Es waren dramatische Tage. Ende Juni 1942 machte sich in Kairo Panikstimmung breit. Englische Beamte und Militärs verbrannten in den Gärten ihrer Bürohäuser stapelweise Akten, wie schwarze Konfetti schwebten die Papierreste über den Straßen. Reiche Ägypter flohen nilaufwärts, jüdische Ägypter drängten sich in die Züge Richtung Palästina. Ein türkischer Diplomat kabelte an das Außenministerium in Ankara: „Die Zahl ägyptischer Juden, die Visa für die Türkei beantragen, steigt von Tag zu Tag.“ In einigen Luxushotels begannen die Angestellten schon Plakate zu malen, auf denen die Deutschen willkommen geheißen wurden.
Was die englischen Analysten allerdings bald merkten, war die Genauigkeit der deutschen Kenntnisse über englische Stellungen, Truppenbewegungen und Bereitschaftsstände.
Doch es sollte nicht so weit kommen. In einer Entscheidungsschlacht vor den Toren Alexandrias, in El Alamein, gelang es den Briten und ihren frischen Commonwealth-Truppen, Erwin Rommels Panzerarmee des Afrikakorps entscheidend zu schlagen. Von da an bewegte sich die Front wieder westwärts Richtung Libyen, und dann brachte die amerikanische Landung im nordafrikanischen Vichy-Frankreich schnell die Entscheidung. Die Deutschen mussten sich zurückziehen, unter hohen Verlusten an Toten und Gefangenen. Rommel sollte dann die Verteidigung der französischen Küsten des Atlantikwalls gegen eine alliierte Invasion organisieren.
Gershom Gorenberg ist ein israelischer Autor und Journalist. Sein Buch War of Shadows ist im Februar 2021 bei Hachette in New York erschienen. Zuvor hatte er unter anderem über die Ursprünge der israelischen Siedlerbewegung publiziert, als Journalist für Haaretz und The American Prospect berichtet, aber auch Beiträge in zahlreichen anderen Medien veröffentlicht, von Newsweek bis zur New York Times, von Maariv bis zur New York Review of Books. Er lebt in Israel, wurde aber in den USA geboren. Studiert hatte er Religionswissenschaften an der University of California und Bildungswissenschaften an der Hebrew University in Jerusalem.
Krieg der Spione. Hitler wollte den Krieg in Nordafrika ursprünglich nicht als vorrangiges Ziel sehen. 1941 war schon ganz den Vorbereitungen des Überfalls auf die Sowjetunion gewidmet, da riefen die italienischen Verbündeten verzweifelt um Hilfe. Sie waren bei ihrer versuchten Wiederbelebung des römischen mediterranen Großreichs in Libyen von den Engländern unter Druck geraten. Nach einigem Zögern schickten die Deutschen Hilfstruppen, sie sollten unter italienischem Kommando die Engländer zurückdrängen. Erwin Rommel, ein bei Hitler beliebter Offizier, der im Ersten Weltkrieg als Infanterieoberleutnant an der Seite der Österreicher am Isonzo gekämpft hatte, war im Frankreichfeldzug mit kühnen, aber riskanten Panzervorstößen bekannt geworden. Er sollte das in Nordafrika wiederholen. Genau das tat er auch, oft ohne Rücksicht auf Befehle der italienischen Vorgesetzten, trotz aller Mängel an Material und mangelnden Munitions- und Treibstoffvorräten.
Doch den Engländern ging es nicht viel anders. Auch sie wurden von ihrem britischen Oberkommando kurz gehalten, immer wieder modernstes Kriegsgerät an den asiatischen Kriegsschauplatz verlegt. Nicht zuletzt aus diesen Gründen spielte laut Gorenberg der Schattenkrieg der Geheimdienste in Nordafrika eine große Rolle. Sandstürme ließen allzu oft die Aufklärungsflieger nicht starten, die riesigen Weiten der libyschen und ägyptischen Wüste konnte nur schwer eingeschätzt werden. Also setzte man verstärkt auf Spione und vor allem auf das Abhören des gegnerischen Funkverkehrs.
Doch dieser war verschlüsselt, mehr oder weniger gut. Und hier machten die Briten – mit Hilfe polnischer und eigener Mathematiker – bald erhebliche Fortschritte. Es gelang ihnen, große Teile des mit Enigma-Maschinen kodierten deutschen Militärfunks mitzuhören, allerdings nicht alles gleich gut. Beim Heer bissen sie sich lang die Zähne aus, die Luftwaffe war weniger sorgfältig, hier stenografierten die jungen Frauen im englischen Bletchley Park bald routinemäßig die Einsatzpläne mit. Und von der Verlegung der Bomber und Jagdflieger ließ sich leicht auf die geplanten Truppenbewegungen der Rommel’schen Soldaten schließen.
Was die englischen Analysten allerdings bald merkten und ihnen große Sorgen bereitete, war die Genauigkeit der deutschen Kenntnisse über englische Stellungen, Truppenbewegungen und Bereitschaftsstände. Rasch wurde klar, dass diese oft sehr kritischen Berichte aus einer amerikanischen Quelle stammen müssten, das ging aus der Terminologie und dem Blickwinkel hervor. Immer wieder drängten die Engländer die Amerikaner dazu, ihre Code-Tabellen zu ändern, aber lange sahen diese das nicht als notwendig an.
Tatsächlich kamen die wichtigsten deutschen Informationen aus dem Funkverkehr von US-Diplomaten. (Die USA unterstützten erst die Briten mit Waffenlieferungen, später – nach dem Kriegseintritt Japans, Deutschlands und Italiens – dann auch mit Truppen.) Die Lücke hatte der italienische Geheimdienst gefunden. Er hatte noch vor dem Krieg systematisch die ausländischen Botschaften in Rom ausspioniert, von bestochenem Personal Schlüssel nachmachen lassen, geheime Dokumente und Verschlüsselungstabellen fotografiert. Das sollte gerade in Nordafrika den Truppen der Achsenmächte lange helfen. Doch nicht für immer.
Im Juni 1943 änderten die Amerikaner schließlich doch ihre weit klaffende Sicherheitslücke, auf einmal stand Rommel ohne die schon gewohnten guten Informationen da. Und die Engländer, inzwischen auch mit amerikanischen Panzern und Flugzeugen sowie mit zusätzlichen neuseeländischen Truppen verstärkt, ließen die Deutschen in eine Falle laufen. Sie hielten sie im Glauben, diese hätten ihre Verteidigungen bereits überrollt, nur um dann bei El Alamein in längst vorbereiteten Abwehrstellungen die entscheidenden Schlacht zu gewinnen.
Damit hatten sie nicht nur Kairo und das britisch dominierte Ägypten gerettet. Hitler hatte nach anfänglichem Zögern an einem großen nahöstlichen Plan Gefallen gefunden. Seine Panzer sollten über den Suezkanal nach Palästina vorstoßen und sich dort mit deutschen Truppen vereinigen, die über die Sowjetunion und den Kaukasus nach Süden marschierten. Die ökonomischen Ziele waren die Ölfelder am Kaspischen Meer und im Irak.
Doch es gab auch ideologische, wahnhafte Pläne. In Palästina lebten damals schon einige hunderttausend Juden, und die Massenvernichtung in Mitteleuropa war längst angelaufen. Gorenberg schreibt, dass SS-Reichsführer Heinrich Himmler einen Spezialisten für so genannte Einsatzkommandos, also Mordbrigaden, nach Nordafrika geschickt hatte. Walther Rauff, der bereits in Polen und Russland das Konzept von Abgas-LKWs zur Judenvernichtung angewendet hatte, reiste mehrmals an, um das Terrain für seine Pläne zu erkunden. Seine Killer-Spezialisten standen bereits in Athen bereit. Zur Umsetzung sollte es dann nicht mehr kommen, dank tapferer britischer Soldaten in Khaki-Uniformen und dank aufmerksamer englischer junger Frauen in einem fernen Schloss vor Stapeln militärischer Papiere.