Die symbiotische Affäre zwischen Viktor Ullmann und W. A. Mozart

Eine Oper aus der Hölle des KZ Theresienstadt und das Requiem eines sterbenden Genies: An der Volksoper Wien inszeniert und choreografiert Andreas Heise diese spannende musikalische Verschränkung nach einer Idee von Omer Meir Wellber.

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© Volksoper Wien/Barbara Pálffy

WINA: Als Tänzer haben Sie seit 1998 viel Klassisches an großen Häusern getanzt, als Choreograf ab 2008 ein weit gefächertes Spektrum abgedeckt: von Georg Friedrich Händels Ariodante bis Benjamin Brittens Tod in Venedig. Bei Ihrem Debüt an der Volksoper Wien übernehmen Sie jetzt Regie und Choreografie eines neuen spartenübergreifenden Projektes: KaiserRequiem. Premiere ist am 25. Jänner 2025.* Dabei müssen Sie nicht nur „Ihre“ Tänzer und Tänzerinnen des Wiener Staatsballetts im Auge behalten, sondern auch die Sänger, Solistinnen und den Chor. Wie geht es Ihnen damit?

Andreas Heise: Das ist nicht neu für mich, denn mein Vater war Sänger, meine Mutter Tänzerin. Schon als Kind war ich mit dem Drei-Sparten-Theater und einem gewissen Ensemblegeist vertraut. Ziemlich früh habe ich dann gemerkt, dass ich mich am liebsten zur Vokalmusik bewege und dass ich diese Kunstformen zusammenbringen möchte. Daher orientierte sich auch meine Auswahl als Choreograf in diese Richtung. Dies setzte ich bereits in mehreren Inszenierungen um, unter anderem für die Norwegische Nationaloper & Ballett in Oslo sowie an der Oper Graz, wo die Uraufführung meiner Tanzinterpretation von Franz Schuberts Liederzyklus Schwanengesang auf große Zustimmung stieß. Eine fließende und organische Arbeitsweise ist mir besonders wichtig – vor allem, wenn es um die Vereinigung von Stimme und Bewegung geht. Wenn ich Sängerinnen und Solistinnen motivieren möchte, spreche ich bewusst nur von „Bewegung“ statt von „Tanz“. Das nimmt in der Regel die Angst (lacht).

 

Bei KaiserRequiem wagt der Dirigent Omer Meir Wellber eine musikalische Verschränkung und spannt Viktor Ullmanns knapp sechzigminütige Kammeroper Der Kaiser von Atlantis mit einem berühmten Torso der Musikgeschichte zusammen, Wolfgang Amadeus Mozarts musikalischem Vermächtnis, dem Requiem d-Moll KV 626, das er 1791 im Angesicht des eigenen Todes komponiert hatte. Wie entstand die Zusammenarbeit mit Omer Meir Wellber?

I Als das Projekt an mich herangetragen wurde, fand ich die musikalische Form sehr spannend. Bereits im ersten Gespräch erzählte mir Omer auch, dass er Tanz liebt; dann ging es sehr schnell: Die Ideen sprühten förmlich zwischen uns, und so fanden wir sehr schnell eine gute Kommunikation mit einander. Schon lange hatte ich die Idee, Mozarts Requiem nicht nur tänzerisch und szenisch zu gestalten, sondern es auch mit einem zeitgenössischen Werk zu kombinieren. Vielleicht wollte ich auf diese Weise etwas von der Ehrfurcht vor dem Requiem nehmen. In der Verbindung der beiden Werke liegt es mir besonders am Herzen zu zeigen, dass der Mensch zur Reue fähig ist, für seine Taten einsteht – und damit einen Hoffnungsschimmer für die Menschheit schafft. Ab jetzt wird man sich die beiden Werke gar nicht mehr separat vorstellen können.

 

„Der Kaiser von Atlantis ist ein Werk von großer Traurigkeit,
aber auch von Freiheit und Glück: komponiert im Angesicht
des Todes,
Musik für das Überleben.“

Omer Meir Wellber

 

Viktor Ullmann (siehe CV unten) komponierte sein Stück im Konzentrationslager Theresienstadt im Jahr 1943–1944 als erschütterndes Sinnbild für die praktizierte menschenverachtende totalitäre Machtstruktur. Im Oktober 1944 wurde er, wie auch sein Librettist Peter Kien, nach Auschwitz deportiert und zwei Tage später vergast. Trotz seiner schlimmen Lage in Theresienstadt war für Ullmann das Schaffen von Kunst immer auch ein „Wille zum Leben“. Gemeinsam mit der Dramaturgin Anne do Paço, dem Bühnenbildner Sascha Thomsen und Johannes Schadl, zuständig für das Licht, fuhren Sie zu Beginn des Projektes in das ehemalige KZ Theresienstadt, warum?

I Bei diesem Thema stürzt man sich zunächst auf Biografien. Oft hört man, dass man das Werk vom Künstler trennen sollte – ich finde, das ist nicht möglich. Unsere Dramaturgin hat uns eine Fülle an Material zum Einlesen vorbereitet, und ich muss sagen, der Schrecken ließ mich nicht mehr los. Ich musste das Lesen in kleinere Portionen aufteilen, weil ich es sonst nicht ausgehalten hätte. Daraufhin haben wir vier beschlossen: Wir müssen hinfahren, um es selbst zu sehen und zu spüren!

Zuerst waren wir in der beschaulichen Stadt und im Museum, aber dann besuchten wir die Festung, das Zentrum des Schreckens: Wir bückten uns durch finstere schmale Tunnels, begaben uns in eine dieser kahlen, dunklen Zellen ohne Fenster. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon so viel gelesen, hatten daher sehr konkrete Bilder im Kopf, es war sehr ergreifend. Auf der Rückfahrt waren wir alle still, es gab keinen Redebedarf.

 

Wie viel wollten oder konnten Sie von diesen Eindrücken nach dem Besuch umsetzen? Was konnten Sie ihrem Tanz- und Sängerensemble zumuten?

I Dieses „Gepäck“ nimmt man bewusst und auch unbewusst mit. Die eingespeisten Bilder werden zur Inspiration, z. B. einer Formation, die man mit den Tänzern erarbeitet. Wir haben alle gemeinsam das Libretto gelesen, über den Kontext geredet. Wir haben gefragt‚ was sagt euch das? Denn es ist sehr wichtig, die Gruppe inhaltlich einzubeziehen. Unser Bühnenbildner war von den riesigen Mauerfassaden, von der Wucht dieser NS-Architektur sehr bewegt, deshalb hat er drei riesige Tore geschaffen, die von der Textur her verrostet sind. Außerdem haben wir mehrere Boxen gebaut, die sich aufschieben lassen, dort können bis zu zehn Darsteller oder auch einer allein drin stehen, je nach dem Kontext der Szene. Ich habe versucht, alles ins Abstrakte zu heben, aber das Gefühl will ich unbedingt vermitteln.

 

Finden Sie, dass das Thema von Der Kaiser von Atlantis in unsere Zeit passt, und wenn ja, warum?

I Es könnte nicht relevanter sein. Die Erinnerungskultur muss weiter gefüttert werden. Ich mache kein politisches Tanztheater, dennoch ist es entscheidend, welche Wahl man im Leben trifft. Ich denke, dieses Stück gibt doch am Ende Hoffnung, dass Diktaturen und ihre Tyrannen nicht ewig halten werden. Auch daher ist es wichtig, diese Ullmann-Oper und das Mozart-Requiem gemeinsam aufzuführen.

 

Ullmanns kompositorische Spätphase wird oft als Stilpluralismus beschrieben: „Im Der Kaiser von Atlantis werden atonale Passagen mit zeitgenössischer Unterhaltungsmusik, Jazz, dem protestantischen Choral und dem symphonischen Idiom Mahlers synthetisiert.“ Ist es schwer, in der Choreografie damit umzugehen?

I Für mich entsteht alles aus der Musik, denn ohne diese gibt es keine Visionen für die schöpferische Arbeit. Ich beschäftige mich daher immer zuerst mit der Musik; dann kommen die intuitiven Bilder und erste Ideen. Das „Gepäck der Recherche“ schwingt dann auch mit. Je öfter ich Ullmanns Musik höre, umso mehr entdecke ich die hohe Intelligenz, die dunkle Satire dahinter. Es artet zum absurden Theater aus, Beckett-ähnlich, das trifft sich gut mit dem Tanz; so wird es zum allegorischen Theater.

 

Was haben Sie in nächster Zeit nicht nur als Choreograf, sondern auch Tänzer vor?

I 2017 tanzte ich im Theater an der Wien mit dem Norwegischen Nationalballett die Hauptrolle im Stück Gespenster nach Henrik Ibsen, begleitet von Jazzmusik von Nils Petter Molvær. Irgendwie hatte ich damals das Gefühl, dass Wien der Abschluss sein sollte. Doch jetzt habe ich mich überreden lassen, da mir das Theater Koblenz eine Uraufführung für ein spannendes, dreiteiliges Projekt angeboten hat. Im ersten Stück tanze ich, das dritte choreografiere ich. Da ich mich selbst choreografiere, kann ja nicht viel schiefgehen!

* Die Vorstellung am 27. Jänner 2025 findet anlässlich des Internationalen Gedenktages an die Opfer der Shoah und zu Mozarts 256. Geburtstag statt.

 

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ANDREAS HEISE wurde in Deutschland geboren und absolvierte seine Tanzausbildung an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden. Zudem bildete er sich in den Fächern Schauspiel und Regie in New York, London und Oslo weiter. Seine Tanzkarriere begann er 1998 am Leipziger Ballett. Im Jahr 2003 wechselte er an das Norwegische Nationalballett in Oslo, wo er in zahlreichen Hauptrollen, wie Romeo in Romeo und Julia, Lenksi in Onegin, Mitch in Endstation Sehnsucht, Albrecht in Giselle und Lysander in Ein Sommernachtstraum zu erleben war. Er trat unter anderem in Balletten von Jirí Kylián, William Forsythe, Sol Leon, John Neumeier, Nacho Dato und Christoper Wheeldon auf.
Im Juli 2015 debütierte Heise in England als Choreograf und Regieassistent in Paul Currans Produktion von Benjamin Brittens Tod in Venedig an der Garsington Opera in Buckinghamshire. Im Juni 2017 feierte Andreas Heise sein choreografisches Debüt bei den Salzburger Festspielen in einer Produktion von Händels Ariodante in der Regie von Christof Loy und mit Cecilia Bartoli in der Titelpartie.
Sein erstes Handlungsballett, Sandmann, wurde im Oktober 2018 mit dem Ballett in Graz uraufgeführt. Im März 2019 erarbeitete er Purcells Dido and Aeneas als Regisseur/Choreograf in einer Kollaboration der Norwegischen Nationaloper & Ballett. Im gleichen Jahr traf er wieder auf Regisseur Christof Loy in der neuen Produktion von Strauss’ Capriccio am Teatro Real in Madrid. An der Elbphilharmonie in Hamburg leitete Heise von September 2022 bis Mai 2023 ein Projekt des Bildungsprogramms LOVE est.2023 – wie wir lieben.

 

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© Wikipedia

VIKTOR ULLMANN wurde am 1. Januar 1898 in Teschen (Cieszyn) geboren, seine Eltern entstammten beide jüdischen Familien, konvertierten aber noch vor seiner Geburt. Sein Vater konnte die Laufbahn eines Berufsoffiziers einschlagen, wurde im Ersten Weltkrieg zum Oberst befördert und 1918 als Edler von Tannfels in den österreichischen Adelsstand erhoben. 1909 zog Viktor mit seiner Mutter nach Wien, wo er ab 1909 das Rasumofsky-Gymnasium in der Kundmanngasse besuchte und mit dem Kriegsabitur verließ. Ab 1916 leistete er seinen Militärdienst. Nach Kriegsende immatrikulierte er als Jusstudent an der Wiener Universität, aber seine musikalischen Neigungen und Begabungen waren stärker: Diese verschafften ihm früh Zugang zu Arnold Schönberg und dessen Schülerkreis. Ab 1918 besuchte er bereits Schönbergs Seminare für Komposition in Mödling. Bereits 1920 übernahm er die Stelle des Chordirektors und Korrepetitors am Neuen Deutschen Theater in Prag, zwei Jahre später beförderte ihn Alexander von Zemlinsky dort zum Kapellmeister. Aufsehen erregte Ullmann 1926 mit der Komposition der SchönbergVariationen für Klavier, uraufgeführt in Prag und 1929 in Genf. 1927 ging Ullmann für eine Spielzeit als Opernchef nach Aussig, 1929 bis 1931 übernahm er am Schauspielhaus Zürich ein Engagement als Kapellmeister und Komponist für Bühnenmusik.
Zwei Jahre führte er eine anthroposophische Buchhandlung in Stuttgart, beeinflusst von Rudolf Steiner. Danach kehrte er als freischaffender Musiker, Pädagoge, Komponist und Journalist nach Prag zurück.

 

„Ich habe in Theresienstadt ziemlich viel neue Musik geschrieben,
zu
betonen ist, […] dass wir keineswegs bloß klagend an Babylons
Flüssen saßen und dass unser Kulturwille unserem Lebenswillen adäquat war.“
Viktor Ullmann

 

Doch ab 1939 wurden Werke jüdischer Komponisten nicht mehr öffentlich aufgeführt. Erfolglos bemühte sich Ullmann nach dem deutschen Überfall auf die Tschechoslowakei um Auswanderung: Am 8. September 1942 wurde er verhaftet und in das KZ Theresienstadt verbracht, wo er mit seinen jüdischen Leidensgenossen Hans Krása, Gideon Klein und Rafael Schächter die musikalische Leitung der so genannten „Freizeitgestaltung“ übernahm.
Bis zur Deportation erreichte seine Werkliste die Opuszahl 41 und enthielt u. a. drei Klaviersonaten, Liederzyklen nach verschiedenen Dichtern, Opern und das Klavierkonzert op. 25, das er noch im Dezember 1939, neun Monate nach dem Einmarsch, vollendete.
Der größere Teil dieser Werke ist verschollen. Erhalten blieben 15 Drucke seiner zwischen 1936 und 1942 entstandenen Kompositionen, die Ullmann im Selbstverlag herausgegeben und einem Freund zur Aufbewahrung anvertraut hatte. In Theresienstadt wirkte er als Klavierbegleiter, organisierte Konzerte, komponierte, schrieb Kritiken über musikalische Veranstaltungen. Sein Theresienstädter Nachlass blieb nahezu vollständig erhalten und umfasst so gewichtige Werke wie die letzten drei Klaviersonaten, das 3. Streichquartett, das Melodram nach Rilkes Cornet-Dichtung und die Kammeroper Der Kaiser von Atlantis.
Am 16. Oktober 1944 wurde Viktor Ullmann gemeinsam mit Pavel Haas und Hans Krása nach Auschwitz-Birkenau deportiert und kurz nach seiner Ankunft durch Vergasung ermordet.

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