WINA: Nach deinem Film Die Geträumten, einer poetisch erzählten Liebesgeschichte zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan, kommt jetzt mit Waldheims Walzer eine sehr subjektive Zeitgeschichte-Doku in die Kinos. Ein größerer Kontrast ist kaum vorstellbar. Wie kam es zu diesem Film?
Ruth Beckermann: Waldheims Walzer war eigentlich so ein spontanes Lustprojekt. Ich hatte schon 2013 die Idee dazu und gemeinsam mit Ina Hartwig, mit der ich das Drehbuch geschrieben habe, das Konzept entworfen, und dann kamen Die Geträumten dazwischen. Deshalb habe ich erst 2015 so richtig zu recherchieren begonnen.
Anlässlich der Präsentation bei der Berlinale hast du auf die Aktualität der Problematik hingewiesen. War diese ein Motivation für den Film?
Nein, gar nicht, denn als ich die Arbeit begonnen habe, gab es weder einen Präsidenten Trump noch bei uns diese Regierung. Rückblickend kann man sagen, der Film kam genau zur richtigen Zeit, auch international gesehen. Diese Aktualität war gar nicht geplant, und es ist auch ein bisschen ein Wermutstropfen, dass er so aktuell ist.
Was war die Initialzündung für die Idee?
Die Initialzündung war, dass die alten Videobänder mit meinem selbstgedrehten Material von den Demonstrationen gegen Waldheim weg waren. Und dann hab’ ich zufällig meine VHS-Kassetten davon wiedergefunden, und alle jungen Leute in der Generation meines Sohnes, die sie angesehen haben, waren schockiert von den Szenen und so interessiert an dieser Geschichte. Sie haben mich schließlich gedrängt, einen Film zu machen.
Hast du im Zuge der Recherchen auch für dich neue Fakten der Affäre entdeckt?
Ich habe neue Zusammenhänge entdeckt. Ich habe mir in internationalen Archiven auch das ganze Bild, von dem ich ja nur Ausschnitte kannte, erarbeitet. Je mehr Archivmaterial ich gefunden habe, umso spannender ist es geworden. Ich habe mir ja damals nicht überlegt, warum das Mitte der 80er-Jahre plötzlich so ein Thema wurde, unter anderem durch das Ende des Kalten Krieges und den Film Shoah. Auch international trat der Holocaust erst so spät in den Fokus der Aufmerksamkeit.
»Ich glaube nicht,
dass meine Filme viel verändern.«
Ruth Beckermann
Deine Filme habe oft einen biografischen Ansatz. In Waldheims Walzer bist du nicht nur Regisseurin und Autorin, sondern als ehemalige Aktivistin auch Zeitzeugin, Chronistin und als Kommentatorin die Stimme aus dem Off. Gab es neben dieser fast totalen Subjektivität auch einen Anspruch auf objektive Geschichtsdarstellung?
Es gibt keine objektive Geschichtsdarstellung. Jeder Mensch bringt seine Ansichten, Vorurteile, Urteile mit, und ich wollte klar machen, dass es meine persönliche Perspektive ist. Ich habe eben damals selbst gedreht, und ich finde mein eigenes Material wieder. Ich wollte einerseits sehr präzise recherchieren, weil es immer noch ein kontroverses Thema ist, wie die Postings zeigen, die wir schon auf Facebook bekommen, und andererseits einen Kinofilm machen, der von der Dramaturgie und Spannung her im Kino funktioniert.
Apropos Spannung. Auf den Titel gebenden Walzer wartet man im Film vergeblich.
Der kommt als Walzer nicht vor, sondern ist ein Bild dafür, wie Waldheim sich verhält. Immer noch eine Runde drehen und sich drehen, herausdrehen, dafür soll der Titel stehen.
Die Waldheim-Zeit gilt heute als Katalysator für das geänderte Geschichtsbild Österreichs bzw. die Selbstwahrnehmung Österreichs vom Opfermythos auch zum Täterland. Müsste man Waldheim dafür nicht dankbar sein?
Ja, ich finde, dass wir Waldheim viel zu verdanken haben, weil endlich diese Glasglocke gelüftet wurde, unter der ich aufgewachsen bin, und das hat sich in alle Lebensbereiche ausgebreitet. Diese Tabus, diese Lügen, dieses Schweigen, das ist damals aufgebrochen. Davor hat man hier eigentlich gar nicht offen über Juden als Opfer geredet. Waldheim war ein Auslöser für eine Debatte, die überfällig war. Es waren die Leute auch reif dafür. Es war ein notwendiger turning point, der bis heute nachwirkt.
Wo stehen wir diesbezüglich heute?
Wer weiß das, wir bewegen uns ständig, die Demontage der offenen Gesellschaft geht ja rasant vor sich. Es ist ein Riesenfehler, immer von Auschwitz, das heißt, vom Schlimmsten zu reden. Aus Auschwitz kann man nichts lernen. Viel wichtiger wäre es, über die Anfänge zu reden, daraus kann man lernen, wie es dazu gekommen ist und was nach dem Krieg passiert ist. Mich interessieren das Davor und Danach, weil ich denke, dass diese Art der Massenvernichtung der Juden unwiederholbar ist, aber wie Demokratien zerstört werden können, wie man Gruppen ausgrenzt, das wiederholt sich sehr wohl.
Im Waldheim-Wahlkampf formierte sich in Österreichs erstmals so etwas wie eine kritische Zivilgesellschaft, der du angehört hast. Viele ihrer Protagonisten sind immer noch aktiv. Siehst du da eine jüngere Generation nachfolgen?
Ja, das hoffe ich schon. Mit den Leuten, die ich bei den Demos kennengelernt habe, haben wir einen gemeinsamen Kampf geführt. Wir haben damals den Republikanischen Klub gegründet, der zuerst Neues Österreich geheißen hat, dort steht auch noch heute das berühmte Holzpferd.
Demonstrieren oder dokumentieren waren damals deine Optionen. Was ist für dich rückblickend wichtiger gewesen?
Rückblickend tut es mir leid, dass ich damals nicht mehr gedreht hab, denn dann hätten wir mehr Material aus unserer Perspektive. Der ORF hat damals nichts davon gedreht, sie haben uns gar nicht ernst genommen und den patriotischen Schulterschluss mit vollzogen.
Schockierend deutlich wird im Archivmaterial der auch unverhohlene Antisemitismus dieser Zeit von Politikern wie Alois Mock und Michael Graff. Sager wie „die ehrlosen Gesellen vom Jüdischen Weltkongress“ hat man ja schon beinahe vergessen.
Es war mein Hauptfokus, das aus einer internationalen Perspektive zu erzählen, nämlich beide Seiten. In Österreich wird diese Debatte nach wie vor aus österreichischer Sicht gesehen, und man hat gar nicht in Amerika recherchiert. Für mich wirken diese Aussagen von Mock, Graff und anderen heute noch schockierender, damals war man es gewohnt.
Wir sind beide typische Kinder der Zweiten Generation und arbeiten uns offenbar lebenslang an dieser Thematik ab. Deine diesbezügliche Identität ist ein wesentlicher Teil deines Schaffens. Siehst du das bilanzierend auch als eine Belastung?
Es war für mich als Kind und Jugendliche sehr schmerzhaft, ich habe dann in den 80er-Jahren begonnen, es zu bearbeiten. Die papierene Brücke, an der ich drei Jahre gearbeitet habe, war für mich eine Art Psychoanalyse. Es kommen auch jetzt immer noch Momente, da denke ich mir, was sollen wir hier, aber ich leide nicht mehr und habe nicht mehr das Gefühl, dass ich etwas zu diesem Thema machen muss. Ich glaube auch nicht, dass meine Filme viel verändern. Ich mache etwas, weil es mich interessiert. Natürlich freut es mich, wenn Leute Parallelen zur Gegenwart ziehen, und es ist mir wichtig, dass ein Film heute relevant ist.
Ruth Beckermann wurde 1952 in Wien geboren, studierte in Wien, Tel Aviv und New York, promovierte zum Dr. phil. und begann Ende der 70er-Jahre, als Dokumentarfilmerin zu arbeiten. In ihrer Filmtrilogie Wien retour setzte sie sich mit der jüdischen Identität auseinander, ein Thema, dem sie sich etwa auch in Streifen wie Zorros Bar Mizwa widmete. Viele ihrer Filme wurden ausgezeichnet, zuletzt Waldheims Walzer 2018 bei der Berlinale.