Die Religion gewordene Theologie hinterfragen

Die IKG Wien lud prominente Vertreter des Islam aus Deutschland und Österreich zu einer kritischen Diskussion über Antisemitismus – eine Dokumentation.

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Raimund Fastenbauer

Raimund Fastenbauer – Generalsekretär der IKG Wien
ÄHNLICHKEITEN UND UNTERSCHIEDE
Ich denke, dass sich die drei Offenbarungsreligionen in vielen Dingen sehr ähnlich sind. Es kommt nur darauf an, wie mit Missbrauchsmöglichkeiten umgegangen wird. Ich traue mir zu zu sagen, dass es in allen drei Religionen – Judentum, Christentum, Islam – Inhalte von hohem Humanismus und vom Gegenteil gibt.
Wenn ich mir das Christentum anschaue, dann gibt es dort Zitate im Neuen Testament, wie „Unser Heil kommt von den Juden“ und jenes von der „Synagoge des Satans“. Es war erst nach der Schoah, dass der christliche Antijudaismus, mit dem sich die neue Religion von ihrer Mutter abgrenzen wollte, überwunden wurde. Vom Islam würde ich mir Ähnliches wünschen. Es gibt dort Suren wie die 109. zu den Ungläubigen, darin heißt es: „Euch eure Religion und mir meine Religion.“ Das ist ein sehr toleranter und guter Spruch. Es gibt aber auch andere Suren, in denen Juden als Prophetenmörder oder als allerschlimmste Feinde der Gläubigen bezeichnet werden. „Sie sind der Feind, also hütet euch vor ihnen.“
Ich möchte jetzt eigentlich keine theologische Diskussion beginnen, in der mir erklärt wird, dass sich das alles nicht auf die Gegenwart bezieht. Ich will einfach solche Zitate nicht mehr im Netz lesen oder hören müssen.


Ednan Aslan – Universität Wien
HAUSAUFGABEN UND OPFERROLLE

Ednan Aslan

Die Judenfrage ist immer noch eine wirkliche Frage, da  Juden immer noch als Feinde des Islam gelten. So gibt es auch in der gegenwärtigen Auslegung der Lehre eine heftige Ablehnung der Juden und teilweise auch der Christen. Diese Punkte sollen wir innerislamisch kritisch reflektieren. Da haben wir noch jede Menge Hausaufgaben zu machen,denn Jude ist im Alltag der islamischen Gesellschaft immer noch ein Schimpfwort – unabhängig davon, was im Koran und in den Auslegungen steht. Ich war kürzlich bei einer Freitagspredigt in Kairo: Judenfeindlichkeit pur, von oben bis unten. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen. Aber das ist nicht der Islam europäischer Prägung, das ist der Islam des 7. Jahrhunderts. Das zu leugnen, entspricht nicht der Wirklichkeit in den muslimischen Ländern. Dazu kommt die beängstigende Westenfeindlichkeit in diesen Ländern, die neue Argumente für die Judenfeindlichkeit liefert. Die neuesten Entwicklungen in der Türkei sind gewiss keine Ausnahme. Was ich mir wünsche, ist, dass Muslime sich aus dieser Opferrolle befreien. Diese Opferrolle ist eine Krankheit in den islamischen Ländern, wo Israel und Juden an allem schuld sind. Sie ist ein Phänomen, das nicht erlaubt, dass wir unsere eigene Situation kritisch reflektieren und Ideen für die Zukunft der Muslime entwickeln.


Tarafa Baghajati – Islamische Glaubensgemeinschaft
JUDEN UND ISRAEL
Was ist das Hauptproblem mit Antisemitismus und Muslime? Dass wir manchmal über verschiedene Dinge reden. Leider wachsen viele jugendliche Muslime mit der Idee der Gleichsetzung Israels mit dem Judentum auf: Für sie ist Israel die Besatzung Gazas und damit der Feind. Vereinfacht zurückübersetzt wird dann, der Feind ist der Jude. Das ist die Assoziation zum Wort „Jude“. Und wenn diese Jugendlichen von Wissenschaftlern befragt werden, denken sie bei Juden nicht an den Freund in der Schule, den Nachbarn, den Verkäufer, ihren Arzt oder Lehrer, sondern sie denken ausschließlich negativ an Israel. Mit diesen undifferenzierten antijüdischen Ressentiments müssen wir uns als Muslime auseinandersetzen und dies durch Bildung und Aufklärung auf allen Ebenen offen thematisieren und entsprechend bekämpfen.


Abdel-Hakim Ourghi – Universität Freiburg
DIE FINGER AUF DIE WUNDEN LEGEN
In Deutschland habe ich gelernt, dass Juden auch Menschen sind, und nicht Menschen zweiter Klasse. Ich denke dabei an meine religiöse Sozialisation als Kind in Algerien und das religiöse Aufwachsen aller muslimischen Kinder sowohl in Deutschland als auch in muslimischen Ländern. Wir werden erzogen, den Juden zu hassen. Viele Muslime leben von diesem Bild des Feindes, und sie brauchen anscheinend diesen Feind, um überleben zu können: das Feindbild der Juden und der Christen. Der Hass den anderen gegenüber ist tief in unserem kollektiven Bewusstsein verwurzelt. Wir Muslime beten fünf Mal pro Tag, diese Gebete bestehen aus 17 Einheiten, und wir zitieren dabei 17 Mal die Sure eins, die „Eröffnende“: „Gott möge uns den geraden Weg derer weisen, denen du Gnade erwiesen hast, nicht den Weg derer, die deinem Zorn verfallen sind und irregehen!“ Die dem Zorn Gottes verfallen, seien die Juden, und die Irregehenden seien die Christen. Die Frage ist, wie wir mit diesem Hass auf Andersgläubige umgehen. Unsere religiöse Sozialisation bzw. unsere Erziehung befindet sich in einer Schieflage. Wir sollten den Islam durch ein Reform- und ein Aufklärungsprogramm anhand der reflektierenden Vernunft neu erfinden. Dabei geht es in erster Linie um eine ehrliche und mutige Debatte innerhalb der muslimischen Gemeinden im Westen, die zum Zweck hat, den Finger auf die Wunden der kollektiven Verdrängung zu legen. Ein Islam ohne eine Islamkritik im westlichen Kontext ist zum Scheitern verurteilt.


Bassam Tibi – Universität Göttingen
SIE HABEN EIN RECHT AUF IHREN STAAT
Wollen wir einen Dialog führen? Dialog heißt auf Augenhöhe miteinander reden. Und die erste Reform, die wir daher im Islam brauchen, ist, den Anspruch auf Überlegenheit zu beenden. Ich bin nicht besser als ein Jude, ich bin nicht besser als ein Christ.
Ich wurde 1944 in Damaskus geboren und bin dort als Judenhasser und Antisemit aufgewachsen und 1962 als solcher nach Frankfurt gekommen. Dort habe ich dann bei zwei jüdischen Professoren studiert – Adorno und Horkheimer. Und ich danke Allah, dass ich bei ihnen studieren durfte.
Dann habe ich mehrere Jahre in Indonesien gelebt und dort gelernt, dass es nicht nur Islam, Judentum und Christentum gibt, sondern auch Hinduismus und Buddhismus, und dass alle Religionen gleichwertig sind. Wer das nicht akzeptiert, kann auch keinen Dialog führen. Wir müssen also den Islam soweit reformieren, dass wir sagen, Juden sind gleichwertige Gläubige, und sie haben das Recht auf ihren Staat. Sich zu verstecken und zu sagen, ich bin nicht gegen Juden, nur gegen Israel, das ist Antisemitismus.


Erdal Toprakyaran – Universität Tübingen
GEFÄHRLICHE ENTWICKLUNGEN
Religiöse Texte sind das eine, aber was Menschen daraus machen, ist das andere. Das sehen wir in allen Religionen: Manche Menschen lesen einen Text und werden dadurch zu Liebe und Barmherzigkeit inspiriert. Andere hingegen lesen da­raus Hass ab und lassen sich eben in die entgegengesetzte Richtung inspirieren. Davon sind die Beziehungen zwischen den Religionen beeinflusst.
In der islamisch-jüdischen Geschichte sehen wir, dass es immer wieder gute Phasen in der Beziehung gab. Da wird Andalusien immer gerne genannt, auch die Tatsache, dass viele Juden nach der Reconquista Zuflucht im Osmanischen Reich gefunden haben, aber es fanden auch viele Juden, die Nazideutschland verlassen mussten, Schutz in der jungen türkischen Republik. Aber es gab natürlich auch Phasen, wo es nicht gut lief und so kommen wir auch mehr in die Gegenwart.
Besorgt machen mich nicht nur Terror und Anschläge, sondern auch die Entwicklung, dass im Land meiner Eltern, der Türkei, Kritiker gerne und vermehrt wieder als Kryptojuden bezeichnet werden. Eine gefährliche gesellschaftliche Entwicklung, die eine allgemeine Stimmung aufzeigt.

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