DER STILLE VISIONÄR

Wer am Theatermuseum vorbeigeht, geht meistens tatsächlich vorbei. Denn das seit 1991 im Palais Lobkowitz auf dem Lobkowitzplatz 2, gleich hinter dem wesentlich bekannteren Albertinaplatz gelegene wichtigste Museum des Landes, wenn es um Theater, Oper, Tanz und so vieles mehr der „Theaternation“ Österreich geht, ist keines, das sich hervortut oder gar wichtigmacht. Und selbst die Werbebanner gleich am Eck zur Herrengasse verweisen nicht auf die zahllosen Schätze des Hauses, das sie trägt, sondern auf dessen „Haupthaus“ seit dem Jahr 2001, das Kunsthistorische Museum und dessen aktuelle Schau. Nun verabschiedet sich der langjährige Direktor des Hauses, Thomas Trabitsch. Unaufgeregt, wenn auch ein wenig wehmütig. WINA hat ihn zum Abschied noch einmal besucht.

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Thomas Trabitsch 2021 auf dem „Glücksstuhl“ der aktuellen Ausstellung Verehrt ... begehrt ... Theaterkult und Sammelleidenschaft. © privat

Dass das ursprüngliche „Österreichische Theatermuseum“ hier 1991 eröffnen konnte, war eine glückliche Fügung der Stunde. 1922 wurde von Joseph Gregor im Zuge des Ankaufs der größten damals existierenden privaten Theatralia- Sammlung des Schauspielers und Burgtheater-Direktors Hugo Thimig die Theatersammlung innerhalb der Österreichischen Nationalbibliothek gegründet. Jene von Thimig – Vater von Hans, Hermann und Helene Thimig und ab 1935 offizieller Schwiegervater von Max Reinhardt, von denen das Museum ebenfalls zahlreiche Dokumente anbietet – reiht sich ein in weitere, darunter ein Teil der Autografensammlung von Stefan Zweig, Nachlässe von Carl Michael Ziehrer, Hermann Bahr und Anna Bahr-Mildenburg, Josef Kainz, Alfred Roller, Heinrich Schnitzler, Richard Teschner, Ewald Balser oder Sammlungsgründer Joseph Gregor. 2005 wurden die Bestände des Wiener Staatsopernmuseums eingegliedert, in den letzten Jahren folgten Stella Kadmon, Fritz Muliar oder Elfriede Ott, Herbert Wochinz und der Vorlass von Elisabeth Orth. Aktuell umfasst der Bestand mehr als drei Millionen Einzelobjekte, darunter allein über 1.200 Bühnenmodelle, 100.000 Kostüme und Requisiten aus drei Jahrhunderten, mehr als 100.000 Zeichnungen und Grafiken sowie rund eine Million Theaterfotos.

Von der Sammlung zum Museum. 1975 wurde aus der Sammlung erstmals ein Museum, damals noch im nahegelegenen Hanuschhof neben der Wiener Staatsoper. 1991 wanderte es wenige Meter weiter in das von der Republik Österreich angekaufte und neu renovierte Palais Lobkowitz. 2001 folgte der nächste Schritt: Das Theatermuseum wurde in den Verband des Kunsthistorischen Museums aufgenommen. Mit diesem Schritt wechselte auch die Leitung des Museums, das von 1979 bis 1997 von Oskar Pausch und von 1997 an von Helga Dostal geführt worden war.

 

»Man hat die Aufgabe, alle
Sparten, die diesen immensen
Bereich ausmachen, mitzudenken.«
Thomas Trabitsch

 

Kompetenz mit Herz. Mit Thomas Trabitsch folgte ein erfahrener Museumskurator, ein „Theaterliebender“ der ganz besonderen Art: begeisterungsfähig und leidenschaftlich, visionär, ohne je laut zu sein, dabei stets bemüht, im Interesse des Hauses und seiner Mitarbeiter:innen zu agieren. Eine Ausnahmeerscheinung also in vielem in der österreichischen Kunst- und Kulturlandschaft, der nun, nach 20 arbeitsreichen Jahren und über 60 zum Teil weit über die Grenzen des Landes wahrgenommenen Ausstellungen von der Bühne tritt. Und das, wie es seine Art ist: unaufgeregt, behutsam und mehr als logisch begleitet von der dichten und berührenden Schau Verehrt … begehrt …, die von eben jener großen Leidenschaft für das Theater erzählt, die auch ihn früh schon erfasst hat, und dabei gerade die ins Zentrum der Erzählung rückt, die zu einem großen Teil verantworten, dass Österreich jene viel gerühmte Kulturnation (geworden) ist: die Zuschauer:innen und Sammler:innen (siehe KulturKalender auf S. 64).

Die große Gustav-Mahler- Ausstellung 2010: einer der persönlichen Meilensteine von Thomas Trabitsch. © privat

Blickt man zurück auf den beruflichen Werdegang des Theaterwissenschaftlers, dann scheint heute der Weg an das Theatermuseum naheliegend. Doch ganz ohne biografische Windungen ging es für den im Waldviertel geborenen einzigen Sohn eines Arztes dann doch nicht. Schon das Studium begann der 1956 in Gmünd Geborene „gegen den von meinen Eltern mir zugedachten Berufsweg“. Aus dem Studium der Musikwissenschaft wurde rasch jenes der Theaterwissenschaft. Es folgte ein längerer Auslandsaufenthalt als Fulbright-Stipendiat in den USA, das den jungen Akademiker nach der Musik in die nächste Leidenschaft einführte: die praktische Theaterarbeit. „Damals war das Theaterwissenschaftsstudium in Wien noch eher theoretisch“, erzählt er im Gespräch mit WINA anlässlich seines Abschieds. „Ich wollte mir aber auch praktisches Wissen zulegen und konnte so vom Studium in Amerika, das sehr praxisnah ausgelegt ist, nur profitieren.“

An der University of Kansas assistierte er unter anderem bei einer Rheingold- Inszenierung, bei Brechts Kaukasischem Kreidekreis, schrieb, ebenfalls als Teil des Lehrplans, Theaterkritiken und hing nach Ende seiner Studien noch einige Monate des Reisens an. Fast zwei Jahre lang war Thomas Trabitsch in den USA, ehe er nach Österreich zurückkehrte und promovierte. Auch die nächste Station wartete zu diesem Zeitpunkt bereits auf ihn: eine Stelle als Dramaturg an den Städtischen Bühnen Regensburg, die ihn für weitere zwei Jahre noch tiefer in die Welt des Theaters eintauchen ließ.

„Ein Theatermuseum ist
kein ,Luxus‘, den sich eine Nation ,leistet‘,
sondern eine Selbstverständlichkeit.“
Thomas Trabitsch

Zurück in Wien folgte die Mitarbeit in der Kulturredaktion des ORF, wo er bei Karl Löbl arbeitete, ehe er für über ein ganzes Jahrzehnt als Leiter der Bundesländeraktivitäten der Jeunesse – Musikalische Jugend Österreichs fungierte. Thomas Trabitsch konzipierte und organisierte in diesen Jahren so prominente Zyklen wie Bilder einer Ausstellung im Kunsthistorischen Museum, initiierte eigene, viel beachtete transdisziplinäre Veranstaltungen und Projekte an unterschiedlichen Orten, wie dem Weinmuseum, dem Bestattungsmuseum oder dem Josephinum, arbeitete mit Walter Richard Langer zum Thema Jazz und entwickelte mit dem Residenz Verlag die Reihe Seite an Saite zur Verbindung von Musik und Literatur. In allen Projekten versuchte er stets, „Zusammenhänge herzustellen“, denn, erläutert der scheidende Direktor: „Ich habe immer darauf Wert gelegt, dass man den Begriff ,Kultur‘, der so vieles umfasst, auch in den jeweiligen Projekten, an denen man arbeitet, dementsprechend breit erforscht, etwa, indem man Zusammenhänge zwischen Theater und bildender Kunst oder Theater und Musik thematisiert und sichtbar macht. Natürlich hat man an einem Museum wie unserem einen Schwerpunkt, aber man muss in der Lage sein, Verbindungen und Bezüge herzustellen und diese auch dem Publikum nachvollziehbar zu vermitteln.“

Abschied von Wien: Einblicke in die Stefan- Zweig-Ausstellung, 2006/2007. © privat

Es war unter anderem dieser Ansatz, der Trabitsch, nachdem er sich nach 12 Jahren von der Jeunesse verabschieden musste und von da an mehrere Jahre im Ausstellungsmanagement des Kunsthistorischen Museums arbeitete, 2001 dazu bewog, sich als Direktor des nunmehr im KHM-Verband befindlichen Theatermuseums zu bewerben. „Auch wenn das in der Rückschau ‚kokett‘ klingen mag, aber ich habe damals überhaupt nicht damit gerechnet, in die engere Wahl zu kommen“, erinnert sich der Kulturmanager. Doch dank so wichtiger Ausstellungen wie Die Botschaft der Musik – 1000 Jahre Musik in Österreich im Palais Harrach, für die er sein über viele Jahre aufgebautes Netzwerk in der österreichischen Musiklandschaft einbringen konnte, seiner praktischen, wissenschaftlichen und organisatorischen Fähigkeiten war er der richtige Mann für den Neustart: „Ich hatte den Vorteil, dass ich das Organisieren von Ausstellungen gut kannte und ein gutes geschichtliches Wissen mitbrachte.“ Es sollte erneut so überraschend wie schnell klappen: „Und dann kam eine Ausstellung nach der anderen“, erzählt er und bedankt sich nicht zuletzt im Gespräch bei seiner Familie für den starken persönlichen Rückhalt auch in den intensivsten Zeiten seiner Tätigkeit.

Persönliche Meilensteine. Viele der großen Ausstellungen der letzten 20 Jahre hat Thomas Trabitsch selbst initiiert, unter anderen jene zu Gustav Mahler. „Das war ein großartiges Ausstellungsprojekt, für das ich immer noch unendlich dankbar bin“, erzählt er. Zu seinen weiteren persönlichen Highlights gehört die Reihe an vielbeachteten Literaturausstellungen, wie jene zu Arthur Schnitzler (2006/2007), Thomas Bernhard (2009/2010), Peter Handke (2013) Stefan Zweig (2014/2015) und Ödön von Horváth (2018/2019)

„Dass wir so viele wunderbare Literaturausstellungen gemeinsam mit dem Ausstellungsgestalter Peter Karlhuber umsetzen durften, war ein Glücksfall, für den ich noch heute dankbar bin.“ Immer wieder stellte Thomas Trabitsch seine Aufgeschlossenheit für neue Partnerschaften unter Beweis; es gab Projekte etwa mit der MUK, dem österreichischen Staatsballett oder so prominenten Regisseur:innen wie Katie Mitchell und zuletzt Yosi Wanunu, dem Gründer und Leiter von toxic dreams, dessen Installation im Theatermuseum After the End and Before the Beginning 2021 für den Nestroy-Preis nominiert war. „Auch die Idee, das ,Kabarett Fledermaus‘ zu thematisieren, kam von außen und wurde 2008 durch die Kuratorin Barbara Lesák wunderbar umgesetzt.“

Wichtig war Thomas Trabitsch stets, „dass wir ein Museum der vorwiegend österreichischen Theatergeschichte sind“, auch wenn er eine Reihe wichtiger Schauen realisieren konnte, die weit darüber hinaus reichten und internationale Aufmerksamkeit erlangten, zuletzt etwa die beiden fulminanten Ausstellungen zur Commedia dell’arte und Lodovico Ottavio Burnacini.

Hermann Nitsch beim Besuch der ihm gewidmeten Schau im Theatermuseum, 2015. © privat

Wichtige Schwerpunkte befassten sich auch mit jüdischen Theaterkünstlerinnen und -künstlern, darunter etwa Ausstellungen zu Fritz Grünbaum oder Max Reinhardt, wobei, erklärt Trabitsch, nie deren Judentum im Zentrum stand, sondern deren eminente künstlerische Bedeutung. „Ich wähle ein Programm aus, und wenn dabei jüdische Künstlerinnen und Künstler im Fokus stehen, so ist es meine Überzeugung, dass wir auch auf deren Schicksale und die historischen Hintergründe hinweisen müssen. Diese aber zu ,Aufmachern‘ zu machen, um ein Publikum in das Museum zu holen, halte ich nicht für den richtigen Weg. Wichtiger war und ist mir, deren künstlerische Arbeit ins Zentrum zu stellen und diese nachhaltig in Erinnerung zu rufen und zu vermitteln.“

Zu den letzten großen Ausstellungen im ersten Stock des Museums zählten schließlich ExistenzFest. Hermann Nitsch und das Theater (2015/2016) und Spettacolo barocco! (2016/2017), ehe die ehemals für die Dauerausstellung genützten Räume mehrere Jahre lang vermietet wurden und aktuell leer stehen.

Fragt man Thomas Trabitsch danach, welche Ausstellung er noch gerne umgesetzt hätte, kommt die Antwort ohne langes Nachdenken: jene zu Tadeusz Kantor. Andere Projekte scheiterten an den budgetären Beschränkungen des Hauses, die mit den Jahren immer deutlicher zutage traten. Tatsächlich könnten viele der früler heren Ausstellungen mit den finanziellen Mitteln, über die das Haus zurzeit verfügt, nicht mehr gemacht werden: „Das Budget für das Theatermuseum erfuhr durch lange Zeit keine merkbare Erhöhung, größere Ausstellungen sind kaum noch zu realisieren.“

Liebe zum Publikum. Ein großes Anliegen war es Thomas Trabitsch immer auch, „ein offenes Haus zu führen, in dem jede und jeder gerne hereinkommt“. Für diese große Aufgabe konnte er aus dem Vollen seiner Erfahrungen und Netzwerke schöpfen. „Es war immer die Idee, zu den Veranstaltungen ein Rahmenprogramm zusammenzustellen.“ Dass dieses über die obligaten Führungen und allgemeinen Vermittlungsangebote hinausging, dafür setzte sich Thomas Trabitsch beständig ein und holte zahlreiche renommierte Künstlerinnen und Künstfrüler an das Haus. Besonders gerne erinnert er sich an die „wunderbare Zusammenarbeit mit Wolfram Berger und Elisabeth Orth“, mit der ihn seither eine Freundschaft verbindet. Künstlerische Freundschaften hat Thomas Trabitsch kontinuierlich im Interesse des Hauses gepflegt und konnte so vieles realisieren, das ohne seinen leidenschaftlichen Einsatz nicht möglich gewesen wäre. Dabei ging es ihm, betont er, „nie um Prominenz, sondern um Inhalte. Es hat sich eine ,Theatermuseumsgemeinschaft‘ gebildet, die signalisiert, dass sie angesprochen wird und die gerne kommt. Es wäre schön, wenn das so bleibt.“ Und dann setzt er in seiner so typischen, immer alle Aspekte reflektierenden Art auch gleich hinzu: „Wenn man ein Museum wie unseres ausschließlich auf die Besucherzahlen anlegt, dann wird es schwierig.“

Wehmut ohne Wehleidigkeit. Dass die Dinge in einer Welt der stetig komplexer werdenden Organisationsstrukturen nicht mehr so einfach sind wie einst, auch das ist eine Erkenntnis, die nicht ohne Wehmut beim Abschied mitschwingt. „Früher konnte man das alles einfacher und unkompliziert machen.“ Vieles ist mit der immer stärker wirksamen Zentralisierung, dem immer engeren finanziellen Korsett und in seinen letzten beiden Direktionsjahren auch mit der Situation im Zuge der Covid- 19-Pandemie weniger bis eben nicht mehr möglich gewesen. „Wichtig wäre, dass der Mitarbeiter:innen-Stamm nicht noch mehr verkleinert wird, sondern gehalten und wenn möglich – und es wäre notwendig – auch vergrößert wird“, versucht sich Thomas Trabitsch auch noch am Ende seiner Direktionszeit für die Interessen seines Teams und seiner Nachfolgerin, Marie-Theres Arnbom, stark zu machen. Denn davon ist Thomas Trabitsch überzeugt: „Ein Theatermuseum ist kein ,Luxus‘, den sich eine Nation ,leistet‘, sondern eine Selbstverständlichkeit.“ Und er schließt seine langjährige Arbeit mit einem Plädoyer für die Zukunft des Theatermuseums: „Es ist ein bedeutendes Haus. Eine Nation wie Österreich, die sich als Kunst- und Kulturnation definiert und als solche auch vermarktet, hat die Verpflichtung, ein Haus wie das Theatermuseum auf dem Niveau zu erhalten, das es braucht, um die Themen so aufzuarbeiten und zu präsentieren, wie sie es verdienen.“

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