Interview mit Michael Ludwig
WINA: Wie beurteilen Sie die Aussichten auf das Zustandekommen einer ÖVP-FPÖ-Regierung?
Michael Ludwig: Es sieht so aus, als hätten sich diese beiden Parteien weitgehend geeinigt. Ich bedaure das, auch in Hinblick auf die Erfahrungen der Jahre 2000 bis 2007, die mit großen Belastungen für die österreichische Bevölkerung verbunden waren. Ich habe Sorge um die Zukunft Österreichs, weil sich diese Parteien gegen die positiven Entwicklungen in unserem Land stellen. Dazu gehört die Ankündigung, sowohl die Sozialpartnerschaft als auch die Möglichkeiten der Arbeiterkammer einzuschränken. Das sind aber wichtige Instrumente, um die soziale Sicherheit und den sozialen Frieden zu gewährleisten.
Welche Konsequenzen wird das für die Wiener Stadtpolitik haben?
❙ Es ist notwendig, dass die Sozialdemokratie auf Bundesebene und in der Stadt deutlich macht, dass Wien ein Gegenmodell zu dieser Art von Politik ist. Denn wir verbinden Weltoffenheit sehr wohl auch mit Sicherheit für die hier lebenden Menschen.
Worin würde sich nach Ihrer Wahl zum Vorsitzenden der Wiener SPÖ am 27. Jänner 2018 und in der Folge zum Bürgermeister Ihre Politik in der Stadt von jener des zweiten Kandidaten, Andreas Schieder, unterscheiden?
❙ Das kann ich noch nicht klar beantworten, weil Klubobmann Schieder zuletzt auf Bundesebene aktiv war und ich seine Konzepte für die Zukunft der Stadt nicht kenne. Ich war in den letzten zehn Jahren Mitglied der Wiener Stadtregierung, daher wissen die Wienerinnen und Wiener, wofür ich stehe. Aber ich habe viele Jahre mit Klubobmann Schieder sehr gut zusammengearbeitet, jetzt wird es darauf ankommen, im Rahmen vieler Diskussionen diese Unterschiedlichkeiten herauszuarbeiten – in aller Solidarität und Freundschaft.
Reicht eine „Anti-FPÖ“ Haltung für Wien als politisches Programm?
❙ Wir haben eine eindeutige Haltung gegenüber der FPÖ. In vielen Bezirken der Stadt ist die Sozialdemokratie der heftigste Konkurrent der FPÖ, besonders dort, wo andere Parteien eine untergeordnete Rolle spielen. Dort führen wir die härteste Auseinandersetzung. Ich bin überzeugt, dass wir uns nicht nur abgrenzen müssen, sondern vor allem klar sagen, wofür wir stehen. Nur kontra zu geben, ist leicht. Man muss der Bevölkerung signalisieren, welche Vorteile sie durch die sozialdemokratische Politik am Arbeitsmarkt und im Bildungsbereich hat. Die FPÖ geriert sich als die Partei der „kleinen Frau“ und des „kleinen Mannes“, aber in ihrem Abstimmungsverhalten, sowohl im Parlament als auch auf Gemeindeebene, handelt sie entgegengesetzt: Bei Integrationsfragen und am Arbeitsmarkt stimmt sie immer gegen förderliche Maßnahmen. Daher wird in dieser Auseinandersetzung deutlich, wo uns inhaltlich besonders viel trennt.
»Ich bin überzeugt, dass wir uns nicht nur abgrenzen müssen, sondern vor allem klar sagen, wofür wir stehen. Nur kontra zu geben, ist leicht.«
In den Wiener Flächenbezirken wie etwa Floridsdorf leben viele Zuwanderer. Sehen Sie dort Anzeichen für erstarkte Ausländerfeindlichkeit oder Antisemitismus?
❙ Für mich ist keine Art von Antisemitismus tolerierbar, egal, ob dieser von Privatpersonen oder politischen Parteien kommt. Genauso abzulehnen ist der importierte Antisemitismus von Menschen, die aus anderen Regionen der Welt zu uns kommen. Ich verstehe die Sorge mancher Jüdinnen und Juden, dass durch die Einwanderung aus bestimmten Ländern Vorurteile gegen die jüdische Bevölkerung genährt werden. Da müssen wir sehr wachsam sein, und vielleicht werden hier unsere bisherigen Instrumente der antifaschistischen Arbeit nicht ausreichen. Daher bauen wir laufend unser Antiradikalisierungsnetzwerk auch zur Bekämpfung des Antisemitismus aus.
Sie haben vor Kurzem einen Gemeindebau nach dem Gründer des Kulturvereins österreichischer Roma, Rudolf Sarközi, benannt. Sie engagieren sich im Verein Sozialdemokratischer Freiheitskämpfer und KZ-Überlebender. Zuletzt erinnerten Sie mit einer Gedenkstunde an die Zerstörung des türkischen Tempels in der Zirkusgasse in der Pogromnacht 1938. Warum bezeichnen manche Sie trotz all dem als „FPÖ-affin“?
❙ Das müsste man jene fragen, die das behaupten. Im Gegenteil, mein Bezirk Floridsdorf hat beim letzten SPÖ-Landesparteitag einen Antrag gegen eine Koalition mit der FPÖ eingebracht, der vom höchsten Gremium der Wiener SPÖ einstimmig angenommen wurde. Dass ich mich seit vielen Jahren für die antifaschistische Arbeit einsetze, ist bekannt. Bereits als junger Bildungssekretär habe ich viele antifaschistische Seminare veranstaltet, die bis heute Bestand haben – eben weil ich mir dieser besonderen Verantwortung bewusst bin.
Sie waren schon früh auf pädagogischen Pfaden unterwegs?
❙ Ich erinnere mich an meinen persönlichen politischen Aktionismus im SPÖ-Bildungszentrum in der Praterstraße: In diesen Räumen war in der NS-Zeit ein Durchgangslager der Gestapo. An einem Küchenfenster sah man noch das Gitter aus jener Zeit. Ich drapierte dieses Fenster im Foyer, und am Anfang jeder Veranstaltung erzählte ich die grausame Geschichte dieses Ortes. So habe ich die Vergangenheit und die Gegenwart verknüpft, um zu betonen, wie wichtig der Kampf noch immer ist.
Als Wohnbaustadtrat konnte ich Erinnerungsprojekte nicht nur ideell, sondern auch materiell unterstützen. Zuletzt das Mahnmal am Aspanger Bahnhof, von wo mehr als 47.000 Jüdinnen und Juden ihre schreckliche Fahrt in die Vernichtungslager der Nazis antreten mussten. Es war berührend, wie die Zeitzeugen über die Deportation, aber auch über das Verhalten der Bevölkerung berichtet haben. Wir hörten positive, aber leider auch rücksichtslose und denunziatorische Beispiele.
Das müsste Sie ja eigentlich zum Feindbild der FPÖ machen?
❙ Jedenfalls wird die FPÖ keine große Freude mit mir haben, wenn ich zum Bürgermeister gewählt werde.
Wie beurteilen Sie das gemeinsame „Wien-Bashing“ von ÖVP und FPÖ?
❙ Die Stadt Wien ist sicher ein Stachel im Fleisch dieser beiden Parteien, denn die Stadt ist sehr gut organisiert und verwaltet. Leider erinnert mich dieses Verhalten an die starke Polarisierung, die es in den 1920er- und 1930er-Jahren gegeben hat: gegen die Städte und vor allem gegen das rote Wien. Wir müssen jetzt verstärkt dagegenhalten und zeigen, dass wir eine weltoffene Stadt sind und bleiben wollen und gleichzeitig auch Sicherheit schaffen für alle Menschen, die hier leben.
Hat Ihr antifaschistisches Engagement etwas mit Ihrer Familiengeschichte oder Ihrer politischen Sozialisierung zu tun?
❙ Es hat sicher mit dem sozialdemokratischen Zugang zu tun, dass alle Menschen gleich sind. Ich sehe trotzdem nicht alles unkritisch. Ich bin zum Beispiel mit Martin Engelberg, der jetzt als ÖVP-Nationalrat tätig ist, freundschaftlich verbunden. Wir waren in der Handelsakademie Schulkollegen, haben gemeinsam maturiert, trotzdem sind wir nicht in allem einer Meinung, das halte ich auch für einen großen Vorteil. Ich bin ein sehr guter Freund von Professor Rudi Gelbard, der mich nicht nur emotional, sondern auch rational seit vielen Jahren begleitet. Er ist ein Lehrer, der mir zeigt, wie man mit diesen Themen umgehen soll.
Sie sind ein Bildungspolitiker, der Politikwissenschaft und Geschichte studiert hat und sich seit 1995 der Volksbildung widmet: ehrenamtlich in der Jugend- und Erwachsenenbildung und seit 2008 als Aufsichtsratsvorsitzender der Wiener Volkshochschulen GmbH. Konnten diese Institutionen etwas bewirken?
❙ Die Volkshochschulen (VHS) feiern ihr 130-jähriges Bestehen und sind eine der größten Bildungseinrichtungen für Erwachsene in ganz Europa. Nach dem Motto „Wissen ist Macht“ wurde diese wichtige Einrichtung von der Sozialdemokratie immer forciert. Für Menschen, die den ersten Bildungsweg verpasst haben, besteht die Möglichkeit, sich später für den Arbeitsmarkt zu qualifizieren. Durch diese Persönlichkeitsbildung werden sie zu einem Teil der Gesellschaft, der sich in das politische Leben einbringt und selbstbewusst agiert.
Die VHS bestreiten die sprachliche und kulturelle Integration seit der großen Zuwanderungswelle in den 1980er-Jahren. Wir waren federführend bei der Demokratieerziehung von Zuwanderern aus Ländern, von denen man nicht automatisch annehmen kann, dass sie dieselbe Einstellung zu demokratischen Abläufen haben, wie sie bei uns erfreulicherweise über viele Jahrzehnte erkämpft wurde.
Das Jüdische Institut für Erwachsenenbildung gehört auch zu den Wiener VHS?
❙ Ja, die Gründung des Jüdischen Instituts wurde 1988/89 von Kurt Rosenkranz mit großem Einsatz betrieben; heute gehört es zum Kreis der wichtigsten Bildungsunternehmen. Das Wunderbare daran ist, dass nicht nur jüdische Menschen von den zahlreichen Aktivitäten profitieren, sondern die Angebote, über jüdische Kultur und Geschichte etwas zu erfahren, auch von vielen anderen Interessierten angenommen werden. Diese Verbindung von Geschichte, Gegenwart und Zukunft ist ein wichtiger Angelpunkt der Kommunikation, weil sie auf die Leistungen des Wiener Judentums hinweist und damit auch zukünftige Perspektiven aufzeigt.
Ich habe den „Tag der offenen Tür“ in der IKG besucht, und es war eine Freude zu hören, wie Gemeinderabbiner Hofmeister bei seiner Führung über das vielfältige jüdische Leben in dieser Stadt referierte. Die zahlenmäßig kleine Gemeinschaft ist über Bethäuser, Schulen und Vereine höchst aktiv. Diese Lebendigkeit ist ein schönes Zeichen dafür, dass wir die vielen Herausforderungen der Zukunft gemeinsam meistern können.
Michael Ludwig,
geboren 1961 in Wien, studierte Politikwissenschaft und Geschichte an der Universität Wien (Dr.phil.) und war als Pädagoge in der Erwachsenenbildung aktiv, u. a. auch als Bildungssekretär der SPÖ Wien. Seit 2007 ist Ludwig amtsführender Wiener Stadtrat für Wohnen, Wohnbau und Stadterneuerung, seit 2008 auch ehrenamtlicher Aufsichtsratsvorsitzender der Wiener Volkshochschulen GmbH und Vorsitzender des Bruno-Kreisky-Archivs.