„Die Schönheit ist im Judentum nicht verboten.“

Edvin Turkof ist Facharzt für plastische Chirurgie am AKH und außerordentlicher Universitätsprofessor an der MedUni Wien. 1994 wurde seine Arbeit in der Forschung mit dem Billroth-Preis der Österreichischen Ärztekammer ausgezeichnet. Mit der Enzyklopaedia Aesthetica verfasste er ein umfassendes Lexikon kosmetischer Eingriffe.

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„Wenn mit der Operation ein Ereignis verknüpft wird, ist der Eingriff tabu.“

Redaktion und Fotografie: Ronnie Niedermeyer

WINA: In welchem Verhältnis stehen krankheits- und unfallbedingte plastische Operationen zu rein ästhetischen?

Edvin Turkof: Das hängt von der Definition ab. Eine Behandlung, die von der Krankenkasse nicht bewilligt wird, gilt auch dann als Schönheits-OP, wenn medizinische Gründe dafür sprechen: Zum Beispiel Schlupflider, die gerade noch nicht jene von der Krankenkasse festgelegten Grenze der Sichtfeldeinschränkung erreicht haben, hingegen aber für den Patienten so störend sind, dass er nicht länger warten kann. Umgekehrt gilt eine Brust-OP als rekonstruktiv und wird von der Krankenkasse finanziert, wenn man eine aufgrund von Krebs (teil-)entfernte Brust in den ursprünglichen Zustand versetzt – obwohl das ja aus streng medizinischer Sicht nicht notwendig wäre. Hier gilt: Die Wiederherstellung der anatomischen Integrität am menschlichen Körper ist eine Heilbehandlung.

Mit welchen Vorurteilen ist dein Beruf behaftet?

Ein großes Vorurteil ist, dass wir vor allem unnötige Sachen machen. Dabei hat ein plastischer Chirurg in seiner Ausbildung das mit Abstand größte und weitreichendste operative Spektrum zu erlernen: Erstens das gesamte Spektrum der Lappenplastiken, also beispielsweise wie man die Haut rund um einen entfernten Tumor wieder schließt. Dann alle funktionellen Rekonstruktionen: Eine Sehne geht kaputt, ein Nerv ist durchtrennt, wie bekomme ich das wieder zusammen. Weiters die Mikrochirurgie: Unter dem Mikroskop mit Nähten zu arbeiten, die ein hundertstel Millimeter Durchmesser haben. Die gesamte Handchirurgie gehört ebenfalls zur plastischen Chirurgie, wie auch die Verbrennungschirurgie. Insgesamt sind es um die zweihundertfünfzig verschiedene Operationen, die wir im Rahmen des Studiums erlernen müssen. Davon gehören nur zirka achtzehn bis zwanzig Eingriffe der ästhetischen Chirurgie an.

Was bedeutet Schönheit für dich?

Mit dem Begriff assoziiere ich Ebenmaß, Harmonie, Natürlichkeit, Proportion und Symmetrie. Schönheit ist zwar ein subjektiver Wert – dennoch denke ich, dass diese Definition für die Mehrheit gilt. Das Gesicht eines gesunden jungen Menschen hat keine Vertiefungen, keine Vorwölbungen, keine Augenringe, keine Nasolabialfalten, es ist alles glatt – das ist für viele Menschen ansprechend. Tests zeigen, dass neugeborene Babys, die noch keine soziale Schulung haben, sich einem solchen Gesicht eher zuwenden. Vielleicht ist das ein Überlebensprinzip.

Hat die Sehnsucht nach der Schönheit dich zu diesem Beruf geführt?

Ich wusste schon mit achtzehn Jahren, dass ich plastischer Chirurg werden will. Der Beruf hat mich aus drei Gründen fasziniert: Erstens wollte ich immer mit den Händen arbeiten, und es ist mir nie schwer gefallen, einen manuellen Ablauf zu erlernen. Zweitens ist in der Tat die Schönheit eine meiner Schwächen, ich liebe schöne Dinge. Drittens hat mich auch das Prestige des Berufs angezogen: Ein erfolgreicher plastischer Chirurg gehört neben den Neurochirurgen wohl zu den angeseheneren ärztlichen Disziplinen. Mein ehemaliger Chef hat der Welt die Nerventransplantation geschenkt. Seine Entdeckung hat Millionen von Menschen Motorik und Sensibilität in den Gliedmaßen zurückgegeben. Hier dazuzugehören bedeutet schon etwas.

Gibt es psychische Konstellationen, unter denen du einem Patienten von einer Schönheitsoperation abrätst?

Selbstverständlich. Wenn man als Arzt den Eindruck bekommt, dass der Patient mit der Operation ein Ereignis verknüpft oder vermeiden will, ist der Eingriff Tabu. Beispielsweise: „Wenn ich die Brust nicht vergrößere, wird er mich nicht heiraten.“ In diesem Fall kann ich der Patientin nicht dienen: Wenn ich nämlich operiere und der Mann heiratet sie trotzdem nicht, bin ich daran schuld. Davon abgesehen gibt es eine weitere, wenn auch sehr seltene Situation: Wenn die Patientin oder der Patient immer wieder etwas Neues haben will, spricht man von Dysmorphophobie. In diesem Fall ist es klar, dass er oder sie nie zufrieden sein wird. Falls jemand zuerst die Nase ändern will, dann die Augen, dann ein Facelift machen und dann noch Brust und Po straffen, dann stimmt was nicht. Da muss man möglichst bald die Bremse ziehen. Zum Glück hatten 95 Prozent meiner Patienten in ihrem Leben nur einen einzigen Korrekturwunsch, und damit war das Ganze für sie erledigt.

Was sagt das Judentum über das Streben nach der Schönheit?

Die Schönheit ist im Judentum nicht verboten; die Frau darf ihrem Mann gefallen wollen. Frauen durften sich immer schminken, mit Schmuck behängen und piercen. Die Religion verbietet auch keine ästhetischen Korrekturen. Laut Halacha dürfen ästhetisch-chirurgische Eingriffe durchgeführt werden, und ich habe auch etliche orthodoxe Jüdinnen operieren dürfen. Aber: In gewissen orthodoxen Kreisen sind Schönheitsoperationen auch verpönt, nach dem Motto: Was Gott erzeugt hat, soll der Mensch nicht verändern.

 

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