„Der ewige Opportunismus im Leben und am Theater“

Der vielseitige Florian Teichtmeister wechselt derzeit am Theater in der Josefstadt immer wieder von der Rolle des Juden Arthur Kirsch in die des Antisemiten Professor Ebenwald.

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Florian Teichtmeister - 1979 in Wien geboren, absolvierte das Max Reinhardt Seminar, wo er u. a. mit Klaus Maria Brandauer und Samy Molcho arbeitete. Bereits während des Studiums war er auf einigen österreichischen Bühnen zu sehen. Mit angesehenen Regisseuren wie Götz Spielmann, Harald Sicheritz und Michael Haneke begann seine Filmkarriere ab 2000. Teichtmeister erhielt zahlreiche Theater- und Filmpreise und ist seit 2005 Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt. Ab 2013 spielte er bei den Salzburger Festspielen und am Wiener Burgtheater. Seit 2007 unterrichtet er am Reinhardt Seminar. © Reinhard Engel

Interview mit Florian Teichtmeister

WINA: Sie spielen derzeit mit großem Erfolg die Rolle des Arthur Kirsch in Felix Mitterers Drama In der Löwengrube. Dabei geht es um die wahre Geschichte des jüdischen Schauspielers Leo Reuss, der sich und seine Karriere in der NS-Zeit rettet, indem er die Identität eines Bergbauern annimmt und so auf die Bühne zurückkehrt. Wie haben Sie sich auf diese diffizile Rolle vorbereitet?

Florian Teichtmeister: Sie meinen den Menschen dahinter. Jedenfalls bemühe ich mich bei der Vorbereitung auf die Figur, meine berufliche Erfahrung der letzten zwanzig Jahre zu verwerten, um Fehler nicht zu wiederholen. Denn es passiert so leicht, dass man in die Heldenfalle tappt, wenn jemand etwas Übermenschliches tut. Kirsch blickt der nackten Angst ums eigene Leben ins Auge und steigt dabei in die Höhle des Löwen. Da ist man versucht, aus der Figur einen Märtyrer zu machen. Ich empfinde das unmenschlich, weil es zu perfekt ist. Bei Kirsch geht es um das sehr menschliche Bedürfnis, eine gewisse Gerechtigkeit wiederherzustellen, und das macht ihn dann in meiner Welt wiederum zu einem normalen Menschen.

Leo Reuss alias Arthur Kirsch möchte nach dem Rausschmiss 1935 durch seine Verwandlung zu einem bäuerlichen Urtalent die Absurdität der NS-Rassentheorie aufzeigen. Also jüdische gegen arische Bühnenkunst ausspielen?
Ja, er will das System diffamieren, ad absurdum führen. Er zeigt aber auch die Verletzung des Schauspielers, dessen Wert nie richtig erkannt wurde, der wegen seiner Herkunft oder Zugehörigkeit verjagt wird. Mitterer gibt Kirsch gleich zu Anfang des Stückes diesen Moment, sich zu bekennen. Das ist ein starker und mutiger Charakterzug, mit dem er auch klar aufzeigt, wie vertrottelt das Ganze ist: Nur im Wissen, dass das eine das jüdische Talent zu sein scheint und das andere ein arisches Können ist, findet man das eine gut und das andere schlecht.

Die Premiere fand ganz bewusst an einem historischen Datum statt: genau 80 Jahre nach Hitlers Rede am Heldenplatz. Sehen Sie persönlich auch eine aktuelle Dimension in diesem Stück?
Ja, ich sehe eine aktuelle Botschaft darin, möchte mich aber ungern unter Druck der social media mit spontanen Kommentaren zum politischen Tagesgeschehen hervortun. Mich beschäftigen die langfristigen Dimensionen viel mehr. Ich fühle mich manchmal gedrängt, schnell eine Meinung äußern zu müssen. Aber ich finde, Haltungen sind ein Ergebnis eines gedanklichen Prozesses und nicht deren Anfang. Bei diesem Spiel will ich nicht mitspielen – mich auf Zuruf einer politischen Partei zu empören. Da die Politik ein Geschäft mit der Aufmerksamkeit ist, hoffe ich darauf, dass sich gewisse Sachen totlaufen, weil sie sich einfach nicht mehr verkaufen lassen.

„Da die Politik ein Geschäft mit der Aufmerksamkeit ist, hoffe ich darauf, dass sich gewisse Sachen totlaufen, weil sie sich einfach nicht mehr verkaufen lassen.“

Sie bestrafen die Politik mit Schweigen?
Es gibt dabei natürlich Grenzen: Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die wachsam sind und diese Momente dokumentieren. Würde das niemand tun, könnte ich mich nicht auf diese luxuriöse Position zurückziehen. Ich könnte es mir nicht leisten, randständig zu sein. Wir erleben aber, was dieses Theaterstück ewig gültig macht: Das ist der menschliche Opportunismus, letztlich auch die Eitelkeit des Künstlers. Deswegen sage ich auch sehr plump und frech, ich kann mit der Selbstgerechtigkeit vieler Theaterleute manchmal wenig anfangen: Wenn ich sehe, wie opportunistisch man 2018 ohne Druck von oben sein kann, möchte ich nicht wissen, wie das vor 80 Jahren gewesen wäre. Manche schreien laut, weil sie sich beweisen müssen, dass sie vor 80 Jahren nicht in Versuchung geraten wären. Ich kann nur hoffen, dass es mit mir nicht gegangen wäre. Wenn ich sicher sein könnte, wäre ich glücklicher.

© Reinhard Engel

Sie spielen derzeit am Theater in der Josefstadt gleichzeitig zwei sehr unterschiedliche Charaktere: einerseits den antisemitischen Dr. Ebenwald in Schnitzlers Dr. Bernhardi und die Rolle des gedemütigten jüdischen Schauspielers Kirsch. Wie ergeht es Ihnen, wenn ein Abend auf den anderen folgt?
Ich versuche von vornherein, Klischees zu vermeiden. Der geifernde Judenhasser hilft mir nicht in der Darstellung des Professor Ebenwald, damit mache ich ihn ungefährlich. Ich darf den glühenden Antisemiten, der in seiner Wahnvorstellung verbissen ist, dass die Juden etwas Böses tun wollen, nicht zum Verrückten stempeln, sonst mache ich ihn harmlos. Wichtiger ist es, die latente Form des Antisemitismus anzuzapfen. Der Rollenwechsel fällt mir nicht so schwer, denn in ihrer jeweiligen Welt haben beide Figuren Recht, und nur das muss der Schauspieler folgerichtig transportieren. Nichts davon entspricht meiner persönlichen Haltung, aber das ist auch nicht die Aufgabe.

Im ersten Bild spielen Sie in einer sehr berührenden Szene den Juden Shylock aus Shakespeares Kaufmann von Venedig. Haben Sie diese Rolle schon einmal verkörpert?
Nein, leider noch nicht. Das würde ich natürlich sehr gerne spielen. Wie auch Shakespeares Richard III.

„Jeder Mensch hat Träume, die sich nicht erfüllen, vergehen oder nur zum Teil verwirklicht werden.“
Florian Teichtmeister

Welche Themen interessieren Sie am Theater?
Die persönlichen Verletzungen, Verwerfungen, Träume, Sehnsüchte eines Menschen und der Versuch, diese zu erreichen oder damit fertig zu werden, wenn das nicht gelingt. Das ist nämlich ein Topos, der sich nie verändert. Jeder Mensch hat Träume, die sich nicht erfüllen, vergehen oder nur zum Teil verwirklicht werden. Ich bin immer wieder begeistert, wenn ich sehe, wie Figuren am Theater so menschlich sein dürfen, in dem, was sie da tun, entweder als Bösewichte oder Antipoden dazu. Ich bin kein Anhänger des Performance-Theaters, ich bin textlastig und ein Verfechter des Geschichtentheaters.

Unter der Direktion Hartmann haben Sie auch am Burgtheater große Rollen gespielt. Wie wird das bei Martin Kusej sein?
Ich habe mit Kusej 2016 an der Burg die Hexenjagd gemacht, die jetzt eine Wiederaufnahme erlebt. Außerdem bin ich auch in Bahrs Konzert besetzt. Also ich spiele in je zwei Stücken an beiden Theatern. An meiner Auslastung hat sich auch mit Karin Bergmann nichts geändert. Man wird sehen, was die Zukunft bringt.

Was machen Sie lieber: Film oder Theater?
Da darf ich Otto Schenk zitieren: Ich erhole mich beim Theater vom Film und beim Film vom Theater. Derzeit kann ich mir nicht vorstellen, auf eines von beiden zu verzichten. Aber ich sage ganz mutig: Das Theater ist meine schauspielerische Heimat.

 


© ullstein bild – Atelier Jacobi / Ullstein Bild / picturedesk.com

Leo Reuss – die Vorlage für Felix Mitterer

Die Geschichte des 1891 in Dolyna, Galizien, geborenen Leo Moritz Reis, Künstlername Leo Reuss, diente Felix Mitterer als Grundlage für sein Theaterstück In der Löwengrube. Leo war der Sohn eines jüdischen Tierarztes in Wien. Er absolvierte die Akademie für Musik und darstellende Kunst, war Soldat im Ersten Weltkrieg und ab 1921 bereits an den Hamburger Kammerspiele engagiert. Bald wechselte er an die namhaftesten Bühnen in Berlin. 1934 erhielt er Arbeitsverbot und floh 1935 vor den Nazis nach Österreich.

Aber auch hier bekam er keine Rollen und verschwand still und leise nach Salzburg in die Villa seiner Frau Agnes Straub. Dort plante er einen Geniestreich: Im Sommer 1936 ließ er sich einen Vollbart wachsen, blondierte sein Haar, eignete sich den lokalen Dialekt an und verwandelte sich langsam in einen vorzeigearischen Salzburger Bauern. Kaspar Altenberger, Landwirt aus Taxbach, lieh ihm seinen Tauf- und Heimatschein. Reuss sprach daraufhin in Salzburg bei Max Reinhardt vor, und der gab dem „talentierten Bauern“ ein Empfehlungsschreiben an Ernst Lothar, Direktor des Theaters in der Josefstadt. Dieser engagierte ihn sofort, und am 2. Dezember 1936 gab er bereits seine Debütrolle in der Schnitzler-Novelle Fräulein Else.

Die Kritiken waren sehr positiv, die rechtslastige Presse jubelte: „Endlich einmal wehte von der Bühne reine Tiroler Bergluft.“ Reuss gab daraufhin seine wahre Identität preis – und Direktor Lothar zeigte ihn wegen Betruges und Urkundenfälschung an. Ohne weitere Rollenangebote floh Reuss 1937 in die USA. Dort spielte er in rund 45 Filmen unter dem Namen Lionel Royce größere Nebenrollen.

 

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