Die Fürsten und ihre Juden

Das Fürstentum Esterházy ließ sich den Schutz der Juden zwar teuer bezahlen. Dennoch erlebten die sieben jüdischen Gemeinden des Burgenlands eine wertvolle Blütezeit. Im Schloss in Eisenstadt gibt eine Ausstellung Einblick in das Leben der „Hochfürstlichen Esterházy Schutzjuden“.

1920
Jüdische Geschichte Burgenlands im Schloss Esterházy in Eisenstadt. © Reinhard Engel

Manche schauen düster drein, andere etwas freundlicher, aber alle zeigen in ihrer Körperhaltung, dass sie das Sagen und die Macht haben.

Die Gemälde der Fürsten von Esterházy sind riesig und alle in Farbe gehalten – die historischen Dokumente und spärlichen Fotos ihrer jüdischen Untertanen sind dagegen alle schwarz-weiß. So entsteht eindeutig der Eindruck, dass die Herrschenden auf die unter ihrem Schutz stehenden Juden herabblicken. Dennoch ging es den westungarischen (später burgenländischen) jüdischen Gemeinden unter diesem Primat wesentlich besser als in den Ländern, aus denen sie vertrieben wurden. Die Juden zahlten laufend hohe Summen – unter den verschiedensten Titeln – für die Möglichkeit, sich hier ansiedeln, arbeiten, einfach leben zu dürfen.

Die Jahresausstellung Schewa Kehilot – Die Jüdischen Sieben-Gemeinden unter den Fürsten Esterházy (1618 – 1848) im Schloss Esterházy, in unmittelbarer Nähe zur einstigen jüdischen Gemeinde in Eisenstadt, gewährt einen umfassenden Einblicke in das jüdische Leben vom 17. bis zum 19. Jahrhundert.

Bis zum 2. Oktober 2022 ist der Besuch dieser sehenswerten Schau möglich, die der burgenländische Historiker Felix Tobler aus den umfangreichen Sammlungen der Privatstiftung Esterházy zusammengestellt hat.

Obwohl sich die Ausstellung ausschließlich auf die Herrschaftsperiode der Esterházys von 1612 bis 1848 bezieht, erfährt man durch die historischen Bezüge davor und danach Wesentliches über das Schicksal der Juden und insbesondere über die große Bedeutung dieser „Sieben-Gemeinden“ – hebräisch „Schewa Kehilot“ – Eisenstadt, Mattersdorf*, Kittsee, Frauenkirchen, Deutschkreutz, Kobersdorf und Lackenbach.

Die ersten sicheren Spuren von Juden auf dem Gebiet des heutigen Burgenlands führen in das 13. Jahrhundert. Nach ihrer Vertreibung aus der Steiermark und aus Kärnten 1496 unter Kaiser Maximilian I. und aus Ödenburg sowie weiteren ungarischen Städten nach der Schlacht von Mohács 1526 fanden viele Vertriebene Zuflucht auf westungarischem, heute burgenländischem Gebiet. Im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts erfolgte nach der Ausweisung der jüdischen Bevölkerung aus Wien, Niederösterreich und Oberösterreich unter Kaiser Leopold I. erneut eine jüdische Zuwanderung und damit auch die kontinuierliche Besiedlung.

Obwohl Paul I. Fürst Esterházy unter dem Einfluss der von Kaiser Leopold I. 1670/71 verfügten Vertreibung der Juden aus Wien und Niederösterreich zuerst auch „seine“ Juden aus den Gemeinden Eisenstadt, Mattersdorf und Lackenbach ausgewiesen hatte, siedelte er ab 1676 mit dem Beginn einer judenfreundlicheren Politik erneut Juden in seinem Einflussbereich an. Daher bestanden bis zum Ende der Esterházy-Schutzherrschaft im Jahre 1848 die weithin bekannten fürstlichen Judengemeinden. (Unter dem Schutz der Familie Batthyány haben sich im heutigen Südburgenland ebenfalls drei jüdische Gemeinden etabliert, und zwar Rechnitz, Schlaining und Güssing.)

Paul Esterházy machte dies nicht aus humanitären Gründen, für ihn standen wirtschaftliche Interessen im Vordergrund, die aber nicht nur zum Nachteil der Juden gerieten: Er stellte für die Judengemeinden Schutzbriefe aus, in denen der Status der jüdischen Gemeinden sowie die Rechte und Pflichten der Untertanen bis ins kleinste Detail festgeschrieben waren. Die Juden bezahlten der Familie Esterházy Schutzgebühren für die ihnen eingeräumten Rechte und nannten sich stolz „Hochfürstliche Esterházy Schutzjuden“.

Zum Glück für die Juden erloschen die Schutzbriefe auch nicht mit dem Tode des Grundherrn, sondern wurden bei jedem Herrscherwechsel erneuert. Da Fürst Paul II. Anton Esterházy de Galantha (1711–1762) kinderlos starb, beerbte ihn sein Bruder, Nikolaus I., der als Freund der Juden galt. Da er den Eisenstädter Schutzjuden Moyses Helin noch aus seiner Jugend kannte und sein kluges Auftreten als Händler schätzte, da er ihm persönlich vieles beschaffen konnte, erhob er Helin aufgrund seiner treuen Dienste zum Hoffaktor. Von da an trug dieser den Ehrentitel eines Hofjuden. Nach seinem Regierungsantritt bestätigte Fürst Nikolaus I. die Schutzbriefe aller seiner jüdischen Gemeinden.

Jüdische Lehre, kulturelle Errungenschaften und Friedhöfe. Unter diesen günstigen Rahmenbedingungen entwickelte sich ein ungestörtes Kommunal-, Wirtschafts- und Geistesleben. Es gab eine jüdische Verwaltung und Gemeindeorganisation mit Ärzten, Lehrern, Schächtern und anderen Berufen. Aus Mattersdorf sind z. B. Berufe wie Schneider, Branntweinbrenner, Fleischhacker und Bierbrauer belegt. Die meisten orthodoxen Juden lebten in Mattersdorf und Deutschkreutz, wo sich bedeutende Jeschiwot befanden. In Mattersdorf wirkte unter anderem auch der große Rabbiner Mosche Schreiber, bekannt als Chatam Sofer (1762 Frankfurt–1839 Pressburg/Bratislava), der zunächst in Mattersdorf lebte und wirkte und ab 1806 in Pressburg tätig war. Weltweit bekannt war die jüdische Gemeinde von Deutschkreutz wegen ihrer Talmudschule, an der orthodoxe Studenten aus ganz Mitteleuropa eine traditionell-jüdische Ausbildung genossen.

So wie Eisenstadt und Mattersdorf dürfte auch Kobersdorf im 16. Jahrhundert eine voll ausgebildete Gemeinde mit Synagoge, Friedhof, Rabbiner, Kantor, Schächter und Gemeindegericht gewesen sein. Schon 1569 zählte die Gemeinde 18 jüdische Familien in sieben Häusern.

Kobersdorf galt vor allem wegen des Mineralwassers als beliebter Kurort, und die Gemeinde bemühte sich besonders um orthodoxe jüdische Sommergäste.

Berühmte Musiker stammen auch aus dieser Gegend: Im jüdischen Viertel von Kittsee wurde 1831 der bekannte Geiger und Komponist Joseph Joachim geboren. In Keszthely am Balaton 1830 als Sohn eines jüdischen Kantors geboren, übersiedelte Carl Goldmark im Alter von vier Jahren nach Deutschkreutz, wo er in ärmlichen Verhältnissen in seiner deutschjüdischen Familie aufwuchs. Mit elf Jahren bekam er den ersten Geigenunterricht, mit 14 Jahren zog er nach Wien, und im Alter von 18 Jahren trat er bereits als Sologeiger auf. Später entwickelte er sich zum populären Komponisten.

Den Juden von Deutschkreutz setzte niemand Geringerer als Joseph Roth im August 1919 ein Denkmal: Nach seiner Reise durch das Heanzenland (als Heanzen werden die deutschsprachigen Bewohner des südlichen und mittleren Burgenlands bezeichnet) beschrieb er berührend, was ihm der Rabbiner der Stadt über den Alltag in den Siebengemeinden erzählt hatte. Ruwen Hirschler, ein Förderer des jungen Franz Liszt, wurde ebenso in Lackenbach geboren wie der sozialistische Politiker Julius Deutsch, Mitbegründer des Republikanischen Schutzbundes. Gleich nach dem „Anschluss“ 1938 wurden die meisten Lackenbacher Juden auf Lastwagen gepfercht und nach Wien zwangsumgesiedelt. 1942 wurde die prächtige Synagoge gesprengt – eine ganz kleine, kaum auffindbare Gedenktafel erinnert heute daran. Der Gottesacker ist erhalten geblieben und mit 1.770 Grabsteinen der größte jüdische Friedhof im Burgenland. Hier findet sich auch das Grab von Arthur Schnitzlers Urgroßvater Markus Mordechai Schey, den der Schriftsteller als gelähmten Greis deutlich in Erinnerung hatte. Ihm und seinem jüngeren Bruder, Baron Philipp Freiherr Schey, dessen Grab sich auch auf dem Lackenbacher Friedhof findet, setzte Schnitzler in Der Weg ins Freie ein literarisches Denkmal.

© Reinhard Engel


„Die Juden sprechen ein reines, fehlerloses, etwas hartes Deutsch und vertragen sich
ausgezeichnet mit der Bevölkerung. Die deutschen Bauern machen einen strengen Unterschied zwischen ‚Budapester‘ und ‚unseren‘ Juden.“
Joseph Roth**

 

Dieser effektive „Weg ins Freie“ erfolgte im Jahr 1848 nach dem Ende des Abhängigkeitsverhältnisses vom Hause Esterházy: Die Juden wurden freie, gleichberechtigte – ungarische – Staatsbürger. Die endgültige Gleichstellung der Juden erfolgte schließlich am 20. Dezember 1867 in Folge des Österreich-Ungarischen Ausgleiches: Sie waren nun Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges bekam Österreich die deutschsprachigen Teile der westungarischen Komitate zugesprochen, die ab 1921 zum Burgenland zusammengefasst wurden.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts lebten auf dem Gebiet des heutigen Burgenlandes noch etwa 8.000 Juden. Die burgenländischen Juden waren 1938 die ersten in Österreich, die von den Ausweisungen der Nazis betroffen waren. Schon wenige Tage nach dem „Anschluss“ im März begann die systematische Ausweisung der Juden aus ihren Gemeinden. Am 1. November 1938 meldete die Presse, dass „sämtliche Kultusgemeinden des Burgenlandes […] nicht mehr existieren“. Als der NS-Landeshauptmann Dr. Tobias Portschy am 2. April 1938 forderte, im Burgenland neben der Agrarreform und der „Zigeunerfrage“ auch die „Judenfrage mit nationalsozialistischer Konsequenz zu lösen“, bedeutete dies das endgültige Ende einer dreihundertjährigen kontinuierlichen jüdischen Geschichte im jüngsten Bundesland Österreichs.

Nach 1945 kehrten nur mehr sehr wenige jüdische Familien ins Burgenland zurück. Heute gibt es, verstreut über das ganze Bundesland, kaum ein Dutzend Juden. Von den ehemaligen Synagogen blieben nur jene von Kobersdorf erhalten – die jüngst aufwendig renoviert wurde – sowie die vom Eisenstädter Weinhändler Sándor Wolf erbaute Privatsynagoge im heutigen Österreichischen Jüdischen Museum in Eisenstadt. Sehr treffend beschreibt dieses Museum den heutigen Zustand: „Eine Reise auf den Spuren der ehemaligen jüdischen Gemeinden des Burgenlandes ist heute eine Reise zu einigen Gedenktafeln und jüdischen Friedhöfen.“

* Die Gemeinde trug bis zum 14. Juni 1924 offiziell den Namen „Mattersdorf“. Am 2. Juli 1926 erfolgte die Stadterhebung als „Mattersburg“.
** Joseph Roth: Reise durchs Heanzenland. In: Der Neue Tag, 9.8.1919, S. 4f., zitiert nach www.ojm.at.

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