Der rechtsextreme Griff nach der Macht

Eine neuerliche Regierungsbeteiligung der FPÖ scheint zum Greifen nah: Sowohl ÖVP als auch – etwas unwahrscheinlicher – SPÖ könnten nach der Nationalratswahl Mitte Oktober mit den Freiheitlichen eine Koalition eingehen. Rechtzeitig vor dem Urnengang veröffentlichte der Journalist Hans-Henning Scharsach sein Buch Stille Machtergreifung. Darin führt er eindrucksvoll vor Augen, wofür die Burschenschaften, denen die Spitzen der FPÖ von Heinz-Christian Strache bis Norbert Hofer angehören, bis heute stehen. Und wie sie in den vergangenen Jahren ihr Gedankengut breitflächig in der Bevölkerung gestreut haben.

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Hans-Henning Scharsach: Stille Machtergreifung. Hofer, Strache und die Burschenschaften. Kremayr & Scheriau 2017, 208 S., € 22

Wer die peniblen Recherchen von Scharsach gelesen hat, kann nachher nicht behaupten, er oder sie wisse nicht, wem er/sie als Wähler, als Wählerin die Stimme gegeben, aber auch, mit wem er oder sie sich als Koalitionspartner eingelassen hat. Viele der führenden FPÖ-Politiker sind heute Burschenschafter. Sukzessive haben sie in den vergangenen Jahren die Parteispitze für sich erobert. Wer sich die Satzungen und Publikationen dieser rechten Vereinigungen ansieht, der erkennt: Hier gibt es eine fortgeführte Tradition rechten Gedankenguts bis hin zur Übernahme nationalsozialistischer Positionen.
Während sich diese Haltungen so klar nur nach innen erkennen lassen, ist es umso bestürzender zu sehen, wie Vertreter der Burschenschaften es zunehmend mit einem eigenen Mediennetzwerk geschafft haben, Positionen, die noch in den 1990er-Jahren als klar rechtsextrem eingestuft worden wären, heute zum Mainstream zu machen. Hier geht es vor allem um den Umgang mit dem Sozialstaat und mit Fremden sowie die Verquickung dieser beiden Themen.
FPÖ-Politiker wie Strache und Hofer, die erste Reihe also, gibt sich offiziell als staatstragend und inzwischen judenfreundlich. Wird an der Oberfläche gekratzt und etwa Straches neonazistische Vergangenheit hervorgeholt, antwortet dieser mit Leugnen, mit dreisten erfundenen Erklärungen. Man erinnere sich: Da wurde ein Foto, auf dem Strache drei Finger der rechten Hand zum Kühnengruß spreizte, als Bierbestellung verharmlost.
Dieses Lügen zieht sich aber noch viel weiter. Wenn gerade keine Zeitungsartikel zur Hand sind, mit denen man Fehlverhalten und Kriminalität von Ausländern aufbauschen kann und damit die eigenen Fans in den sozialen Medien zu einem Empörungssturm anstachelt, müssen erfundene Storys herhalten. Wie zum Beispiel Berichte von Österreichern, die in Sachen medizinische Behandlung gegenüber Flüchtlingen das Nachsehen hätten. Solche Meldungen werden dann auf Seiten, die nicht direkt von der FPÖ betrieben werden, verbreitet und damit sukzessive Botschaften so lange wiederholt, bis sie breit in die Bevölkerung eingesickert sind. Ganz gezielt wird hier Angst und Hass verbreitet. Und das wirkt, denn im Netz erreichen die Freiheitlichen und ihre Unterstützer täglich inzwischen weit mehr Menschen als Printzeitungen oder selbst die Nachrichtenformate des ORF.

Was aus jüdischer Sicht besonders interessant ist: Trotz anderslautender Lippenbekenntnisse der FPÖ-Spitzen sind die Burschenschaften weiterhin in ihrer antisemitischen Tradition verhaftet. Das Feindbild Jude wurde allerdings gegen ein neues Feindbild ausgetauscht: das des Muslimen. Und dieses wird auch von der FPÖ unverhohlen befeuert.
Es werde sich ja nicht so viel ändern bei einer FPÖ-Regierungsbeteiligung, hört man oft. Auch darauf ging Scharsach ein. Er listet die Einschnitte im Sozialsystem auf, die es bereits mit Schwarz-Blau nach der Jahrtausendwende gab (an erster Stelle die Pensionsreform), zeigt aber auch auf, wohin die Erfüllung der FPÖ-Förderung nach mehr direkter Demokratie führen würde. Jede Volksbefragung ist von einer Kampagne begleitet, die selbst, wenn die Befragung negativ ausgeht, massive Meinungsmache ermöglicht und den Boden für weitere Entwicklungen aufbereitet. Wie zum Beispiel das legendäre Ausländervolksbegehren von Jörg Haider. Wo waren wir damals – und wo stehen wir heute.

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