Thomas Soxberger übersetzt heute aus dem Jiddischen und schreibt Prosa und Lyrik in dieser Sprache. Wie aus einem niederösterreichischen Bauernsohn ein Jiddist wurde. Von Alexia Weiss
Wenn Thomas Soxberger im Plenarsaal des Nationalrats sitzt und als Redakteur des parlamentarischen Pressedienstes zu Papier bringt, was die Abgeordneten in ihren Debattenbeiträgen bewegt, wissen wohl die wenigsten von seiner Leidenschaft: dem Jiddischen. Als er zu studieren begann, in den Achtzigerjahren, hatten die einschneidenden Waldheim-Jahre gerade begonnen. Und schon vorher muss etwas in der Luft gelegen haben, der Wind drehte sich, Zeitgeschichte wurde interessant. Soxberger, aufgewachsen in einer katholischen Bauernfamilie in Niederösterreich, entschied sich für ein Geschichts- und Judaistikstudium.
Studium in Wien und London
Die Familie konnte damit nicht viel anfangen, doch das wäre auch so gewesen, hätte er sich ein anderes sprachlich-kulturhistorisches Studium ausgesucht, sagt er heute. Für die Großeltern-Generation wäre es noch unvorstellbar gewesen, zu studieren. Doch das Landleben hatte sich massiv verändert. Die Matura war der erste Schritt hinaus, und dann sei es auch immer schon so gewesen, „dass mein Bruder viel lieber mit dem Traktor gefahren ist als ich“. Heute führt der Bruder auch den Hof – und Soxberger hat inzwischen nicht nur in Wien studiert, sondern auch in London ein MA-Programm absolviert. Möglich sei das allerdings nur durch die großzügige Stipendienpolitik in den Achtziger- und Neunzigerjahren gewesen, betont er.
Dass sich der ganze Unibereich derart ändern würde, sei damals nicht abzusehen gewesen. Wenn er heute sieht, wie sich Kollegen mit zeitlich befristeten wissenschaftlichen Projekten über Wasser halten, weiß er auch gar nicht, ob es ihm wirklich leidtun soll, dass aus der großen wissenschaftlichen Karriere nichts wurde. Die Redakteursstelle im Parlament sorgt jedenfalls für eine gut abgesicherte Existenz. Und das Jiddische ist ein Thema, das seine Freizeit ausfüllt.
Bei Or Chadasch eine neue Heimat gefunden
Aber nicht ausschließlich. Denn inzwischen hat Soxberger auch den Weg ins Judentum gefunden. Das habe sich schon während des Studiums abgezeichnet und viele Jahre habe er bereits in der Gemeinschaft von Or Chadasch eine neue Heimat gefunden. Vor fünf Jahren dann machte er auch den formalen Übertritt nach liberalem Ritus. Und sagt: „Es ist einfach ein religiöses Bedürfnis da.“ Schabbat und jüdische Feiertage verbringt er bei Or Chadasch, „man lernt allmählich, wie man seine Woche einteilt“. Und auch koscher hält er, soweit es geht. Im Restaurant wird eben vegetarisch gegessen.
Wie das alles daheim am Bauernhof aufgenommen wurde? „Es wurde nur allmählich akzeptiert.“ Und auf Fragen zur NS-Zeit, wie sich seine Vorfahren damals verhalten haben, fällt ihm die Antwort nicht leicht: „Meine Großeltern datierten viele Ereignisse ihres Lebens nach „vor dem Krieg – im Krieg – nach dem Krieg“. Wie sie sich verhalten haben? Nicht anders als die Mehrheit. „Ich würde meinen, es gab eine Art Mitläufertum oder Akzeptanz dessen, was ‚die da oben‘ machen. Das hatte sicher auch mit der Krise der Bauern in den Dreißigerjahren zu tun. Man hoffte irgendwie, dass der ‚Anschluss‘ Verbesserungen bringt. Aber dass die Familie sehr katholisch war, schuf auch eine gewisse Distanz zur NS-Ideologie. Dabei spielte natürlich der Anti-Klerikalismus der Nazis eine Rolle. Man wusste sicher auch, dass das NS-Regime brutal war. Aber das war eben Politik – per se etwas eher Anrüchiges.“
Am Jiddischen faszinierte Soxberger zunächst, „dass es vertraut klingt und doch so anders ist“. Vehement betont er, dass Jiddisch eine eigene Sprache ist, auch wenn sich immer wieder Leute finden, die ihm jeder linguistischen Erkenntnis zum Trotz die Stellung als Sprache oder eine Grammatik absprechen. Nach Ansicht Soxbergers gäbe es durchaus Argumente, Jiddisch auch in Österreich als Minderheitensprache anzuerkennen. Dann wäre vielleicht auch in Wien seine Existenz gesichert.
Das Jiddische erhalten
Dass das Jiddische tot sei: dagegen schreibt der Judaist allerdings seit Jahren an. Einerseits werde das Jiddische heute immer noch, vor allem bei Chassidim, im Alltag verwendet. In Wien gibt es heute einige Familien, in denen die Kinder Jiddisch sprechen, auch im Kindergarten. Und andererseits bemühen sich auch nicht religiöse Menschen, das Jiddisch zu erwerben – um darüber zu forschen, aber auch, um es zu erhalten.