Wo junge Musiker aus Israel und der Westbank einander mehr als nur zuhören: Das West-Eastern Divan Orchestra gastierte mit Daniel Barenboim bei den Salzburger Festspielen. Von Marta S. Halpert
Kurz nach Mitternacht ist auf der Terrasse der „Blauen Gans“ im Salzburger Festspielbezirk noch viel los. Sogar elegant gekleidete Gäste vergessen ihre kühle Contenance: Sie gestikulieren lebhaft und besprechen mehr lautstark als vornehm das soeben erlebte Kulturevent. Im sportlichen Polohemd sitzt Maestro Daniel Barenboim mit Sohn Michael an einem kleinen Tisch und erkundigt sich beim Kellner nach dessen ursprünglicher Heimat.
Zum fünften Mal ist der Maestro mit dem West-Eastern Divan Orchestra bei den Salzburger Festspielen zu Gast. Die Musik, mit der das Orchester 2013 anreist, spiegelt auf vielfältige Weise das Motiv des Dialogs wider, das die Initia-toren Daniel Barenboim und Edward Said dem Orchester mitgaben, als sie es 1999 in Weimar gründeten. „Die jungen Musiker des Ensembles kommen aus Israel, Palästina und arabischen Ländern.
Sie alle sind hervorragende Künstler, die auch die Bereitschaft mitbringen – über den Geist der Musik hinaus –, gemeinsam in Gesprächen und Diskussionen ein offenes Ohr für die Erfahrungen und Sichtweisen ihrer Kollegen aus den unterschiedlichen Ländern des Nahen Ostens zu entwickeln“, schreibt Barenboim über die diesjährige Tournee des Orchesters. „Im Kreis des West-Eastern Divan funktioniert diese Utopie. Gerade in diesen schwierigen Tagen für die Region ist das eine kleine Flamme der Hoffnung.“
Trotz aller Zuversicht verlieren die jungen Künstler die Bodenhaftung nicht: „Ich glaube nicht, dass wir mit einem schön gespielten Beethoven die politische Realität verändern können, aber wir erhalten die wunderbare Chance, einen echten Dialog zu führen, in dem wir die Sichtweise der anderen Seite hören“, sagt Tyme Khleifi, die 24-jährige Geigerin aus Ramallah. „Wir sehen die Persönlichkeiten in unseren Kolleginnen und Kollegen und nicht die Politik“, fügt Asaf Levy, der gebürtige Tel Aviver, schnell hinzu. Der 30-Jährige spielt auch Violine, und im Orchester sitzen die beiden hintereinander. „Wir haben schon so viele schöne Stunden miteinander musiziert“, sagt Levy, dessen Weg sich bis zur heutigen Stelle bei der Berliner Staatskapelle (das sind die Philharmoniker der Berliner Staatsoper unter der Direktion Barenboim) etwas leichter gestaltete als jener der christlichen Palästinenserin.
Politische Gespräche
Asaf Levy begann mit sechs Jahren Geige zu spielen, studierte am Musikkonservatorium in Tel Aviv, gewann den dortigen Talentewettbewerb und konnte anschließend an den Meisterklassen von Leo-nidas Kavakos, Donald Weilerstein, Miriam Fried und Itzhak Perlman in Israel, Europa und in den USA teilnehmen. „Sieben Jahre studierte ich in Leipzig an der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy und erhielt dort 2008 mein Diplom“, erzählt Levy, der sich in Berlin als Israeli sehr wohl fühlt.