Ich wollte immer schon meine eigene Weinmarke haben, obwohl mich das Banking wirklich interessiert.“ Leon Jagodaew, Jahrgang 2001, musste vorher auch nicht allzu lange überlegen, in welcher Branche er seine Marke etablieren würde. Man trinke doch in jüdischen Familien an Feiertagen immer Wein, und er habe darüber hinaus begonnen, andere Weine zu verkosten. Das habe ihm gefallen, und er sei dabei hängen geblieben.
Eigentlich ist Jagodaew in einer ganz anderen Berufswelt verankert: Er studiert an einer Wiener FH Bank- und Finanzwirtschaft und arbeitet schon einige Zeit nebenher bei einer Wiener Großbank im Bereich Capital Markets und Compliance, seit Kurzem fix angestellt, ganztags.
Das Angebot an koscheren Weinen in Österreich sei überschaubar, so der Jungbanker. Es gebe einen großen Produzenten in Österreich, den Burgenländer Hafner, und darüber hinaus Produkte aus Israel, Frankreich und Italien. „Manche davon sind mevushal, also abgekocht“, weiß Jagudaew. „Ich will über Konkurrenten nichts Schlechtes sagen, aber natürlich leidet darunter die Qualität.“*
Jagudaew beschloss daher, sich selbst ins Weingeschäft vorzuwagen. Er begann vor einigen Jahren zu recherchieren und sprach unter anderen mit dem ehemaligen Wiener Oberrabiner Arie Folger, der davon abriet und sagte, es sei sehr kompliziert. Dann sprach er mit dem Gemeinderabbiner Schlomo Hofmeister. Bei ihm wurde er fündig, nicht nur, was die generellen Voraussetzungen für die Koscherwein-Produktion betrifft. Hofmeister hatte selbst ein paar Jahr im Burgenland koscheren Wein herstellen lassen, dies dann aber aus Zeitmangel aufgegeben. Er konnte Jagudaew auch seine Kontakte weiterreichen. Und dieser begann diese auch gleich zu nutzen.
Sein Gegenüber, der Produzent des koscheren Weins, ist selbst atypisch in der Branche. Thomas Achs, Jahrgang 1973, aus Gols am Neusiedler See hat nicht nur zunächst die Höhere Bundeslehr- und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in Klosterneuburg absolviert. Er hängte dann noch ein Betriebswirtschaftsstudium an der WU an und promovierte. Nach internationalen Lehrjahren zwischen Holland, der Schweiz und Polen baute er in Ungarn ein großes Weingut auf, eher er vom Vater gerufen in den familieneigenen Betrieb nach Österreich zurückkehrte. Terra Galos heißt das Unternehmen, und auf etwa 50 Hektar in Gols und Rust keltert man Weine aus mehr als 20 unterschiedlichen Sorten.
„Ich will künftig auch andere Sorten produzieren,
Cabernet Sauvignon oder etwa auch Traubensaft.“
Leon Jagudaew
Darunter ist eben seit drei Jahren der koschere Merlot von Leon Jagudaew. Die 5.000 Flaschen trockener schwerer Rotwein sind so etwas wie eine Firma in der Firma. Der Wein liegt vor dem Abfüllen in einem eigenen Stahltank – mit Holzschnitzeln. Barrique-Fässer will sich Jagudaew erst später leisten, er vermeidet Kredite und investiert nur eigenes Geld, daher geht er langsam vor, Schritt für Schritt.
„Wir machen einen Wein mit hoher Qualität, das beginnt schon bei der Lese“, erzählt Jagudaew. „Diese findet ausschließlich händisch statt, nicht mit Maschinen. Man nimmt nur schöne, unverletzte Trauben.“ Die Presse muss für den koscheren Wein extra gereinigt werden, ehe der Meschgiach, der religiöse Aufpasser, sie einschalten darf. Rabbiner Hofmeister hat diese Aufgabe übernommen. Und auch beim Abfüllen des Merlots ist es wieder er, der die Maschine in Betrieb setzt.
Kluger und umsichtiger Jungunternehmer. Geliefert wird direkt vom Weingut, die Vermarktung des Weins ist allerdings die Aufgabe Jagudaews. Sheva Kehillos hat er ihn genannt, nach den einstigen sieben jüdischen Gemeinden des Burgenlandes.
Zunächst fand man seinen Rotwein um 20 Euro in den Wiener koscheren Supermärkten Shefa und Le Mehadrin sowie in einem nicht koscheren Weinladen im zweiten Bezirk. Dann hat Jagudaew begonnen, mit seinem Musterkoffer systematisch Cafés, Restaurants und Bars abzuklappern, dort jeweils eine Flasche zu öffnen und den Wein persönlich zu präsentieren. So ist dieser inzwischen etwa in der City im Sky Garden über der Ecke Hoher Markt/Wipplingerstraße auf der Karte, neuerdings im Taim, dem Lokal im jüdischen Museum Wien. Und auch auf dem Naschmarkt und am Donaukanal konnte Jagudaew in der Gastronomie erste Erfolge verbuchen.
Der Banker-Winzer hat von der Familie her keine Vorprägungen in Richtung Wein. Die Eltern kamen aus der ehemaligen Sowjetunion über Israel nach Wien, aus Buchara, dem heutigen Usbekistan. Sein Vater betreibt in Wien einen Aufsperrdienst, die Mutter arbeitet in der Ambulanz des jüdischen Seniorenheims Maimonides Zentrum. Leon wurde bereits in Wien geboren, er hat einen älteren Bruder und drei jüngere Geschwister.
Selbst arbeitet er bereits, seit er 15 ist, hat unter anderem Mathematik-Nachhilfe gegeben, aber auch schon früh eigenständig in Aktien, ETFs und Kryptowährungen investiert. „Da kann mit der Zeit schon etwas zusammenkommen.“ Das sollte dann sein Startkapital für eigene Unternehmungen werden.
Mit seinem dritten Jahrgang Merlot soll auch längst nicht Schluss sein: „Ich will künftig auch andere Sorten produzieren, Cabernet Sauvignon oder etwa auch Traubensaft.“ Erstmals wird diesen Herbst ein Weißwein – ein Chardonnay – koscher vinifiziert. Der 24er soll im April 2025 auf den Markt kommen. Dann geht es an die Bio-Zertifizierung, für die braucht es mehrere Jahrgänge. Und Jagudaew hat auch schon Auslandsmärkte im Visier.
* Wenn ein Wein mevushal ist, also kurz auf 90 Grad erhitzt wurde, dann darf ihn auch ein Nichtjude öffnen. Das ist insbesondere bei größeren Veranstaltungen praktisch, wenn mehr Servierpersonal benötigt wird.