: „Wir sind seit 45 Jahren verheiratet, und ich sage ihr immer: Eine Frau muss dort sein, wo ihr Mann ist.“ Nachfrage: Aber dass sie hin und wieder zu den Kindern reise, sei wohl kein Problem. Nein, natürlich nicht, sagt der Rabbiner und schmunzelt. Relativ gelassen erzählt er auch, dass eines seiner fünf Kinder – ein Sohn – im Gegensatz zu seinen Geschwistern nicht religiös lebe und bisher auch nicht geheiratet habe. Ja, anders wäre es ihm natürlich lieber, und einverstanden sei er damit nicht, aber das sei natürlich zu respektieren.

Sein Vater, der 1940 in Duschanbe zur Welt kam, habe geheim, in einem Keller, beschnitten werden müssen. Es sei, so die Familienerzählung, schwer gewesen, überhaupt jemanden zu finden, der die Brit Mila durchführe. Für religiöse Handlungen wie diese habe es unter Josef Stalin drakonische Strafen gegeben, es hätte Sibirien gedroht. „Das waren schwierige Zeiten, die auch viele Juden weit vom Judentum entfernt haben.“ Zu sehen, wie sehr das jüdische Leben unter bucharischen Juden heute in Wien blühe, sei daher eine Freude. Und eben auch ein Grund zu bleiben.

Dass Moshe Israelov hier nun schon seit mehr als 40 Jahren als Rabbiner wirkt, daran hatte auch Rabbiner Jacob Biderman von Chabad seinen Anteil. Über seine Vermittlung kam Israelov nach Wien. „Chabad hat der bucharischen Gemeinde sehr geholfen“, sagt der Rabbiner. Inzwischen sei es eher ein Konkurrenzverhältnis. „Damals waren sie ein Partner, später wollten sie die Kontrolle“, davon habe man sich zunehmend abgegrenzt. Dabei geht es auch um das Bewahren des bucharisch-sefardischen Ritus. „Bei Chabad haben sie andere Minhagim.“ Im Beit Halevi, wo viele bucharische Juden angedockt hätten, setze man auf eine Art Mittelweg. Grundsätzlich wäre es Rabbiner Israelov am liebsten, alle bucharischen Juden würden weiter die bucharischen Traditionen pflegen. „Aber es ist besser, überhaupt zu beten, egal nach welchem Ritus, als gar nicht mehr zu beten“, setzt er nach.

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