
WINA: Sie haben an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper und der Junior Company gearbeitet und waren als freischaffende Tänzerin und Choreografin sowohl am Burg- und Volkstheater als auch in den Landeshauptstädten beschäftigt. Ihre eigenen Produktionen waren zuletzt in Wien, München, Linz sowie in New York zu sehen. Zum 20. Jubiläum des Festival Retz haben Sie eine multimediale Fassung der Salome choreografiert, ein Oratorium von Antonio Maria Bononcini aus dem Jahr 1709. Wie kam es zu diesem Engagement?
Jasmin Avissar: Das war ein sehr glücklicher Zufall, denn wir freien Künstler haben nicht nur durch die Ausfälle während der Covid-Pandemie gelitten, auch danach lief alles sehr langsam an, und ich schlitterte in eine echte Sinnkrise. Ich fragte mich, ob mein Weg als Choreografin der richtige ist, weil ich eine Tochter zu versorgen habe, und es war sehr schwer, finanziell über die Runden zu kommen. In diesem Moment erreichte mich eine Anfrage von Nicole Aebersold, der Schweizer Filmemacherin, die für die Inszenierung der Salome beim Festival Retz verantwortlich ist. Ich sagte erfreut zu, wir verstanden uns auf Anhieb.
Was sagt uns die Figur der Salome heute?
I Wir beleuchten die Entwicklung der Salome als Frau von ihrem Ursprung in der Barockoper bis zu Richard Strauss. Wir zeigen, wie sich die Interpretation dieser Frauenfigur sowohl körperlich als auch geistig verändert hat. Bei Strauss ist die Salome das Sinnbild der sexuellen Verführerin, die durch die Macht der Erotik alles erreicht. Doch in der Barockoper ist Salome mehr Objekt, sie kämpft gegen die sie beherrschende Umwelt an. Diese Fragen in der Kirche zu stellen, ist sehr inspirierend und aufregend.
Wie kann man sich Ihre multimediale Umsetzung vorstellen? Film im Hintergrund und Tanz live?
I Es ist ein Stück Musiktheater, bei dem Choreografie, Live-Musik und Video harmonisch ineinandergreifen. Ich tanze selbst auch mit, und das Schöne ist, dass wir eine Gruppe von Menschen aus Retz animiert haben, bei diesen Auftritten mitzumachen. Wir waren alle auf der Bühne in der Kirche, und ich bat die Freiwilligen, Gesten zu machen, die für sie wichtig sind, rituelle und einem Fest angepasst. So entsteht eine unglaublich kreative Dynamik.
Sie wurden in Jerusalem geboren und schlossen die Jerusalem Academy of Music and Dance mit Auszeichnung ab. Gemeinsam mit der berühmten Bolschoi-Primaballerina Nina Timofeeva haben Sie 2004 die Jerusalem Ballet Company and School gegründet. Was brachte Sie nach Wien?
I Das waren politische Motive. Im Alter von 20 Jahren haben sich ein Palästinenser, mein späterer Mann, und eine Israelin, ich, in einem Tierheim bei Atarot kennen und lieben gelernt. Die Ortschaft liegt genau zwischen Ramallah und Jerusalem. Osama und ich heirateten, aber bald darauf musste mein Mann Israel verlassen, weil der Osloer Friedensprozess von Radikalen beider Seiten bekämpft wurde und der Terror aus dem Grenzgebiet zunahm. Als Israel die Sperrmauer zwischen Israel und dem Westjordanland errichtete, lebten Osama und ich in Ramallah. Meine täglichen Fahrten zur Arbeit nach Jerusalem kosteten wegen der Kontrollen viel Zeit und Nerven.
„Ich fragte mich, ob mein Weg als Tänzerin
der richtige ist, weil ich eine Tochter zu versorgen
habe, und es war sehr schwer, finanziell
über die Runden zu kommen.“
Wie ging es dann weiter?
I Osama ist Bildhauer, und er bekam ein zweijähriges Sprachstipendium in Berlin. Im Jahr 2008 folgte dann die Einladung von Karlheinz Essl zur Gruppenausstellung overlapping voices in Klosterneuburg. Palästinensische und israelische Künstler haben dort gemeinsam ausgestellt. Ich kam zur Vernissage nach Wien, und wir waren von der Stadt so begeistert, dass wir noch im selben Jahr hierher gezogen sind. Osama erhielt einen Studienplatz an der Akademie der bildenden Künste, und 2010 kam unsere Tochter Laila zur Welt. Seit 2021 sind wir in Freundschaft geschieden. Das heißt, wir sind wegen der guten Chancen nach Wien gezogen – und nach Europa aus politischen Gründen.
Ihre internationale Tätigkeit als freischaffende Tänzerin und Choreografin hat Sie quer durch Europa und Amerika geführt. Sie leben bereits 17 Jahre hier. Ist Österreich ein attraktiver Ort für die Kunst des Tanzes?
I Der österreichische Staat investiert sehr viel in die Kultur, das ist schon großartig. Dennoch muss man zu einem Zirkel gehören, um auch wirklich dazudazuzugehören. Es ist hilfreich, wenn man auch ständig durch seine Projekte auf sich aufmerksam macht. Aber vor allem braucht es viel Ausdauer, dann kann man schon reüssieren.
Welche Veränderungen braucht es?
I Für die Tanzszene wäre es sicher wichtig, einerseits die vielen kleineren und mittleren „Inseln“, auf denen sich Tanzinitiativen entwickeln, zu vereinen. Denn was ich im Vergleich zu London und Berlin sehe, ist, dass zu wenig Herausforderung durch positiven Wettbewerb entsteht. Man neigt in Wien schon dazu, etwas bequem zu sein – und das ist sicher kontraproduktiv, denn nur, wenn man sich gegenseitig fordert, pusht man sich auch gegenseitig zum Erfolg! Faktum ist, dass ich geblieben bin, weil ich hier meiner Tochter eine gute Erziehung und ein sicheres Leben bieten kann wie sonst nirgends.
Wie ergeht es Ihrer 15-jährigen Tochter Laila mit mehreren Identitäten?
I Das ist ein eher trauriges Kapitel: Laila wird oft von den Mitschülerinnen gemobbt, und das als „Ausländerin“. Aber auch antisemitische Anpöbelungen sind ihr schon widerfahren. Wir haben sie in keine Richtung gedrängt; wenn man sie fragt, wer sie ist, sagt sie ziemlich selbstbewusst: „Ich bin die Laila aus Wien!“.
Sie haben zur früheren Volkstheater-Direktorin Anna Badora einen sehr guten Draht gehabt und gemeinsam mit ihr in den Jahren 2013 bis 2017 auch brisantes politisches Theater realisiert.
I Ja, denn Anna Badora gab der israelischen Autorin und Regisseurin Yael Ronen die Chance, an ihrem Haus zu arbeiten: Zuerst brachte sie aus Graz das Schauspiel Niemandsland nach Wien. Ronen, die von unserer privaten Liebesgeschichte fasziniert und von den Zügen des verbissenen Nationalismus entsetzt war, brachte Teile unserer Erfahrungen auf die Bühne. Sie engagierte uns beide sogar, das eigene Leben darzustellen. Etwas später konnte ich dann Miloš Lolićs Inszenierung von Elfriede Jelineks Stück Rechnitz für das Volkstheater choreografisch mit erarbeiten.
Welche Pläne haben Sie für die Zukunft?
I Gemeinsam mit meiner Kollegin Nadja Puttner eröffnen wir im März 2026 „DAS Margareten“ im ehemaligen Volx/Margareten und schaffen einen kreativen und kommunikativen Raum, in dem man die künstlerische Sprache in Tanz, Theater und Musik sowie andere Sparten übersetzen kann. Sprache baut oft Barrieren auf, wie wir alle wissen; dem wollen wir mit diesem Projekt entgegenwirken.
Wir danken der Zeitung „Die Furche“ für die Reportage „Es ist unser gemeinsames Land!“ vom 11.10.2024, aus der wir zitieren durften.






















