Wina: Sie feiern Ihren Einstand als Regisseur am Akademietheater zu Beginn der Ära Martin Kusej mit dem Familiendrama Vögel, in dem Deutsch, Englisch, Iwrith und Arabisch gesprochen wird. Es geht um die Liebesgeschichte zwischen einem Israeli und einer Araberin. Am Staatstheater Stuttgart, wo die deutsche Erstaufführung des frankokanadischen Autors Wajdi Mouawad stattfand, spielten Sie eine der Hauptrollen. Wie kommt es, dass Sie in Wien Regie führen?
Itay Tiran*: Die Antwort hängt irgendwie mit dem Stück Vögel zusammen, in dem es um die Frage geht, ob es ein vorgezeichnetes Schicksal gibt oder man sich Chancen selbst eröffnet. Denn auch diesen spannenden Aspekt behandelt das Stück, und mich beschäftigte der gleiche Gedanke, als mir Burkhard Kosminski die Rolle des David in Stuttgart anbot und ich 2017 nach Deutschland ging. Martin Kusej habe ich schon ein Jahr davor getroffen: Er hat mich im Cameri Theater in Tel Aviv in Ingmar Bergmanns Szenen einer Ehe gesehen. Wir hatten sehr gute Gespräche, er war dann auch in Stuttgart und wollte Vögel unbedingt in Wien machen. Wahrscheinlich bot er mir die Regie an, weil ich schon als Schauspieler mit dem Drama vertraut war. Zusätzlich sah er mein Wissen um die jüdische Religion, die zentral im Stück ist, und meine Affinität zu diesem komplexen Thema als Vorteil an.
Hatte er schon eine Regiearbeit von Ihnen gesehen?
❙ Ja, er hatte 2018 eine Opernregie von mir in Regensburg gesehen. Dort inszenierte ich eine andere deutsch-jüdische Liebesgeschichte, nämlich die zwischen Martin Heidegger und Hannah Arendt. Das Theaterstück Die Banalität der Liebe stammt von Savyon Liebrecht, vertont wurde es von der israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff.
Wie sieht Ihr Konzept für Wien aus?
❙ Ich sehe mich als Mittelsmann zwischen dem Stück und dem Publikum und halte mich an die mächtigen und großzügigen Texte und das durchaus erlaubte Pathos dieses mutigen und noblen Autors. Er beweist sein Verständnis und die Verantwortung für den anderen, in dem Fall auch für die jüdisch-israelische Problematik. Daher setze ich den Schwerpunkt auf die mehrfachen Identitäten, die Vielsprachigkeit und die Rituale, die in diesem Stück aus einer sehr menschlichen Perspektive verhandelt werden.
»Ich sehe mich als Mittelsmann
zwischen dem Stück und dem Publikum
und halte mich an die mächtigen und großzügigen Texte dieses mutigen und noblen Autors.«
Ihre bejubelte Darstellung des Othello scheint im Programm der Saison 2019/20 in Stuttgart auf. Auch den David in Vögel spielen sie dort weiterhin. Werden Sie zwischen den beiden Städten pendeln?
❙ Im ersten Jahr ist das so vereinbart. Ich nenne es mein „Bermuda-Dreieck“: Ich werde von Wien nach Stuttgart fliegen und dann mit dem Zug Richtung Norden in die Lüneburger Heide fahren. Dort lebe ich mit meiner Frau Melanie in einer Art Arche Noah mit vier Pferden und zwei Katzen.
In Österreich kennt man Sie aus den vier Tel-Aviv-Krimis der ARD, in denen Sie gemeinsam mit Katharina Lorenz and Samuel Finzi spielen. Zuletzt standen Sie mit Ben Kingsley und Monica Bellucci in den Niederlanden für den Thriller Spider in the Web vor der Kamera. Direktor Kusej möchte seine Künstler exklusiv an das Haus binden. Sie gehören jetzt zum Ensemble des Burgtheaters. Werden Sie mit anderen Projekten aufhören?
❙ Meine Arbeit am Burgtheater hat jetzt höchste Priorität für mich. Um etwas ernsthaft zu machen, muss man sich voll darauf konzentrieren. Ich freue mich sehr über das Vertrauen, das mir so eine großartige Theaterpersönlichkeit wie Martin Kusej schenkt. Ich habe viele seiner Aufführungen gesehen, bewundere ihn und teile seine Zugänge.
Das Problem, Film- oder TV-Produktionen mit dem anspruchsvollen Theaterspielen zu koordinieren, hatte ich schon im Cameri Theater und auch in Stuttgart. Man kann es aber schaffen. Ich glaube, Direktor Kusej bezieht sich da eher auf Schauspieler, die gleichzeitig an anderen Theatern spielen wollen. Da wird die Abstimmung der Spielpläne sehr mühsam.
»Wenn ich Regie führe, ähnle ich mehr einem Vogel,
der ins tiefe Wasser taucht, in der Hoffnung,
dass er dort amphibische Kräfte zum Überleben entwickelt.«
Was machen Sie lieber: spielen oder Regie führen?
❙ Beim Schauspielen fühle ich mich zu Hause, wie ein Fisch im Wasser. Wenn ich Regie führe, ähnle ich mehr einem Vogel, der ins tiefe Wasser taucht, in der Hoffnung, dass er dort amphibische Kräfte zum Überleben entwickelt.
Welches der beiden Talente werden Sie am Burgtheater mehr einsetzen?
❙ Das werden wir erst sehen, wir bauen jetzt das gegenseitige Vertrauen aus. Schauen wir einmal, ob mich Direktor Kusej noch nach dieser Regiearbeit haben will. Als Schauspieler bin ich jedenfalls für eine Produktion im Winter vorgesehen.
Haben Sie schon früher in Wien gearbeitet?
❙ Barbara Albert hat mich 2012 für ihren Film Die Lebenden engagiert, der teilweise in Wien gedreht wurde. Dabei ging es auch um die NS-Vergangenheit, denn Albert hat Autobiografisches eingebaut: Ihr Großvater war in Auschwitz auf der Täterseite.
Ihr Vater, der noch Fischer hieß und sich als Kartograf im Militär 1973 mit der Meerenge von Tiran – seinem späteren Familiennamen – befasste, stammt aus dem ungarisch-rumänischen Arad. Ihre Mutter, die Tochter einer Schoah-Überlebenden, ist geborene Schwedin. Woher kommt Ihre Neigung zur deutschsprachigen Kultur?
❙ Ich bin auf ein Musikgymnasium gegangen und studierte zuerst Klavier, bevor ich zum Schauspiel wechselte. Trotz des schwierigen deutsch-israelischen Verhältnisses war ich von der deutschen Literatur und Kunst fasziniert. Ich habe mich sozusagen zweimal verliebt: erstens in meine in Berlin geborene Frau, die mit 15 Jahren nach Israel einwanderte. Und zweitens eben in diese Kultur, auf die ich so neugierig war.
Ihr Abgang aus dem Theaterbetrieb in Tel Aviv wurde allseits bedauert – auch von meinen Cousinen, die zumeist wegen Ihnen ins Cameri Theater gingen, wo Sie mit großem Erfolg viele Jahre den Hamlet spielten. Auch Ihr großartiger Conférencier in Cabaret blieb in Erinnerung. Warum haben Sie Israel verlassen?
❙ Meine Frau und ich haben uns viele Jahre darüber Gedanken gemacht und viel überlegt. Wir wollten beide einmal auch Erfahrungen außerhalb Israels machen, unseren Horizont erweitern und andere Kulturen kennenlernen. Es hat sich dann, wie ich zu Beginn sagte, einiges einfach schicksalshaft ergeben: Udi, ein Sohn der israelischen Rechtsanwältin und Menschenrechtsaktivistin Shulamit Aloni, wurde mit mir gemeinsam zu den Internationalen Schillertagen 2017 nach Mannheim eingeladen, wo wir ein Kaddisch für Shulamit vortrugen. Der Leiter dieses Festivals war Burkhard Kosminski, der 2018 dann das Schauspiel Stuttgart übernahm – und mich dorthin engagierte.
Arbeiten Sie noch in Israel?
❙ Trotz aller Kritik an der politischen Situation bleibe ich meinem Land, meiner Identität und meiner Sprache wie mit einer Nabelschnur verbunden. Ich habe ja Familie und viele Freunde dort, die ich alle liebe. Erst im Jänner 2019 habe ich an der Israeli Opera Tel Aviv u. a. mit dem Wiener Bariton Sebastian Holecek als Jochanaan die Salome von Richard Strauss inszeniert. Mit dem Israel Philharmonic Orchestra besteht schon seit Langem eine wunderbare Zusammenarbeit: Zuletzt war ich bei Leonard-Bernstein- und Arnold-Schönberg-Projekten des Orchesters eingebunden. Als nächstes machen wir Strawinskys Geschichte vom Soldaten miteinander.
Was geht Ihnen am meisten ab, wenn Sie an Tel Aviv denken?
❙ Hummus und Tahina nicht, denn davon gibt es hier genug in bester Qualität. Ich bin zwar kein religiöser Mensch, aber diese Stunden, wenn so zwischen zwei und fünf Uhr an einem Freitagnachmittag die Stadt langsam zur Ruhe kommt – das ist etwas Besonderes, das ich nicht erklären kann.
*Itay Tiran 1980 in Petach Tikva geboren, studierte ab 1999 Schauspiel an der Beit Zvi School of the Performing Arts und war bereits während seiner Ausbildung als Schauspieler und Regisseur am Cameri Theater tätig. Für seine Auftritte in israelischen Fernsehserien und internationalen Filmen erhielt er zahlreiche Preise, u. a. einen Silbernen Löwen (2007) und einen Goldenen Löwen (2009) bei den Filmfestspielen in Venedig und eine Oscar-Nominierung für Beaufort als besten fremdsprachigen Film. Seit 2018/19 ist er Ensemblemitglied am Schauspiel Stuttgart. Für die Saison 2019/20 hat ihn Martin Kusej als Schauspieler und als Regisseur an das Wiener Burgtheater engagiert.