Die Ernsthaftigkeit DES ABSURDEN

Vor 100 Jahren wurde Otto Grünmandl geboren, ein wortgewaltiger Meister schräger Kabarettmonologe, witziger Radiotexte, aber auch ernsthafter Lyrik und Prosa.

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Otto Günmandl bei einem seiner Kabarettauftritten in Deutschland, 1994. © SCHAFLER Ali / First Look / picturedesk.com

„Es isch wias isch. Da kann man nichts machen.“ Otto Grünmandl steht im Trachtenanzug einem wissbegierigen Reporter im Lodenmantel gegenüber und berichtet vom Bergunfalltod seines Kanarienvogels. „Das war eigentlich ein Steinschlag, dem der Hansi zum Opfer gefallen ist.“ Dieser sei zwar nicht ganz so schwindelfrei gewesen wie ein Adler, aber immer tapfer mitgeflattert beim Erklimmen steiler Tiroler Felswände. „Den Hansi habe ich nie daheim gelassen, wenn ich auf die Berge gegangen bin.“

Quasi backhand erledigt Grünmandl gleichzeitig spinnerte Tierliebhaber und manische Bergfexe, erzählt im Plauderton abstruse Geschichten, aber so ernsthaft, dass man sie beinahe glauben möchte. „Otto Grünmandl sah durch eine besondere Brille auf den Menschen und die Zeit“, schrieb der Wiener Kulturjournalist Werner Rosenberger am Cover einer Best of Kabarett-DVD von Grünmandl. „Auf das Absurde im Alltäglichen. Das hat er in seinen Geschichten penibel und mit viel Liebe zum Detail aufgespießt wie der Schmetterlingssammler die Objekte seiner Begierde.“

Jude in Tirol. Grünmandls Vater Alfred war Jude, die Mutter Christine Katholikin. Ersterer stammte aus einer ungarischen Gemeinde in Mähren, Zweitere aus Niederösterreich. Alfred Grünmandl hatte gemeinsam mit seinem Bruder 1907 in Hall ein Textilgeschäft eröffnet. Dieses hielt zwar der Wirtschaftskrise stand, nicht aber den Nationalsozialisten, die es „arisierten“. Grünmandl senior wurde interniert, dann wieder freigelassen und überlebte die NS-Zeit mit Hilfe von Nachbarn in Hall. Die älteste Schwester konnte noch rechtzeitig nach England fliehen, doch der Kriegsbeginn verhinderte das Nachholen der anderen Geschwister. Otto wurde noch 1944 verhaftet und zur Zwangsarbeit in einem Braunkohlelager in Ostdeutschland verschleppt.

 

„Es ist der Mensch, der Mensch allein,
der gegen sich verliert.“

 

Nach dem Krieg bemühten sich die Grünmandls, ihr Geschäft wieder zurückzubekommen, und prozessierten gegen die Ariseure. 1948 gelang es ihnen schließlich. Otto schrieb über diese unmittelbare Nachkriegszeit nichts Persönliches, sondern fasste seine Erinnerungen eher abstrakt zusammen: „Als sich die Überlebenden in der Verwüstung, die [der Krieg] zurückgelassen hatte, aufzuraffen begannen, hatten sie erst einmal wahrzunehmen, was da inmitten von Trauer und Zerstörung, inmitten rauchgeschwärzter Ruinen noch an Brauchbarem herumlag.“

Otto Grünmandl begann an der TU Graz, Elektrotechnik zu studieren, brach aber bald wieder ab. Viele Jahre später erinnerte er sich schon ganz in Kabarettisten-Manier: „Seither habe ich von der Elektrotechnik wenig Ahnung, aber das fundiert.“ Bis 1965 arbeitete Grünmandl dann im elterlichen Textilgeschäft, zuständig für Einkauf und Buchhaltung. Sein wahres Interesse galt aber stets dem Schreiben. Er knüpfte Kontakte zu literarischen Kreisen und Publikationen, mit dem Prosatext Ein Gefangener gelang ihm eine erste Veröffentlichung. Diesen Text widmete er seinem Vater, er befasst sich mit den letzten Kriegstagen aus der Sicht unterschiedlicher Personen.

„Das ist ein Wahnsinn,
nicht tragisch,
aber ein Wahnsinn.“

Otto Grünmandl

 

Bürgermeister, Wutbürger, Beamte. Wirkliche Erfolge feierte Grünmandl dann als Kabarettist. Er kannte seine Pappenheimer gut, sezierte sie in seinen Sketches gnadenlos, aber nicht abschätzig, schälte Charakterkerne heraus von Archetypen, wie sie auch 40 oder 50 Jahre später noch durch unsere Welt von Politik und Medien irrlichtern. Bei ihm tauchen schon lange vor Corona die notorischen Nörgler und aggressiven Wutbürger auf, die realitätsfernen Regionalpolitiker, die versnobten Beamten und ungepflegten Reporter.

„,So will ich meine Suppe nicht serviert bekommen, so nicht‘, motzt da einer.“ Und später: „Das ist ein Wahnsinn, nicht tragisch, aber ein Wahnsinn.“ Und um die Szene vollends ins Abstruse zu kippen, ist plötzlich von der Abrüstung von Atomwaffen die Rede, dann war wiederum „die Software, die Suppe, falsch programmiert […]. Es ist der Mensch, der Mensch allein, der gegen sich verliert.“

Einen Tiroler Bürgermeister – ebenfalls im Trachtenanzug – lässt Grünmandl über die „Woche der schottisch-tirolerischen Begegnung“ schwafeln. „Heute, wo die Deutschen schon sparen“, müsse man sich um neue Gästegruppen bemühen. Die Inder seien weniger interessant, aber die Schotten, selbst wenn es sich bei ihnen um Protestanten handle, könne man leicht für Fronleichnamsprozessionen und Schützenaufmärsche gewinnen.

Beim Sketch zum „Tag der Banane“ hat sich der vom Rednerpult schwadronierende Politiker schon im städtischen Anzug mit Monster-Krawatte verkleidet. Er rühmt sich, dass diese Idee von Österreich ausgegangen sei, und drückt seine „tiefe Enttäuschung“ aus, dass es keine „verantwortungsvolle Opposition gebe“, die das auch würdige. Dann hebt er ab zum gedrechselten Grillparzer-Zitat: „Da tritt der Österreicher hin, schält sich eine und lässt die anderen reden“, und gibt sich gleich darauf als verantwortungsvoller Sozialpolitiker: „Gegen den Preisauftrieb haben wir mit der Banane den längeren Hebel.“

In seinem bekannten Programm Politisch bin ich vielleicht ein Trottel, aber privat kenne ich mich aus entblößt Grünmandl eine weiteren Politiker-Figur bis zur Kenntlichkeit: „Mir geht es einzig um die Wahrheit, deshalb werde ich dazu keine weitere Stellungnahme abgeben.“

Radio, Bühne, Fernsehen. Bevor sich Grünmandl dem Kabarett und der Kleinkunst zuwandte, hatte er Hörspiele und Prosa geschrieben, 1970 erhielt er den Österreichischen Staatspreis für Hörspiele. Im Landesstudio Tirol des ORF leitete er von 1972 bis 1981 die Unterhaltungsabteilung, dann machte er sich als Schriftsteller, Schauspieler und Kabarettist ganz selbstständig.

Mit seinen Alpenländischen Interviews, die ab 1970 in Ö3 ausgestrahlt wurden, war er bereits einer weiteren Hörerschaft bekannt. Diese Alpenländischen Interviews bestritt er zusammen mit dem Tiroler Pianisten, Musiklehrer und Kabarettisten Theo Peer. Sie wurden später auch auf Bühnen aufgeführt und dann in verfilmten Versionen vom ORF-Fernsehen ausgestrahlt. Es folgten weitere Radioreihen wie das Alpenländische Inspektoren-Inspektorat, Olympische Interviews oder Alpenländische Erfindungen im ORF sowie eine Doppelconférence halbstündiger Sendungen mit Gerhard Polt im Bayerischen Rundfunk. Die beiden traten auch gemeinsam an den Münchner Kammerspielen auf.

Gegenüber den populären Radiosendungen und Kabarettauftritten mit seinem trockenen, oft absurden Humor traten Grünmandls ernsten lyrischen und erzählerischen Texte eher in den Hintergrund. Zu Unrecht, wie die Herausgeberinnen der mehrbändigen Werkausgabe im Haymon Verlag, Maria Piok und Ulrike Tanzer, schreiben. Er habe selbst darum kaum Aufsehen gemacht. „Die Beschäftigung mit wenig oder gar nicht bekannten Texten Grünmandls ist jedoch durchaus lohnend.“ Diese Texte sind „integraler Bestandteil eines Werks, das sich eindeutigen Zuschreibungen entzieht“. Dazu gehören etwa die Romane Das Ministerium der Sprichwörter, Pizzarini und Es leuchtet die Ferne.

Ganz konnte er seinen mangelnden Erfolg als Schriftsteller jenseits der Späße dennoch nicht wegstecken, so klagte er einmal in einem Gedicht:

Ich hab’ so viel geschrieben
auf Papier
auf Papier
ist nichts davon geblieben
mir ist
als wär’s von mir.

Grünmandl war auch Gründungsmitglied des P.E.N.-Clubs Liechtenstein und lange Jahre Mitglied der Freimaurerloge Zu den 3 Bergen“. 1992 erhielt er für sein Lebenswerk den Deutschen Kleinkunst-Ehrenpreis. 1996 gründete Grünmandl in seinem Heimatort Hall in Tirol ein Zimmertheater, in dem er jedes Wochenende eines seiner Kabarettprogramme spielte.

Sein Einmann-Stammtisch, den er auf größeren Kabarettbühnen präsentiert hatte, kann bereits als Vorgriff auf diese Minimalisierung gesehen werden. Der EinmannStammtisch gibt scheuen jungen Männern die Möglichkeit, im Wirtshaus das Leben zu beobachten, ohne sich allzu sehr in die gefährliche Nähe anderer zu begeben.

Am 3. März 2000 starb Otto Grünmandl in Hall. Gerhard Polt erinnerte sich später an seinen letzten Besuch am Krankenbett des langjährigen Freundes: „Woasch Gerhard, i stirb jetz amal derweil, und dann schau ma weiter.“

Um nicht auf einem traurigen Ton zu enden, hier noch eine Coda aus Grünmandls beliebtem Programm Politisch bin ich vielleicht ein Trottel, aber privat kenne ich mich aus. Es sei keine Zugabe, was er hier im Wiener Spektakel am Ende zum Besten gebe, sondern ein Auszug aus seinem „Haupt und Lebenswerk: zwei gesammelte Sinnsprüche“:

Höret, was Erfahrung spricht:
Hier ist es so wie anderswo.
Nichts genaues weiß man nicht.
Dieses aber ebenso.

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