Die Wiener Regisseurin Anna Maria Krassnigg inszeniert Robert Neumanns großen vergessenen Nachkriegsroman Die Kinder von Wien. Im Gespräch mit Angela Heide erzählt sie wina über ihre Annäherung.
wina: Wie sind Sie dem Roman begegnet?
Anna Maria Krassnigg: Da mein Freundeskreis über meine leidenschaftliche und permanente Suche nach Texten und Geschichten Bescheid weiß, steckt man mir immer wieder besondere Kostbarkeiten zu. So auch bei Neumann. Als der Roman von Hans Magnus Enzensberger erneut ans Licht gehoben und mit einem hervorragenden Nachwort von Ulrich Weinzierl 2008 neu editiert wurde, schenkte ihn mir ein Freund, versehen mit folgender Warnung: „Vielleicht lies es besser nicht, denn du wirst dich verlieben, und das wird eine anstrengende Liebe werden, weil du es wahrscheinlich gleich auf dem Theater sehen wirst.“ Diese Prophetie ist eingetreten.
wina: Ulrich Weinzierl nennt in seinem Nachwort zur Neuauflage im Eichborn-Verlag die Geschichte um eine Handvoll Kinder, die in einer Kellerruine hausen, ehe ein schwarzer Reverend aus Louisiana sie – letztendlich erfolglos – in die Schweiz retten will, „zugleich eine krude, verzweifelte Parabel über die Zerstörung des Menschen durch Krieg und Faschismus. Alles ist danach kaputt – auch die Sprache.“
ANM: Ein New Yorker Rezensent nannte Neumanns wilde Sprachfantasie 1947 „a nightmarish fairy tale with super-realistic features“. Und das eben macht den Stoff so interessant für die Bühne. Wenn man so will, ist das unsere oberste „Regieanweisung“. Da das Deuten von Parabeln wie auch das Beleuchten von Hintergründen, quasi das Dokument hinter dem Märchen, höchst interessant und lustvoll sind, wie wir auf jeder Probe neu entdecken, wollen wir dem Publikum die Gelegenheit bieten, sich ein Stück weit mit uns auf die Spurensuche zu begeben. Denn wer sich vorbehaltlos auf diese humorvolle, erschreckende, märchenhafte Parabel einlässt, wird nicht umhin kommen, sich im Heute wiederzufinden.