Der zufällig gehobene Schatz

Die Schauspielerin Katharina Stemberger und der Regisseur Fabian Eder begleiten filmisch die Dialoge von Holocaust-Überlebenden mit ihren Enkeln.

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Katharina Stemberger und Fabian Eder. „Uns ging es um die Beziehung zwischen den Generationen und nicht um Lüge oder Wahrheit.“ © Reinhard Engel

Wina: Sie betreiben die Backyard-Manufaktur für Film und wollten ursprünglich die Neugestaltung der permanenten „österreichischen Gedenkstätte“ im ehemaligen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau filmisch begleiten. Der Nationalfonds für Opfer des Nationalsozialismus ist mit der Koordinierung der Planung und Abwicklung des Gesamtprojekts betraut. Als Sie begonnen haben, sich näher mit der Materie zu beschäftigen, ist dann plötzlich etwas ganz anderes entstanden?
Fabian Eder (FE): In den Gesprächen mit Hannah Lessing, der Generalsekretärin des Nationalfonds, wurde uns klar, dass es nicht nur darum ging, die hier prominent propagierte österreichische Opferthese aus der bereits seit 1978 existierenden österreichischen Ausstellung zu revidieren. Die längst überfällige Überarbeitung wurde ja von der Bundesregierung schon 2009 beschlossen. Wir wollten in unserem Dokumentarfilm auch den Weg nach 1945 aufzeigen, wie es zur Veränderung des österreichischen Narrativs gekommen ist. Uns hat besonders diese Entwicklung interessiert.
Katharina Stemberger (KS): Leider mussten wir erfahren, dass es von der polnischen Regierung, die die Gedenkstätte als Staatliches Museum betreibt, ganz strenge Auflagen gibt. Das Dogma des Museums in Auschwitz-Birkenau lautet, dass keine Erzählung über den Tag der Befreiung hinaus gehen darf. Alles nach 1945 ist tabu.

Das war nicht in Ihrem Sinne. Sie wollten eher dem Pfad der historischen Erkenntnisse folgen?
KS: Ja, denn wir haben gefühlt, dass das Thema einfach zu groß ist und aus vielen Perspektiven ins Bild gesetzt werden muss. In diese enge Sichtweise wollten wir uns nicht pressen lassen.

So entstanden zwei filmische Projekte, die Sie gemeinsam realisieren?
FE: Uns hat vor allem interessiert, wie Geschichte und Traumata weitergegeben werden. Wir wussten, dass viele Zeitzeugen ihren Kindern anders oder gar nicht über die Schoah erzählt haben, während sie mit ihren Enkeln und Urenkeln ein offenere, leichtere Sprache gefunden haben.
KS: Wir haben darüber nachgedacht, wie diese Prägungen zustande kommen, wie Geschichte weitergegeben wird, und die Antwort lautet natürlich vor allem in der Familie. Mein Mann hatte die schöne Idee, Großeltern mit Enkeln zu suchen und diese zum gemeinsamen Gespräch zu animieren. Denn uns ging es um die Beziehung zwischen den Generationen und nicht um Lüge oder Wahrheit. Da es bei diesem Thema vor allem um Vertrauen geht, und ich schon einige Jahre in der Gedenkkultur tätig bin, erwarteten wir, einige solcher Paarungen zu finden. Zu unserer großen Freude und Überraschung kamen 23 solcher „Paare“ zu uns. Die Zeitzeugen stammen sowohl aus verschiedenen Opfergruppen wie auch jener der Mitläufer. Täter, die reden wollten, haben wir aber keine gefunden.

Wo haben Sie bei dem Projekt angesetzt?
FE: Wir haben ein Zugabteil ins Studio gestellt und 23 Dialoge zwischen den unterschiedlichsten Zeitzeugen und deren Enkeln bzw. Urenkeln gedreht. Ohne Moderation oder herkömmliche Interviewsituation fanden die Teilnehmer in ein natürliches Gespräch, das auch einer breiteren Erzählung Raum und Zeit gab. Nach dieser Pionierarbeit haben wir erst bewusst erkannt, welchen Schatz wir hier gehoben haben. Wegen der Fülle des Materials und seines unschätzbaren Wertes haben wir beschlossen, einen Kinodokumentarfilm daraus zu produzieren, mit sechs dieser Dia­loge sowie Gesprächen mit Politikern und Historikern, die sich mit der Frage beschäftigen, wie die Geschichte der Schoah erzählt wird und warum das in Österreich nach wie vor so kompliziert ist.

Was geschah mit dem größeren Teil des Filmmaterials?
FE: Wir haben uns entschlossen, die einzelnen Dialoge in einer speziellen Serie aufzuarbeiten: Von den 15 Filmen mit jeweils 50 Minuten, die wir geplant haben, sind schon zwei fertiggestellt, weil sie u.a. mit Unterstützung des Landes Niederösterreich realisiert werden konnten. Jedes dieser Gespräche hat einen konkreten historischen Schwerpunkt, zu dem wir einen themenspezifischen Kommentar durch Wissenschaftler drehen. Das ist wichtig, um die Oral History mit den Fakten der Geschichtsforschung zu ergänzen. Das mag etwas trocken klingen, aber wir zeigen auch die Orte, die im Dialog erwähnt werden, in ihrem heutigen Zustand im Vergleich mit Archivaufnahmen.

An welches Zielpublikum richtet sich diese Serie mit dem Arbeitstitel Talk to me – Truth, Lies, Memories?
FE: Die Serie eignet sich sehr gut für Museen, Schulen und Fernsehen, aber auch für den Einsatz on demand.
KS: In einer fertigen Folge erlebt man den Großvater Herbert Schrott, der mit seinem Enkel Samy so behutsam spricht, als würde er ihm etwas Zerbrechliches mitgeben, damit dieser vorsichtig sein Leben weitergehen kann. Da schon so viel zu diesem Thema gemacht wurde, wollten wir eine Erzählform finden, die auch unsere 18-jährige Tochter interessiert und anspricht. Also etwas, das relevant ist für die heutigen jungen Menschen.

»Die Freiheit, mit der die Enkel nachfragen und die Großeltern nicht vom Haken lassen, wenn sie sich um gewisse Dinge herum schummeln wollen – das ist ein wunderbares Vermächtnis.« 
Katharina Stemberger

 

Gab es Gesprächspartner, die Ihnen wichtig waren und keine Kinder hatten?
FE: Ja, zum Beispiel führte der vor Kurzem verstorbene Marko Feingold ein Gespräch mit Miriam Brownstone; für Rudi Gelbard fanden wir eine sehr interessante Gesprächspartnerin: Hannah Czernohorsky, die Tochter des Wiener Stadtrats, die als Studentin politisch aktiv ist. Es war höchst spannend, wie dieser Diskurs unter zwei Sozialdemokraten gelaufen ist. Aba Lewit, der selbst ebenfalls keine Enkel hat, hat seine Geschichte mir erzählt. Ich empfinde das noch immer als eines der größten Geschenke, die ich in meinem Leben erhalten habe.
KS: Diese Art des persönlichen Geschichtenerzählens zwischen den Generationen mit der Kamera einzufangen, ist weltweit einzigartig. Die Freiheit, mit der die Enkel nachfragen und die Großeltern nicht vom Haken lassen, wenn sie sich um gewisse Dinge herum schummeln wollen – das ist ein wunderbares Vermächtnis, das es so nie mehr geben wird.

Was treibt Sie an, sich so einem zeitraubenden und emotional fordernden Projekt zu widmen, bei dem Sie sich auch um die Finanzierung bemühen müssen?
KS: Mich treibt der Gedanke an, dass man sich die Vorfahren nicht aussuchen kann: Für manche ist diese Periode korrekt abgelaufen, für manche unsauber. Es ärgert mich diese Tendenz in Österreich, nicht so genau hinzuschauen. Schließlich sitzen wir alle in einem Zug, und er fährt in eine Richtung – die Zukunft: Und da sitzen auch unsere Kinder drin. Wie kommen wir von der Schuldzuweisung in die Verantwortung? Seit Jörg Haider wurde und wird nationalsozialistisches Gedankengut verharmlost und somit in die Mitte unserer Gesellschaft getragen. Die letzten Jahre haben mir aber auch gezeigt, wie ein angeblicher antifaschistischer Konsens in unserem Land fast täglich verraten wurde. Genannt wird das dann die Realität des politischen Geschäfts. Ich finde es einfach nur verlogen.

Der Film ist fertig und kommt 2020 in die Kinos. Wie steht es um die Ausfinanzierung der Serie?
FE: Derzeit sieht es so aus, dass wir sowohl mit Hilfe des Nationalfonds, des Bundeskanzleramts wie auch der Länder Niederösterreich und hoffentlich Salzburg und Oberösterreich ungefähr die Hälfte der Kosten abdecken können. Die Stadt Wien hat bis jetzt leider keine Möglichkeit gefunden, das Projekt zu unterstützen. Um den Rest laufen wir noch. Zurzeit strecken wir unsere Fühler in Kanada aus und haben eine Crowdfunding-Kampagne gestartet.*

Sind der ORF oder andere TV-Anstalten nicht interessiert?
KS: Wir empfinden eine persönliche Verantwortung für das, was uns diese Familien aus ihrem Leben anvertraut haben. Das ist ein Schatz, den wir schützen und behüten müssen. Da möchte ich keinen Redakteur haben, der mir sagt, was wir an Geschichte erzählen dürfen oder was nicht. Denn hier geht es nicht um journalistische Ausgewogenheit, wie das so schön heißt, sondern um Familiengeschichten, die von Wissenschaftlern in einen historischen Kontext gestellt werden. Unter diesem Aspekt ist uns jede Fernsehanstalt willkommen.

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