„Die Vergangenheit liegt in der Luft“

Jana Enzelberger ist eine stille, stets hoch konzentrierte Künstlerin von beeindruckender Intensität. Geboren wurde sie in der Sowjetunion, seit 20 Jahren lebt sie in Wien. Und obwohl sie schon seit ihrer Kindheit um ihre jüdischen Wurzeln wusste, hat sie erst in den letzten Jahren und in Wien damit begonnen, sich in ihrer künstlerischen Arbeit damit auseinanderzusetzen, aber auch dank Freunden ihren ganz persönlichen Weg zu ihrer eigenen „Jüdischkeit“ zu finden. Wie schwer, hindernisreich und bewegend dieser Weg war, darüber hat die Fotografin und Grafikerin aus Anlass ihrer aktuellen Einzelausstellung Wiener Begegnungen sehr offen im Gespräch mit WINA erzählt.

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Jana Enzelberger begann schon früh in mit ersten künstlerischen Arbeiten. Doch erst in ihrer Wahlheimat Wien hat sie sich der Fotografie zugewandt. ©Jana Enzelberger

WINA: Du hast um deine jüdischen Wurzeln relativ früh schon gewusst, dich aber erst in den letzten Jahren näher damit beschäftigt. Wie kam es dazu?
Jana Enzelberger: Ich wurde in Russland geboren, in eine jüdische Familie, aber mit zugeschütteten Wurzeln. Denn das Jüdischsein war damals nicht so „üblich“: Alle waren sowjetisch, alle waren russisch, und es wurden weder christliche noch jüdische oder sonstige religiöse Feste gefeiert, auch keine Weihnachten. Was es gab, waren der Erste Mai und Silvester. Ich wusste um den jüdischen Hintergrund meiner Mutter ab meinem Teenageralter, und eigentlich mehr aus Zufall, da damals, in den Achtzigerjahren, immer wieder im Bekanntenkreis darüber gesprochen wurde, wer wohin auswandert und wer in den Westen, aber eben auch nach Israel geht. Hier in Wien habe ich einen sehr engen Freund, der ebenfalls jüdisch ist und mit seiner Familie die jüdische Tradition ganz bewusst lebt und auch weitergibt – so wie er seine Kinder erzieht, so wie er an Schabbat in die Synagoge geht –, und durch ihn erst finde ich langsam zu meinen Wurzeln.

Wann und warum bist du nach Wien gekommen?
 Es war der Wunsch meiner Eltern, die beide Ärzte sind und für die eine gute Ausbildung absolut zentral war, dass ich in der Schule schon Deutsch lerne. Später habe ich Germanistik studiert und in diesem Fach auch promoviert und gearbeitet. Nach Wien bin ich vor rund 20 Jahren durch meinen damaligen Mann gekommen – und dieses erste Jahr in Wien war für mich unglaublich schwierig, denn das Deutsch, das ich gelernt hatte, und das Wienerische, mit dem ich es nun tagtäglich zu tun hatte: Da lagen Welten dazwischen, die Sprachmelodie ist so ganz anders. Und ich dachte, mein Hirn platzt!

 

„Das Deutsch, das ich gelernt hatte, und das Wienerische, mit
dem ich es nun tagtäglich zu tun hatte:
Da
lagen Welten dazwischen.“

Jana Enzelberger

 

Wohin hat es dich in Wien beruflich zuerst gezogen?
Ich habe zuerst in einem Kunstverein gearbeitet, doch es war ein klassischer Bürojob, und rasch war mir klar, dass ich so nicht leben will. Zu diesem Zeitpunkt habe ich einen Mitarbeiter des Vereins Hemayat kennengelernt, dem Wiener Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende, das psychiatrische und psychotherapeutische Unterstützung bietet und in dem ich in den folgenden 15 Jahren als Dolmetscherin gearbeitet und parallel dazu eine Ausbildung zur Traumaberaterin absolviert habe. Daneben gab es Aufträge des Niederösterreichischen Therapiezentrums in Sankt Pölten und der Caritas Familienberatung.

Anfang 2020, fast zeitgleich mit dem ersten Lockdown im Zuge der Covid-19-Pandemie, hattest du ein Burnout, das dein Leben in gänzlich neue Bahnen geworfen hat. Willst du uns darüber erzählen?
Die Arbeit war in all diesen Jahren nicht nur psychisch sehr belastend, denn du lernst so viele Menschen und deren oft tragische Schicksale kennen –, sie war auch ganz persönlich existenziell belastend, denn, und das ist ein systemisches Problem, es gibt keine Anstellungen, in keinem der Bereiche, in denen ich gearbeitet habe, und ich habe oft bis weit über die Grenzen meiner Möglichkeiten hinaus gearbeitet, konnte aber aus rein existenziellen Gründen nicht weniger arbeiten, und irgendwann ging das einfach nicht mehr. Ich hatte bereits acht Jahre zuvor ein Burnout gehabt, war jedoch nach nur einem Monat wieder zurück in den Job gegangen. Diese zu kurze Auszeit, die ich nach dem ersten Burnout genommen hatte, hat sich Jahre später gerächt. Vor sechs Jahren habe ich ein gutes Mittel gefunden, um mit den Belastungen umgehen zu lernen: Ich habe mit dem Ballettunterricht begonnen, dem ich bis heute treu geblieben bin und den ich auch im tiefsten zweiten Burnout des letzten Jahres nie aufgegeben habe. Dennoch musste ich ab März 2020 acht Monate lang in Krankenstand, eine Zeit, die in der Rückschau zwar sehr belastend war, mein Leben aber um 180 Grad – und zum Guten – gedreht hat.

Aufatmen hieß Jana Enzelbergers letzte Einzelausstellung im Rahmen von Wachau in Echzeit. ©Jana Enzelberger

Wann hast du das erste Mal gespürt oder gewusst, dass du einen künstlerischen Weg einschlagen willst?
Ich wollte eigentlich immer schon Künstlerin werden und habe schon früh gemalt und gezeichnet – es war als Kind sicher auch eine Art Fluchtmöglichkeit. Aber so wenig, wie ich Ärztin geworden bin, was ja der Wunsch meiner Eltern gewesen wäre, so wenig bin ich dann Kunsthistorikerin geworden, was eigentlich mein erster Berufswunsch war. Doch auch wenn es lange Jahre gebraucht hat, so ist mit der Zeit dieses Künstlerische, vor allem das Gestalterische wieder zu mir zurückgekehrt.

Du hast dich dann aber nicht mehr für die Malerei entschieden, sondern für die Fotografie, warum?
Als ich wieder zur Kunst zurückgefunden habe, hatte ich schon so lange nicht mehr gemalt oder gezeichnet, dass mein muskuläres Gedächtnis einfach nicht mehr mitgemacht hat. Und so habe ich mir gedacht, ok, dann fotografiere ich halt, und habe berufsbegleitend die Ausbildung zur Fotografin absolviert. Mein erster Plan war, dass ich beide Wege parallel gehen könnte – den als Dolmetscherin und den als Künstlerin. Ein falscher Gedanke, wie sich schließlich herausgestellt hat. Es ging sich einfach mit meiner Energie nicht aus. Mein zweites Burnout war dann auch kurz nach meiner ersten Soloausstellung in der Galerie MA2, die mich seither auch vertritt. Es war der Zeitpunkt, an dem mein Kopf eigentlich noch dachte, dass ich beides machen kann, aber mein Körper gesagt hat, dass es nicht mehr so weitergehen kann …

„Das Bild war quasi schon
da, ich musste nur mit meiner Kamera abdrücken.“
Jana Enzelberger

Du hast dich in den acht Monaten, die auf deinen Ausstieg bei Hemayat gefolgt sind, erneut weitergebildet und auch gleich deine Website selbst gestaltet.
Die Website kam zuerst, denn ich brauchte etwas, das ich machen kann, um mich nicht auf die Coach zu legen und nicht mehr aufzustehen. Das war die Gefahr in dieser Zeit, dass alles so dunkel und schwarz wird, dass ich es nicht mehr schaffe – aber ich habe es geschafft! Ich habe meine Website selbst gestaltet, und ich habe intensiv nachgedacht, was ich machen kann und was ich machen will, und so kam ich auf die Ausbildung zur Mediendesignerin, die ich, sobald es mir möglich war, an der LIK Akademie für Foto und Design absolviert habe. Der nächste Schritt war ein Praktikum beim Tyrolia Verlag, für das ich sehr dankbar bin und bei dem ich dank sehr freundlicher, engagierter und leidenschaftlicher Buchmacherinnen gelernt habe, ein Buch von Null an bis zur Drucklegung zu begleiten.

Wenn ich dir zuhöre, dann wirkt alles, trotz all der Belastungen und Schwere, die dich so lange begleitet haben, als hätte es so sein müssen. Du hast aktuell binnen weniger Monate zwei Einzelausstellungen, arbeitest als Porträtfotografin und suchst genau in dem Bereich, den du dir wünscht, dem Verlags- und Grafikwesen, eine neue Herausforderung.
Ja, all das ist in diesem letzten Jahr passiert, ich glaube es fast selbst noch nicht. Zu beiden Ausstellungen habe ich auch ohne lange zu überlegen und sehr gerne zugesagt. Vor allem, weil ich merke, dass ich diesen Schritt machen kann und machen will: dass ich nicht mehr nur fotografieren will, sondern meine Arbeiten auch einer breiteren Öffentlichkeit zeigen will, mit anderen teilen will.

Berührendes Symbol jüdischen Lebens von heute: eine Menora, die als Schattenbild auf dem Gehsteig der Rotenturmstraße erscheint. ©Jana Enzelberger

Du arbeitest bei deinen fotografischen Arbeiten vor allem in Schwarzweiß, warum?
Für mich ist es vielleicht der kürzeste Weg, zum Wichtigsten zu kommen.

In deinen Bildern thematisierst du immer wieder das „jüdische Wien“, ein Wien, das es so nicht mehr gibt, wie etwa am Beispiel der zerstörten Synagoge in der Neudeggergasse, ein jüdisches Wien aber auch, das du an Orten siehst oder in Dingen, die ohne deine Bilder nicht sichtbar wären, etwa das Bild einer Menora in der Rotenturmstraße, die so freilich nicht existiert, sondern eine Art Schatten der Erinnerung ist, aber auch der Hoffnung und des Lebens. Ist dieses jüdische Wien deiner Bilder deine Art, dich deinem Judentum, aber auch Wien zu nähern?
 Zum „Jüdischen“ und Wien kann ich ganz persönlich erzählen, dass ich eine Zeitlang auf dem Karmelitermarkt im zweiten Bezirk gelebt habe. Für mich war die dortige Atmosphäre, in der ich so viel vom einstigen jüdischen Leben in dieser Stadt gespürt habe, aber auch die Verfolgung, Zerstörung und Auslöschung massiv gefühlt habe, so belastend, dass ich es irgendwann nicht mehr ausgehalten habe. Diese Vergangenheit liegt, zumindest für mich, in der Luft. Ich habe damals nicht fotografiert, sondern erst viel später. Ähnlich ist es auch mit dem Bild der Menora auf der Rotenturmstraße. Für mich war der historische Boden – auch der fotografische – schon dmit russisch-jüdischen Wurzelna, denn genau von dieser Stelle gibt es Fotos, auf denen dokumentiert ist, wie Jüdinnen und Juden 1938 gezwungen wurden, den Boden der Straße zu schrubben. Als ich dann durch die Straße ging und diesen Schatten gesehen habe, der für mich so ein deutliches Symbol jüdischen Lebens ist, war das für mich sofort wieder präsent. Das Bild war quasi schon da, ich musste nur mit meiner Kamera abdrücken.
janaenzelberger.com

 

 

JANA ENZELBERGER
Wiener Begegnungen Fotoausstellung
Treffpunkt Lerchenfeld,
Lerchenfelder Straße 141, 1070 Wien
Vernissage: 15. Dezember 2021, 18:30 Uhr
Ausstellung bis 14. Jänner 2022
zu den Öffnungszeiten
sowie nach Vereinbarung
lerchenfelderstrasse.at

 

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