Die anderen Rechtsextremen

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Für Mittwoch, den 24. Juni, riefen in Wien kurdische Frauen zu einem Protest im öffentlichen Raum auf: Sie wollten damit darauf aufmerksam machen, dass kurz zuvor drei feministische Aktivistinnen durch einen türkischen Drohnenangriff getötet worden waren. Im Lauf des Abends setzten Teilnehmerinnen, darunter auch die Grün-Politikerin Berivan Aslan, sorgenerregende Tweets und Facebook-Postings ab: Die Demo sei angegriffen worden, die Frauen hätten sich im Ernst-Kirchweger-Haus (EKH) verschanzt.
Bedroht wurden sie von jenen, die auch am Tag darauf die Demonstration angriffen, zu der verschiedene linke Gruppierungen aufriefen, um ihre Solidarität mit den kurdischen Frauen zu zeigen, ein Zeichen gegen die Angreifer zu setzen, aber auch um die Politik der türkischen Regierung zu kritisieren, erklärt Schmidinger. Denn es gebe einen ideologischen Zusammenhang zwischen eben dieser Politik und den Angreifern, die der Politikwissenschaftler als rechtsextrem bezeichnet. Auch Vertreter der Jüdischen Österreichischen HochschülerInnen (JÖH) beteiligten sich an diesen Kundgebungen, auf Twitter betonten sie zudem Ende Juni: „Wir verurteilen die faschistischen Angriffe der letzten Tage in #Favoriten aufs Schärfste. Volle Solidarität mit unseren antifaschistischen und feministischen Freund*innen.“
Schmidinger war bei den Protesten ab Donnerstag selbst vor Ort. Er berichtet von einem „generalstabsmäßigen Angriff auf die Demonstration“. Hinter jeder Ecke sei eine Männer- und Bubengruppe mit 40 bis 50 jungen Burschen gestanden, „die mit Parolen, Böllern oder dem Wolfsgruß provozierten und dann am Abend gemeinsam das EKH angriffen“.
Wer aber waren diese jungen Männer? Welcher Gruppe oder welchen Gruppen sind sie zuzuordnen? „Die Angreifer waren, ihren Gesten und Parolen nach zu schließen, primär Jugendliche aus dem rechtsextremen politischen Spektrum, wobei unklar ist, ob es sich um Anhänger einer bestimmten rechtsextremen Partei handelte oder um Jugendliche, die weniger organisiert waren“, sagt der Experte. Und: „Ich vermute allerdings auf Grund der gerufenen Parolen und der Präsenz eines Vereins, der 1993 von Muhsin Yazıcıoğlu gegründeten Großen Einheitspartei (BBP), am Antonsplatz in der unmittelbaren Nähe der Konflikte, dass zumindest ein Teil der Jugendlichen aus dem Spektrum von deren Jugendorganisation, der Alperen Ocakları, kommen. Bei der BBP und den Alperen Ocakları handelt es sich nicht nur um noch extremistischere Varianten der Grauen Wölfe als bei deren Mutterpartei, der Nationalen Bewegungspartei MHP, sondern auch um eine stark islamisierte Variante des türkischen Rechtsextremismus, was auch die Allahu-akbar-Rufe erklären würde.“

»Hier hat politische Bildung in Österreich versagt,
denn diese Jugendlichen sind ja durch das österreichische Bildungssystem gegangen.«
Thomas Schmidinger

Medial wurden die Zusammenstöße vor allem zu Beginn jedoch ganz anders kommuniziert. Schmidinger kritisiert, dass einige Medien nicht klar Aggressor und Opfer benannt hätten. Es sei von Rechtsextremen eine angemeldete Demonstration überfallen worden. „Das zweite Problem war, dass die Berichterstattung die Konflikte ethnisiert hat. Es war eben nicht Türken gegen Kurden. Auch viele der Opfer waren Türkinnen und Türken. Die beiden Vereine, die im 10. Bezirk überfallen wurden, waren linke türkische Vereine und keine kurdischen, PKK-nahen Vereine. Es war also eine Aggression von Rechtsextremisten gegen Linke, und darunter waren Kurden und Kurdinnen, Türken und Türkinnen, aber auch Mehrheitsösterreicher und -österreicherinnen.“

Problematische Aussagen, die dieses falsche Bild untermauern, ortet Schmidinger auch in der österreichischen Spitzenpolitik. Sowohl Kanzler Sebastian Kurz wie auch Innenminister Karl Nehammer erklärten, es dürften keine türkischen Konflikte auf Wiener Straßen hinein- und ausgetragen werden. Es handle sich hier aber nicht um einen importierten, sondern um einen transnationalen Konflikt, betont der Experte. „Türkische Diasporapolitik trifft auf hier vorhandene Bedingungen, auf hier sozialisierte Jugendliche, die rassistische Diskriminierungserfahrungen gemacht haben und empfänglich dafür sind, wenn ihnen jemand sagt, sie könnten zumindest stolz darauf sein, Türken zu sein.“ Dazu komme das weitgehende Fehlen von Bezügen zur politischen Situation und historischen Entwicklung der Herkunftsländer von Migranten im Bereich der politischen Bildung und des Geschichtsunterrichts, womit den Narrativen der Herkunftsfamilie oder entsprechend ideologisch besetzter Vereine nichts entgegengesetzt werden könne. „Hier hat politische Bildung in Österreich versagt, denn diese Jugendlichen sind ja durch das österreichische Bildungssystem gegangen.“
Zur Ankündigung der Regierung, nun türkische Vereine genau zu durchleuchten, meint Schmidinger: Natürlich müsse der Verfassungsschutz herausfinden, wer hinter den Angriffen auf die Demonstration vor allem am Donnerstag, dem 25. Juni, stecke. Es sei aber möglich, dass das keine Vereine seien oder nicht nur Vereine. „Seit der Gleichschaltung fast aller Medien in der Türkei werden die Leute hier mit Kriegspropaganda berieselt.“ Es wäre daher vielleicht sinnvoll, auch türkische Gegennarrative zu erzählen, demokratische türkische Medien zu unterstützen und zu fördern. „Warum tut sich zum Beispiel der ORF nicht mit ARD und ZDF zusammen, um ein gutes, demokratisches mitteleuropäisches Programm in türkischer Sprache zu senden? Warum versuchen wir nicht, eine türkische Exiluniversität zu unterstützen, wenn dort schon tausende demokratische Akademiker und Akademikerinnen entlassen wurden und teilweise ins Ausland geflohen sind?“ Es wäre eben gut zu versuchen, demokratische Gegenerzählungen zur nationalistischen türkischen Regierungspropaganda zu schaffen.
Beschleunigen will die Regierung nun auch die Einrichtung der auch im Regierungsprogramm von ÖVP und Grünen vorgesehenen Dokumentationsstelle für den politischen Islam – hier kam die Coronakrise einer schnellen Umsetzung in die Quere. Mit dem politischen Islam hätten die Attacken auf die Demos aber wenig zu tun gehabt, so Schmidinger. „Das war vor allem Rechtsextremismus, und da wäre es gut, wenn zum Beispiel das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands genügend Geld bekommen würde, um ein, zwei Türkisch sprechende Mitarbeiter anstellen zu können, um die Entwicklung in diesem Spektrum verfolgen zu können.“
Insgesamt hätten die Konflikte, die ab Ende Juni zu Tage getreten seien, multiple Ursachen, und daher bräuchte es auch multiple Ansätze, um dieser Art des Rechtsextremismus beizukommen. „Da braucht es polizeiliche Maßnahmen, wohl auch Manöverkritik und Schulungsmaßnahmen der Polizei, allerdings auch mehr Sozialarbeit und Zukunftsperspektiven für die betroffenen jungen Männer. Es braucht Maßnahmen, die das Monopol der politischen Erzählung durch die türkische Regierung und die Vereine brechen, und Änderungen im Bereich der politischen Bildung. Die Erfahrungen der Herkunftsländer von postmigrantischen Communitys müssen da einfach mit einbezogen werden“, betont Schmidinger. Er bedauert, dass es hier auf vielen Ebenen – sowohl bei der Exekutive wie auch in der Politik – an Knowhow fehle.
Kontraproduktiv sei es etwa, von politischer Seite eine antimuslimische Stimmung weiter anzuheizen, wie das etwa durch die immer wieder aufflammende Debatte um das Kopftuch von Musliminnen passiert. „Der islamfeindliche Rassismus hat sicher dazu beigetragen, den Boden fruchtbar zu machen, in dem unter anderem auch der türkische Rechtsextremismus gedeihen konnte. Opfernarrative, die so entstanden sind, spielen hier eine wichtige Rolle.“

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