Die „Rückkehr“ Herzls

Die israelische Autorin Savyon Liebrecht über Zionismus und Zukunft.

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© Reinhard Engel

Ihre vier Stücke über Sigmund Freud brachten die israelische Dramatikerin Savyon Liebrecht schon mehrfach nach Wien. Doch zuletzt lag das Augenmerk auf Theodor Herzl und Israel. Das Wiener Burgtheater gestaltete gemeinsam mit der Botschaft des Staates Israel einen Abend mit der Devise „Rückkehr“ Theodor Herzls an das Burgtheater.

Welche Bedeutung hat der Visionär des Zionismus heute noch im israelischen Bewusstsein? „Ähnlich wie Stammvater Abraham oder Moses ist Herzl tief eingebettet in unserer Geschichte, deshalb ist sein Platz auch im heutigen Israel unbestritten und unangetastet“, meint Liebrecht, die 1948 in München als Tochter polnischer Schoah-Überlebender geboren wurde. „Natürlich sind manche seiner Ideen nicht realisierbar: Er wollte ja zum Beispiel, dass die Landessprache Deutsch ist“, schmunzelt sie. Aber die Idee, dass die Juden als Volk einen Staat benötigen, war zukunftsweisend: „Auch wenn wir noch immer um die Grenzen dieses Staates ringen.“

Liebrecht hatte schon als 16-Jährige zu schreiben begonnen, doch es dauerte mehr als zwanzig Jahre, bis ihr erstes Buch erschien. Das war 1986 der Erzählband Äpfel aus der Wüste, für den sie den renommierten Alterman-Preis erhielt. Nach dem Militärdienst studierte sie Philosophie und Literaturwissenschaften an der Tel Aviv University. Außer Erzählungen schrieb sie Romane und Theaterstücke. Ein Mann und eine Frau und ein Mann, ihr fünftes Buch und erster Roman, stand in Israel 1998 monatelang auf der Bestsellerliste und begründete auch ihre internationale Karriere. Inzwischen sind ihre Bücher auf Englisch, Deutsch, Französisch, Spanisch und Italienisch erschienen. Sie wurde zweimal zur Dramatikerin des Jahres gewählt. 2007 wurde ihr Theaterstück Die Banalität der Liebe über Hannah Arendt und Martin Heideg­ger in der deutschen Übersetzung in Bonn uraufgeführt, noch vor der Uraufführung in Tel Aviv. Dieses politische und moralische Liebesstück eines sehr ungleichen Paares vertonte die israelische Komponistin Ella Milch-Sheriff. Die Oper wurde im Januar 2018 im Theater Regensburg uraufgeführt.

»Träumer wie Herzl haben wir genug, jetzt brauchen wir Praktiker!«
Savyon Liebrecht

Leben für ihre Ideale. „Der Zionismus hat sein Gesicht verändert. Die ersten Idealisten in dieser Hinsicht waren die Pioniere, die ihre Kibbuzim an den Grenzen des jungen Staates errichteten und diese auch bewachten; sie lebten nach ihren kommunistischen und sozialistischen Visionen“, erzählt Liebrecht. „Die wahren Zionisten sind heute wahrscheinlich die Siedler – sie sind nicht mein Vorbild, aber sie leben ihre Ideale, nehmen Entbehrungen auf sich, setzen ihre Kinder und sich selbst den größten Gefahren aus; leben in Zelten und Hütten.“

Die Schriftstellerin ist dennoch überzeugt, dass die Siedler nicht dort sein sollten, wo sie derzeit sind. „Auch demografisch sind die religiösen Siedler dem säkularen Teil der Bevölkerung überlegen: Sie haben im Schnitt acht bis zehn Kinder.“

Die Ursache für die derzeitige Lage, den Stillstand der Friedensgespräche, die soziale Kluft in der Bevölkerung, sieht Liebrecht in der Schwächung der Linken in Israel. Diese Einschätzung illustriert sie mit ihrem jüngsten Erlebnis bei der jährlichen Gedenkveranstaltung für Jitzchak Rabin in Tel Aviv. „Das Wort ‚Mord‘ wurde nicht mehr erwähnt, obwohl die Kundgebung von der Arbeiterpartei organisiert wurde. Nur ein paar junge Leute riefen vereinzelt noch ‚das war Mord, Mord‘. Die Linke hat sich aufgegeben und sucht nur mehr nach lauen Kompromissen.“ Daher könne sie nicht sehr optimistisch in die Zukunft blicken. Bräuchte es einen neuen Herzl zum Weckruf? „Nein, nein danke, Träumer haben wir genug, jetzt brauchen wir Praktiker!“ 

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