Der Sound des Kleinbürgertums

Seit März zeigt das österreichische Theatermuseum unter dem Titel „Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur“ die erste große Themenausstellung über Ödön von Horváth und das Theater. Und zaubert dabei ein beeindruckendes Universum aus Bühne, Literatur und „echtem“ Leben zwischen Politik, Ökonomie und Erotik.

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Dauerwürste zwischen Ökonomie und Politik: der von Peter Karlbauer gestaltete Raum zu Geschichten aus dem Wiener Wald. © Theatermuseum/KHM-Museumsverband

Aktueller könnte eine Ausstellung wie diese nicht sein“, betonte Thomas Trabitsch, Direktor des Theatermuseums, anlässlich der Eröffnung der neuen Großausstellung des Hauses, die dem dramatischen Schaffen des 1901 in Fiume, Österreich-Ungarn (heute: Kroatien) geborenen „Chronisten seiner Zeit“ Ödön von Horváth gewidmet ist.

Horváth galt schon zu Lebzeiten als „Erneuerer des Volksstückes“, so die beiden KuratorInnen und Horváth-ExpertInnen Nicole Streitler-Kastberger und Martin Vejvar im Begleittext zur Ausstellung, wirkte „stilprägend für die deutschsprachige Literatur nach 1945″, war dabei jedoch als Bühnenautor lange Zeit vergessen, wurde erst spät, in den 1980er-Jahren wiederentdeckt – und zählt heute zu den meistgespielten Dramatikern des deutschsprachigen Raumes.

Zentral für Horváths Werk ist dessen schonungslose Erkundung des Kleinbürgertums. „Kritisch, aber nie ohne Empathie“ sei, so Streitler-Kastberger, die Demaskierung der sprachlichen Fassade des kleinbürgerlichen Jargons. Horváth gelingt in seinen Dramen ein ganz spezieller „Sound“, indem der Autor das eigentliche Sprechen der Figuren durch Worthülsen ersetzt, bis die Schablonen des Sprechens zu Denkschablonen geworden sind. Ein Phänomen, das derzeit erschreckende Aktualität gewonnen hat und den österreichisch-ungarischen Dichter erneut auf grausam-ironische Weise zu einem „Dramatiker der Stunde“ macht, der die „Vorder- und Kehrseite der überkommenen Wiener Welt“ (Erich Kästner) zu zeigen vermag wie kaum ein anderer.

»Ich bin ungarischer Staatsbürger […],
bin aber so viel in der Welt herumgekommen,
dass ich mich als Kosmopolit fühle.«
Ödön von Horváth

„Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur“ reiht sich konsequent in die 2006 begonnene Serie an Literaturausstellungen des Theatermuseums und sticht doch als die bislang in Inhalt und Umsetzung wohl stimmigste aus dieser hervor. Einmal mehr wird, nach Thomas Bernhard, Peter Handke und Stefan Zweig, auf inhaltlich überraschende und gestalterisch eindrückliche Weise auf gesellschaftliche, thematische, sprachliche, aber auch persönliche Nahbezüge zwischen literarischem Schaffen, Arbeiten für das und über das Theater sowie zeitgenössische Rezeption und bis heute gültige Relevanz eingegangen. Die eminente Bedeutung von Horváths literarisch herausragenden gesellschaftskritischen Analysen für unsere Zeit wird dabei wie „zwischen den Zeilen“ mit verdeutlicht, sind doch die Schlachtfelder des Mittelstandes zwischen gedankenlosen Phrasen und scheinbar werterhaltender Reaktion heute jenen der Zwischenkriegszeit wieder sehr ähnlich und können so in unkommentierten Zitaten, scheinbar zeitlosen Szenenbildern gleich, die man betritt und erliest, während die Phrasen einem entgegenschreien, die Aufgeregtheit der heutigen Welt ohne erhobenen Zeigefinger widerspiegeln.

Kaspar Nehers Bühnenbildentwurf zur Uraufführung von Kasimir und Karoline am Schauspielhaus Leipzig und Komödienhaus Berlin, November 1932. © Theatermuseum/KHM-Museumsverband

Drei Räume. Drei Stücke. Drei Motive. Gekonnt gelingt es den KuratorInnen, die Bandbreite an zentralen Motiven, die das Werk Horváths durchziehen, an drei Stücken und drei Themenkomplexen festzumachen und bei aller Vielfalt fassbar und griffig aufzubereiten: Geschichten aus dem Wienerwald, Italienische Nacht (1931) und Kasimir und Karoline (1932) werden so mit den Begriffen Ökonomie, Erotik und Politik kurzgeschlossen, essenzielle Aspekte ebenso wie neue Einblicke klug und vielschichtig, dabei eingänglich und nahezu spielerisch herausgearbeitet. Sie lassen die dicht konzipierte Schau, die sich über drei unterschiedlich große Räume und eine Art Vorspiel zu Biografie und literarischer „Gebrauchsanweisung“ in Foyer und Hof des Museums zieht, zu einer „aufwändigen Inszenierung“ werden, deren „Regisseur“, so Direktor Trabitsch, der Bühnenbildner und Ausstellunggestalter Peter Karlhuber, sich unterschiedlichster „Szenenbilder“, „Dekorationen“ und Requisiten bedient, von der Heurigenbank und besprüchten Bierkrügen, Praterschaukel und Ringelspiel über die Fleischerei bis hin zu heruntergelassenen Rollläden einer geschlossenen Trafik, auf denen auf schmucklosen Kopien in Großformat unspektakulär und uneitel die obligaten Einstiegsinformationen geliefert werden. Hier wird von der „Stille“, von der Nicht-(mehr)-Kommunikation ebenso erzählt wie von Saalschlachten, gesellschaftlichem wie zwischenmenschlichem Verrat und scheinbar unveränderlichen Geschlechterverhältnissen.

Einer von uns. Einer von heut. „Entlang der Topoi Erotik, Politik und Ökonomie hat Horváth als ‚treuer Chronist [s]einer Zeit‘ aber nicht nur die eigene Gegenwart analysiert und gespiegelt, sondern darüber hinaus auch Mechanismen beschrieben, die bis heute fortwirken“, schreiben die beiden KuratorInnen im text- und bilddichten Begleitband mit hochkarätigen interdisziplinären BeiträgerInnen. Wie gegenwärtig, nicht jedoch wie zeitlos – denn nicht alle Zeiten ähneln einander so wie die unsere jenen Jahren zwischen den Kriegen, in denen Horváths Schaffen fiel, dessen noch junge, aufstrebende Karriere mit der Machtergreifung Hitlers in Deutschland bereits 1933 einen jähen Abbruch fand – sich die Texte dieses Autors heute lesen, das lässt die bis Februar 2019 laufende Schau auch zu einem tragikomischen Karussell der gesellschaftlichen, politischen und zwischenmenschlichen Abgründe werden. Wenn sich verfeindete Gruppierungen in Räumen der öffentlichen Unterhaltung ihr gegenseitiges Unverständnis mit Prügel auf die Körper schreiben und die leeren Sitze der Ringelspiele von den nicht erfüllten Liebesklischees der PraterbesucherInnen erzählen, wenn die harten (echten) Dauerwürste Schlagwerkzeugen gleich bedächtig-gefährlich zwischen und über den Objekten der Fleischerei hängen und von den „Mittelstandswerten“ des Kleinbürgertums zeugen – die überdimensionalen Puppengesichter auf den Vitrinen, die sauberen rosigen Schweinsköpfe in den leergefegten Tresen der Zwischenmenschlichkeit, und die geschlossenen Läden der Trafik gleich zu Beginn vom Ende der Kommunikation schweigen, wird die magische Kraft dieser Ausstellung nur zu deutlich.

„Horváth ist ein ehrlicher Kopf mit einem Blick von heut. Einer, der zu uns gehört. Ihn ergötzt jeder Unterschied zwischen dem freundlich übertünchten Außen und dem verdammt hintergründigen Inneren“, schrieb Alfred Kerr anlässlich der Berliner Erstaufführung von Kasimir und Karoline 1932. Am 1. Juni 1938 wurde Horváth mit 36 Jahren von einem herabfallenden Ast erschlagen. In seiner Manteltasche fand man, neben Aktfotos, die der kurz nach dem „Anschluss“ 1938 über Budapest und Fiume nach Paris emigrierte Schriftsteller wohl verkaufen wollte, ein auf eine Zigarettenschachtel notiertes Gedicht: „Was echt ist, das soll kommen/Obwohl es heut krepiert“, sind dessen letzte Zeilen. Nach Jahrzehnten des Vergessenes ist Horváths menschlich-unmenschliches „Wiener Panoptikum“ heute nicht mehr von der Bühne wegzudenken. „Alle meine Stücke sind Tragödien – sie werden nur komisch, weil sie unheimlich sind.“ 


Nicole Streitler-
Kastberger,
Martin Vejver (Hg.):
Ödön von Horváth. Erotik, Ökonomie
und Politik.
Jung und Jung 2018,
272 S., € 35

Ausstellung
„Ich denke ja garnichts, ich sage es ja nur.“ Ödön von Horváth
und das Theater
Theatermuseum, Lobkowitzplatz 2, 1010 Wien; Mi.–Mo., 10–18 Uhr
15. März 2018 bis 11. Feb. 2019
theatermuseum.at

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