Jiri Schreiber wollte eigentlich Automechaniker werden. Doch dann kam alles anders. Als sowjetische Truppen 1968 in seiner Heimat Tschechien einmarschierten, floh die Familie nach Wien. Nun führt Schreiber hier den Steinmetzbetrieb am Zentralfriedhof, 4. Tor, den er von seinem Vater übernommen hat. Von Alexia Weiss
Das Jahr 1968 änderte alles im Leben des damals 18-jährigen Jiri Schreiber. Bis dahin hatte er sich darauf gefreut, sein Leben mit Autos und Motorrädern zu verbringen. Die Ausbildung zum Automechaniker hatte er eben abgeschlossen.
Bis dahin hatte er auch nicht gedacht, eines Tages das Land zu verlassen. Mitanzusehen wie einer seiner Freunde im Zug des Einmarsches der Soldaten des Warschauer Pakts zu Tode kam, war allerdings mehr als Besorgnis erregend. Und die Eltern hatten schon länger Pläne gewälzt, nach Israel auszuwandern.
Mit 18 Jahren erfahren, dass er jüdisch ist
Erst dann erfuhr Schreiber, dass er jüdisch ist. „Meine Eltern wollten nicht, dass ich das weiß.“ Um Antisemitismus ging es dabei gar nicht. „In Liberec waren kaum Juden, der Antisemitismus war nicht so zu spüren wie in Prag.“ Die Eltern wollten einfach Vorsicht walten lassen.
Der Vater war in der NS-Zeit in mehreren Konzentrationslagern interniert gewesen, konnte aber flüchten. Er schloss sich in Polen den Partisanen an und wurde verwundert, erzählt sein Sohn. Die Mutter hatte die Jahre bis 1945 als U-Boot überlebt. Von Prag zog das Paar gemeinsam nach Liberec, wo zuvor viele Sudetendeutsche gelebt hatten. Nun standen viele Geschäfte und Fabriken leer. Dort konnte der Vater einen Steinmetzbetrieb übernehmen. Wenn Schreiber seinem Vater bei der Arbeit zusah, wusste er: Diesen Beruf wollte er nicht ausüben, erzählt er heute sichtlich amüsiert. Es kommt eben oft andes, als man sich das vorstellt.
Liberec, auch als Reichenberg bekannt, war eine deutschsprachige Stadt gewesen. Doch nach der NS-Zeit konnte man alles, was Deutsch war, nicht mehr leiden. So änderte der Vater seinen Familiennamen Schreiber in Koncicky. Erst in Wien kehrte die Familie wieder zu Schreiber zurück.
Jude zu sein, darunter konnte sich Schreiber nichts vorstellen. „Ich wusste gar nichts von Religion.“ Mit der Idee, nach Israel zu gehen, wo auch Verwandte von ihm lebten, habe er sich aber rasch angefreundet. „Für mich war das ein Abenteuer.“ Der Weg führte die Familie allerdings nicht nach Israel – sie blieb, wie so viele andere auch, in Wien hängen.
An seinem ersten Tag in Wien sei er bereits in den Stadttempel gegangen, erinnert sich Schreiber. Eine Synagoge hat es in Liberec nach dem Krieg nicht gegeben – nur eine Wohnung, die für diesen Zweck verwendet wurde. Schreiber hatte nicht einmal Bar Mitza gefeiert und sollte dies später als Erwachsener in Wien nachholen. Nach und nach befasste er sich immer mehr mit Religion, lernte auch Iwrit.
Der Vater hatte dann in Wien sogar seinen eigenen Platz in der Synagoge
In Liberec hatte er auch Schabbat gefeiert – und war dazu wohl bei anderen Juden in deren Wohnung zu Besuch gewesen, meint Schreiber heute. „Ich dachte damals, er ist ins Kino gegangen.“