Fiorello Henry LaGuardia – Der kleine, große Mann mit Wurzeln in Triest

Fiorello Henry LaGuardia war einer der erfolgreichsten Bürgermeister von New York City. Nur wenige wissen, dass seine jüdische Mutter erst kurz vor seiner Geburt aus der Donaumonarchie eingewandert war.

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Henry La Guardia, Sohn einer jüdischen Einwanderin aus der Donaumonarichie, war von 1934 bis 1945 Bürgermeister von New York. © Science Source/PhotoResearchers/picturedesk.com

Vor 100 Jahren, unmittelbar nach seinem Kriegsdienst in Europa, entschloss sich ein junger Kongressabgeordneter, es mit der New Yorker Lokalpolitik zu versuchen. Er sollte später einer der erfolgreichsten Bürgermeister der Metropole werden, einer der entscheidendsten Kämpfer gegen die Depression der 30er-Jahre, ein früher Warner vor Hitler und ein Begründer von Sozialbauten und moderner Infrastruktur. Der Inlandsflughafen ist nicht zuletzt deshalb heute nach ihm benannt.
Geboren wurde Enrico, Henry, im Jahr 1882 in New York. Seine Eltern, Achille Luigi La Guardia und Irene Luzzato Coen, waren erst zwei Jahre zuvor in die USA eingewandert. Sein Vater war ein Katholik aus Apulien, seine Mutter eine Jüdin aus dem damals noch österreichischen Triest. Ihre Vorfahren Coen, Spaniolen aus Split, waren wegen des ökonomischen Niedergangs der dalmatinischen Hafenstadt in das blühende Triest gezogen. Mit Samuel Daniel Luzzatto hatte sie aber auch einen berühmten Triestiner Gelehrten unter ihren Ahnen, die Luzzattos stammten aus Padua. Die Vielsprachigkeit, die Henry nicht zuletzt von seiner Mutter erbte, und sein eigenes Sprachtalent sollten La Guardia später noch bei seiner Karriere und seinem politischen Aufstieg helfen.

Er warnte davor, dass Hitler die deutschen Juden vernichten werde, und sprach sich für die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge in den USA aus. 

Englisch, Italienisch, Jiddisch. La Guardias Vater arbeitete für die US-Armee und wurde innerhalb der Vereinigten Staaten in entfernte Garnisonen versetzt, nach South Dakota und nach Arizona. Seine Familie folgte ihm, doch er starb 1898, vermutlich an verdorbenen Dosenlebensmitteln. Skandale mit minderwertigen Armeerationen waren damals nicht selten, Biografen von La Guardia sehen darin auch eine Motivation für seine spätere harte Haltung im Kampf gegen Korruption.
Zunächst aber trat Henry La Guardia nach seinem High-School-Abschluss in das amerikanische Außenamt ein und wurde als kleiner Konsularbeamter ins Ausland geschickt, in die österreichische Doppelmonarchie, zunächst nach Budapest und später nach Fiume, ins heutige kroatische Rijeka. Doch bald wurde ihm klar, dass er ohne Studium kaum Karriere machen würde. Er kehrte 1906 nach New York zurück und inskribierte Jus. Für seinen Lebensunterhalt arbeitete er als Übersetzer bei der Einwanderungsbehörde – er sprach außer Englisch und Italienisch noch Jiddisch, Deutsch und Serbokroatisch – und engagierte sich in einer Gesellschaft für Kinderrechte. Nach seinem Abschluss 1916 eröffnete er ein Büro, das sich der rechtlichen Vertretung von ausgebeuteten – of jüdischen, frisch eingewanderten – Textilarbeitern widmete.
Und er begann seine politische Laufbahn. 1916 kandidierte er als Republikaner für das Repräsentantenhaus. Er hielt Reden in mehreren Sprachen, in denen er sich direkt an die Immigranten wandte, und er schlug seinen demokratischen Gegner knapp. La Guardia war damit der erste Abgeordnete mit italienischem Background.
Dann kam der Erste Weltkrieg. La Guardia meldete sich trotz seines politischen Mandats freiwillig: „Ich war 34 Jahre alt, äußerst fit, aber leider zu klein für die Infanterie“, sagte La Guardia später über sich selbst. Allerdings schien er den US-Militärs dennoch gut geeignet – für eine besondere Aufgabe. Er hatte bereits 1915 eine Grundausbildung als Pilot absolviert, er sprach gut italienisch, und er hatte als Kongressabgeordneter politisches Gewicht. Also sandte man ihn nach Italien, um dort sowohl die Ausbildung von US-Piloten wie auch die Beschaffung von neuen Flugzeugen zu koordinieren. Die USA verfügten zu ihrem Kriegseintritt 1917 über keine nennenswerte Luftwaffe. Für den Einsatz auf dem französischen – und später italienischen – Kriegsschauplatz musste man erst Piloten ausbilden, und man hatte in Italien schwere dreimotorige Caproni-Doppeldecker-Bomber geordert.
Die Ausbildung von 400 US-Rekruten durch Amerikaner und Italiener fand in Foggia statt, südöstlich von Rom. Zufälligerweise stammte La Guardias Vater von dort. Die Flugzeuge wurden in einer Fabrik in Mailand gebaut.
La Guardia pendelte zwischen Foggia, Mailand und Rom, hielt Kontakt mit den italienischen Militärs, mit den industriellen Lieferanten, traf auch König Viktor Emanuel III. Und er kam sogar selbst zum Kampfeinsatz. Mehrere Male flog Major La Guardia 1918 Bomben- oder Flugblattangriffe von Padua aus an der Piave-Front, wo einander damals nach dem Durchbruch vom Isonzo österreichische und deutsche Soldaten auf der einen Seite, italienische, französische, englische und –wenige – amerikanische auf der anderen gegenüber standen. Nach dem Kriegsende und seinem Abrüsten entschloss er sich, in die New Yorker Kommunalpolitik einzutreten, und war von 1920 bis 1922 republikanischer Präsident des New Yorker Stadtparlaments.
Hier ereilte ihn ein privater Schicksalsschlag. Seine Frau erkrankte an Tuberkulose, er pflegte sie aufopfernd eineinhalb Jahre lang bis zu ihrem Tod. Allerdings kompensierte er seinen Leidensdruck bald mit Alkohol, wurde zeitweise abhängig. Doch er konnte sich wieder erfangen und kehrte auf die nationale politische Ebene zurück. Jahre später sollte er seine Sekretärin heiraten und mit ihr eine lange, glückliche Ehe führen, sie adoptierten zwei Kinder.

D-Day-Rally auf dem
Madison Square am 6. Juni 1944, während die alliierten Truppen in der Normandie landeten.
© NARA; Science Source / PhotoResearchers / picturedesk.com

Meister des Coalition Building. 1922 kandidierte er abermals für das Repräsentantenhaus, diesmal gegen einen jüdischen Demokraten. Dieser versuchte ihn in seinen Wahlkampfbroschüren als Antisemiten und Judenhasser zu denunzieren. La Guardias Berater drängten ihn, dem seine eigene jüdische Herkunft entgegenzusetzen. Er fand das allerdings zu platt und reagierte elegant über die Bande. In einem selbst verfassten ganzseitigen Artikel in einer jiddischen Zeitung forderte er seinen Gegner zu einer politischen Debatte auf Jiddisch heraus. Dieser konnte das nicht, und La Guardia schaffte die Mehrheit.
Dies hätte er aber in seinem Wahlbezirk East Harlem freilich nicht alleine mit der Jewish Vote erreichen können. La Guardia war ein Meister des Coalition Building, und er bastelte erstaunlich breite ethnische und politische Allianzen. So standen hinter ihm sowohl Italiener, Deutsche und Juden wie als auch bürgerliche Republikaner und radikal linke Gewerkschafter.
Der gemeinsame Feind waren die korrupten Demokraten, die die Stadt damals fest in ihrer Hand hatten. Unter dem Schlagwort Tammany Hall, einem Parteigebäude in Manhattan, hatten die führenden Vertreter dieser politischen Maschine ihre Macht brutal ausgenutzt, mit legendären Kick Backs bei öffentlichen Aufträgen. Im Kongress setzte sich La Guardia – obwohl Republikaner – weiterhin für Arbeitnehmerrechte ein, und er war maßgeblich daran beteiligt, Gesetze gegen Korruption zu verschärfen, im Andenken an seinen einst vergifteten Vater. Wirtschaftspolitisch hielt er eher linke Positionen: Er trat für eine progressive Einkommenssteuer ein, ebenso für eine striktere Regulierung der Wall Street. Und La Guardia bekämpfte Einwandererquoten, war einer der ersten bekannteren US-Politiker, der sich gegen Hitler und die Nazis aussprach.
Auch bei seiner – erfolgreichen – Kampagne für den Posten des New Yorker Bürgermeisters im Jahr 1934 gelang es ihm, eine ähnliche bürgerlich-linke Koalition zu schmieden. Und wiederum sollte der Kampf gegen das korrupte demokratische System eines der Hauptargumente bieten. Bald wurde La Guardia – wegen seiner Ein-Meter-55-Körpergröße „Fiorello“, Blümchen genannt – zu einem der wichtigsten überregionalen Verbündeten von Präsident Franklin Delano Roosevelt und dessen Wirtschaftsprogramm New Deal. Roosevelt war zwar Demokrat, aber die beiden konnten gut miteinander, vielleicht auch, weil beide als Freimaurer eine überparteiliche Plattform teilten.

Henry La Guardia mit Franklin D. Roosevelt im Hyde Park. © NARA; Science Source / PhotoResearchers / picturedesk.com

Hinter ihm standen Italiener, Deutsche und
Juden, bürgerliche Republikaner
und radikal linke
Gewerkschafter.

New Deal als Chance. La Guardia erkannte die riesigen Chancen des New Deal für seine Stadt, er schöpfte für den Kampf gegen die Wirtschaftskrise die Geldmittel des öffentlichen Investitionsprogramms so weit wie möglich aus. Etwa 20 Prozent der staatlichen Fördergelder sollen dadurch allein nach New York City geflossen sein.
Gebaut wurden damit nicht nur erstmals Sozialwohnungen in erheblichem Umfang, sondern auch große Teile der modernen Infrastruktur der Stadt: zwei Flughäfen (Idlewild, der heutige internationale John F. Kennedy Airport und der regionale New York Municipal Airport, später nach La Guardia selbst benannt), der West Side Highway, der East River Drive, der Brooklyn Battery Tunnel oder die Triborough Bridge. La Guardia eröffnete 1939 die New Yorker Weltausstellung im Flushing Meadows Park in Queens, und er kaufte für die Stadt mehrere U-Bahn-Linien von Privaten auf, schuf damit die Grundlage für die New York Transit Authority.
Aber er hatte auch seine Fehler. Gestählt und abgehärtet vom Kampf gegen korrupte Politiker und Beamte entwickelte La Guardia selbst einen Führungsstil, den manche als an der Grenze zum Autoritären bezeichneten. Und er kapitulierte – ganz im Zeitgeist der amerikanischen 30er-Jahre – trotz U-Bahn-Investitionen vor dem Auto auf der Oberfläche der Stadt, gab sich zufrieden darüber, eine Straßenbahn nach der anderen stillzulegen.
Wo er hingegen keine Kompromisse kannte, war bei seiner Haltung gegenüber Faschismus und Naziideologie. Er galt als einer der frühesten hochrangigen amerikanischen Kritiker Hitlers, warnte schon 1934 prophetisch davor, dass Hitler die deutschen Juden vernichten werde, und sprach sich wiederholt für die Aufnahme jüdischer Flüchtlinge in den USA aus. Diese Position entsprach nicht gerade jener des US-Außenamtes der Zeit, das mit Deutschland gute Beziehungen wollte. Über Intervention des deutschen Botschafters in den USA beschwerte sich sogar Außenminister Cordell Hull bei Präsident Roosevelt über seine Einstellung. Dieser entgegnete ihm, dass er selbst über Hitler ähnlich dachte wie La Guardia. Bei einem späteren Treffen zwischen dem Präsidenten und dem Bürgermeister hob Roosevelt seine rechte Hand zum Naziruß und sagte „Heil Fiorello“. Dieser tat dasselbe und antwortete „Heil Franklin“. Damit war zwischen den beiden auf ironischen Weise alles über ihre gemeinsame Ablehnung Hitlers gesagt.
La Guardia sollte später noch in seiner eigenen Familie das Schlimmste der Nazi-Herrschaft erleben. Seine Schwester Gemma hatte einen ungarischen Juden geheiratet, Hermann Glück. Das Paar wurde 1944 verhaftet, Glück bald darauf in Mauthausen ermordet. Gemma überlebte – als prominente Geisel des Regimes – das KZ Ravensbrück und schaffte es erst einige Zeit nach Kriegsende, in die USA zurückzukehren.
1941, noch vor Pearl Harbour und dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, bestellte Roosevelt La Guardia zusätzlich zu dessen Job als New Yorker Bürgermeister zum Direktor des nationalen Zivilschutzes, verantwortlich für Luftschutzkeller, Warnsirenen und Verdunkelungen. La Guardia teilte seine Arbeitswoche zwischen Manhattan und Washington auf. Während des Krieges profitierte New York weniger als andere Regionen der USA vom industriellen Rüstungsboom, lediglich die Werften am East River und die Uniformschneider im Garment District hatten volle Auftragsbücher. La Guardias Popularität ging zurück, 1945 kandidierte er erst gar nicht mehr für eine vierte Amtszeit.
Doch die Regierung hatte für ihn noch eine herkulische Managementaufgabe vorgesehen. Er sollte ab 1946 die United Nations Relief and Rehabilitation Administration (UNRRA) leiten, die sich in Europa um die Millionen von Flüchtlingen und Displaced Persons kümmern sollte. Doch lang konnte er den Heimatlosen nicht helfen, La Guardia bekam Bauchspeicheldrüsenkrebs und starb 1947. Er ist am Woodlawn Friedhof in der Bronx begraben.

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