Die Welt ist eine Umwelt

Die Erfahrungen der Diaspora und das Misstrauen gegenüber allem Völkischen nährten immer die Sehnsucht nach einer eigenen Nation.

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Doron Rabinovici / © APA Picturedesk/ Marko Lipus

Kennen Sie den?
„Jankel, wie geht es deinem ältesten Sohn?“
„Ist in Prag.“
„Was macht er?“
„Sozialismus aufbauen.“
„Schön! – Und der mittlere?“
„In Berlin.“
„Was macht der?“
„Nu, Sozialismus aufbauen.“
„Sehr schön! – Und der jüngste?“
„In Tel Aviv.“
„So? Sozialismus aufbauen?“
„Bist du meschugge? Doch nicht im eigenen Land!“

Der alte Witz hatte schon so einen langen Bart, da lag Prag noch hinter dem Eisernen Vorhang und Berlin war durch eine Mauer geteilt, doch er funktioniert heute genauso wie damals. Glauben Sie mir. Ich erzähle ihn Menschen, die jünger sind, als ich zu jener Zeit war, und alle lachen sie, als wäre seither nichts geschehen; als wären Breschnew und seine geriatrischen Genossen vom Zentralkomitee in Moskau weiterhin an der Macht, als schriebe Vaclav Havel im Hausarrest noch an einem seiner Dramen und als kontrollierte im Osten Deutschlands immer noch die Stasi alles von der Wiege bis zur Bahre.

Der Witz zeigt an, was für jüdische Menschen unverändert gilt. Die Welt ist nur eine Umwelt. Jeder Text war von Anfang an alleinig im Kontext zu verstehen.

Die Diaspora lehrte uns, die wir seit jeher verstreut unter den Völkern lebten, misstrauisch gegenüber jedem Staat zu sein, der partout zwischen seinem eigenen Volk und seiner eigentlichen Bevölkerung unterscheiden will. Wir schlagen uns erschrocken auf die Stirn, wenn der römische Innenminister verkündet, er könne die italienischen Roma leider nicht ausweisen, so gerne er das auch täte. Die meisten von uns können es kaum glauben, wenn es heißt, die österreichische Regierung plane, Südtirolern die doppelte Staatsbürgerschaft zu verleihen – allerdings nur den deutschsprachigen und den ladinischen, doch ihren Nachbarsfamilien, die Italienisch sprechen, justament nicht. Vielen Juden wird ziemlich mulmig zumute, wenn sie sehen, wie leichtfertig hierzulande gegen migrantische oder religiöse Minderheiten zu Felde gezogen wird. Die Kampagne gegen das Schächten mag zunächst gegen jene gemünzt gewesen sein, die halal essen, doch sie trifft auch jene, die orthodox leben, und sie berührt selbst jene, denen koscher sonst eher blunzn ist, weil die meisten von uns begreifen, es geht diesen Scharfmachern gar nicht um das Tierrecht, sondern bloß darum, die Sau raus zu lassen bei der Hetze gegen alles vermeintlich Fremde.

Vielen Juden wird ziemlich mulmig zumute, wenn sie sehen, wie leichtfertig hierzulande gegen migrantische oder religiöse Minderheiten
zu Felde gezogen wird.

Aber eben diese Erfahrung der Diaspora und das Misstrauen gegenüber allem Völkischen nährte zugleich die Sehnsucht nach einer eigenen Nation. Die Hoffnung galt einem demokratischen und jüdischen Staat und glich von Anfang an einem Januskopf. Die Verheißung war, den Gegensatz zwischen den zwei ungleichen Wünschen zu überwinden. Die ersten zionistischen Siedlungen waren nicht gegründet worden, weil die Pioniere geglaubt hatten, es werde hundert Jahre Krieg folgen. Sie wollten nicht im Hass leben. Sie meinten, es werde irgendwann schon Frieden herrschen.

Das neue Nationalitätsgesetz ist der Abschied von dieser Sichtweise. Es wird von jenen begrüßt, die nicht mehr von Versöhnung träumen. Ihre Botschaft ist klar: Das Land bleibt jüdisch, selbst wenn die Juden nicht mehr die Mehrheit sein sollten. Es wird von jenen Juden abgelehnt, die vor allem aufgrund der eigenen Geschichte mit den Minderheiten fühlen und einen Staat anstreben, der – wie etwa Frankreich oder die USA – nicht nach Herkunft oder Religion fragt. Der Zwiespalt ist ein wenig wie im alten Witz. Nur nicht ganz so lustig.

 

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