Dreharbeiten in Israel: „Hochprofessionell und orientalisch“

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Der österreichische Erfolgsregisseur Harald Sicheritz, derzeit auch mit der TV-Serie Vorstadtweiber beschäftigt, arbeitete zwei Monate in Israel an dem Kinofilm Baumschlager.

Wina: Am 22. September startet Ihr neuester Film in den österreichischen Kinos. Große Teile dieser Satire mit dem Titel Baumschlager drehten Sie in Israel. Wer hatte die Idee zu diesem Film? Wie kam es dazu?

Harald Sicheritz: Das war einer dieser Zufälle im Leben eines Regisseurs. In den 80er-Jahren habe ich bei einem internationalen Fernsehprojekt einen israelischen Produzenten kennengelernt. Der smarte Herr war Micha Shagrir, Urgestein und wichtiger Pfeiler der israelischen Filmindustrie. 25 Jahre später bekam ich einen Anruf von ihm. „Ich habe gesehen, dass du jetzt erfolgreiche Filme machst“, sagte er, „ich habe eine Idee: Ein verheirateter österreichischer UNO-Soldat am Golan hat eine libanesische und eine israelische Geliebte.“ Ich musste Micha damals leider sagen, dass mich das Setup nicht interessierte. „Ein Mann hat drei Frauen“ – das klang nach den Komödien, die ich schon in den 70er-Jahren bestenfalls halblustig fand und die ich mir für die Gegenwart gar nicht vorstellen wollte.

„Das israelische Filmgeschäft,
wie ich es kennengelernt habe,
ist ein Hochprofessionelles.
Ich habe aber einen Arbeitsstil kennengelernt, der schon deutlich
anders war als unserer.“

In Baumschlager geht es aber dann doch um einen österreichischen UNO-Soldaten?

❙ Ja, denn ein Jahr später wurde aus dem ursprünglichen Zufall eine schöne Begegnung: Ich bekam von Micha ein Drehbuch zugeschickt – von Maayan Oz. Da ich mich mit hebräischen Namen nicht auskannte, dachte ich an einen altgedienten Profi, wie Micha einer war. Das Buch fand ich toll, denn das Setup hatte sich komplett gedreht: Drei Frauen hatten einen Mann! Es war witzig und als bissige Satire angelegt. Ich habe daraufhin Micha meine Begeisterung mitgeteilt und gebeten, Herrn Oz kennenlernen zu dürfen. Er sagte lachend, „gut, ich bringe ihn nach Wien“, und kurz darauf kam er mit einer 26-jährigen Frau an! Maayan war Michas Vorzeigeschülerin an der Sam Spiegel School for Film & Television in Jerusalem. Da habe ich vieles besser verstanden – deshalb war der Humor so ein gerader und ungewöhnlicher.

Baumschlager. Nach einem Drehbuch von Maayan Oz. Die ebenso witzige wie bissige Satire handelt von drei Frauen, die einen Mann haben – einen österreichischen UNO-Soldaten auf dem Golan.

Wie schnell kam es dann zur Realisierung?

Baumschlager.
Komödie;
mit: Thomas Stipsitz, Gerti Drassl, Anatole Taubman u. a.;
Regie: Harald
Sicheritz;
österr. Kinostart:
22. September 2017

❙ Ich habe mit Maayan fleißig am Drehbuch gearbeitet und konnte gemeinsam mit Micha die Dorfilm und Danny Krausz als idealen österreichischen Koproduzenten gewinnen. Doch es gab ein Hindernis – nämlich kein Abkommen zwischen Israel und Österreich, das den Einsatz von staatlichen Filmförderungsmitteln ermöglicht hätte. Zum Abschluss des notwendigen bilateralen Vertrages kam es dann wohl auch schneller, weil es das Projekt Baumschlager gab. So ist die erste österreichisch-israelische Koproduktion eines Spielfilms entstanden.

Wie würden Sie mit Ihrer großen Erfahrung die Dreharbeiten in Israel beschreiben?

❙ Das israelische Filmgeschäft, wie ich es kennengelernt habe, ist ein hochprofessionelles. Das wusste ich schon vorher von Danny Krausz, der eine intensive Beziehung zu Israel hat. Ich habe aber einen Arbeitsstil kennengelernt, der schon deutlich anders war als unserer. Nachdem das Drehabenteuer so gut ausgegangen ist, kann ich rückblickend sagen: Es ist alles anders, es ist orientalisch. Meine österreichischen Department Heads und ich hatten international übliche Vorbereitung erwartet. Dem war nicht ganz so. Es gab viele Besprechungen, bei denen man sich gegenseitiger Wertschätzung versicherte. Alle schrieben immer alles auf – drei, vier, fünfmal, immer das Gleiche. Es wurde permanent bestätigt und bekräftigt.

Sie meinen, es lief genau und konzise ab?

❙ Nein, zumindest nicht nach den Maßstäben eines naiven Österreichers. Ein Beispiel: Ich wünsche mir für Szene 25 ein blaues Auto. Das wird über Wochen in etlichen Besprechungen wiederholt notiert. Eine Woche vor dem Drehtag werde ich gefragt: „Ist das jetzt sicher mit dem blauen Auto?“ – „Ja, doch“, bestätige ich. Zwei Tage vor dem Dreh heißt es plötzlich, es sei leider unmöglich, ein blaues Auto aufzutreiben. Ich beharre natürlich darauf, habe es ja schon vor langer Zeit angefordert. Dann, am Drehtag, kommt, mit etwas Verspätung, das blaue Auto doch noch – und die Beschaffer sind unglaublich stolz. Das ist gewöhnungsbedürftig. Die israelischen Filmleute beherrschen ihr Geschäft, nur die Abwicklung ist eine andere. Jedenfalls war der Dreh von Baumschlager ein super Projekt der Völkerverständigung: Nach knapp zwei Monaten waren Israelis und Österreicher ein eingeschworenes Team.

Wo haben Sie in Israel gedreht, direkt am Golan?

❙ Nein, nicht am Golan, obwohl das möglich gewesen wäre. Aber die täglichen Anfahrtszeiten wären zu lange gewesen. Wir haben einen wunderbaren Naturpark zwischen Tel Aviv und Jerusalem gefunden, der hat außer der Wüste alles abgebildet, was Israel an Landschaft hat, auch den Norden. Das waren ideale Drehverhältnisse. Alles, was ich als „orientalisch“ beschrieben habe, trifft übrigens auf die Arbeitsweise der israelischen Schauspieler überhaupt nicht zu. Auf ihre Agenten dafür umso mehr.

Die großartige israelische Schauspielerin Moran Rosenblatt, die erst jüngst in dem berührenden Film Wedding Dolls in Wien zu sehen war, hat eine der Hauptrollen in Baumschlager. Wie haben Sie den israelischen Cast gefunden?

❙ Ich habe mir natürlich für die Auswahl der beiden Frauen, die sich in Nahost für Baumschlager interessieren, viel Zeit genommen und wohl die Nerven meiner israelischen Casterin ziemlich strapaziert. Nach einem Jahr gab es eine engere Auswahl. Dann habe ich Thomas Stipsits, meinen „Baumschlager“, nach Israel mitgenommen und dort mit allen Kandidatinnen proben lassen. Das war ein spannender Prozess. Moran, die äußerst sprachbegabt ist und schon öfter Araberinnen gespielt hat, war die ideale Tochter des libanesischen Generals. Die Rolle der israelischen Offizierin verkörpert Meyrav Feldman, sie kommt ursprünglich vom Musical. Beide Frauen spielen wunderbar. Baumschlager ist der erste österreichische Spielfilm, bei dem in der Drehfassung Englisch, Deutsch, Hebräisch und Arabisch gesprochen wird. Wir haben, um diese Sprachen­vielfalt zu erhalten, ca. 25 Prozent der Szenen untertitelt. Was Baumschlager auch noch besonders macht: Thomas Stipsits spielt seine erste Hauptrolle. Seine österreichische Ehefrau spielt die zu Recht berühmte Gerti Drassl. Sie war das erste Mal in Israel und hat es dort geliebt – wie wir alle!

Waren Sie auch zum ersten Mal in Israel?

❙ Nein, ich war bereits als Neunjähriger kurz nach dem Sechstagekrieg mit meinen Eltern dort. Ich wollte unbedingt im Winter ans Meer und hatte Glück – mein Vater war Pilot bei der AUA und wollte das Land näher kennenlernen. Ich werde die ausgebrannten Panzer am Straßenrand, die Sandsäcke und Scharfschützen auf den Dächern nie vergessen. Später war ich noch öfter da, um mir das Land immer wieder anzusehen.

Haben Sie weitere Filmpläne, die Sie in Israel realisieren möchten?

❙ Nach Baumschlager hat sich die Zusammenarbeit mit Maayan Oz noch intensiviert. Wir haben inzwischen gemeinsam ein weiteres Drehbuch geschrieben und arbeiten schon am nächsten. Über die Inhalte möchte ich aber noch nichts erzählen.

Zuletzt war viel über Sie zu lesen in Zusammenhang mit Ihrer Regiearbeit für die TV-Erfolgsserie Vorstadtweiber. Arbeiten Sie noch daran?

❙ Ja, ich bin jetzt mitten in den Dreharbeiten für die letzten fünf Folgen der dritten Staffel. Das macht mir viel Spaß – die Drehbücher von Uli Brée sind sehr gut und das Schauspielerensemble ist bekanntlich großartig.

Sie haben mit Ihrer Karikatur des Kleinbürgertums im Film Muttertag großen Erfolg gehabt, der zum Klassiker wurde und immer wieder gespielt wird, weil er seine Aussage und Gültigkeit nicht verloren hat. Auch mit der Zeitgeschichte haben Sie sich mehrmals filmisch auseinandergesetzt: In Zwölfeläuten geht es um Ereignisse im Jahr 1945, und für das Fernsehen schufen Sie eine Trilogie mit dem Titel Mutig in die neuen Zeiten, bei der Sie anhand des miteinander verwobenen Schicksals von drei unterschiedlichen Familien (Arbeiter, Adelige und jüdische Industrielle) die Nachkriegszeit in Wien ab 1950 und bis 1970 thematisieren. Machen Sie gesellschaftspolitische Filme genauso gern wie Satire und Komödie?

❙ Die Trilogie Mutig in die neuen Zeiten habe ich mit viel Herzblut geschrieben, besetzt und inszeniert. Es war Fiction, aber dennoch eine präzise Abbildung des Lebens der Menschen in den Verhältnissen ihrer Zeit. Ich habe ein sehr ausgeprägtes zeitgeschichtliches Interesse. Jeder Film trägt eine politische Botschaft in sich. Es ist nur immer die Frage, welche. Und wie explizit sie ist.

Harald Sicheritz, geboren 1958 in Stockholm, studierte Kommunikations- und Politikwissenschaften und promovierte 1983. Bekannt wurde er als Bassist und Texter der Gruppe Wiener Wunder, bevor er das TV-Magazin Ohne Maulkorb gestaltete (1981–1985). Nebenbei schrieb er auch Feuilletons bei der Neuen AZ (1982–1986).
Ab 1990 besuchte er Filmseminare und machte eine Regieausbildung in Los Angeles am renommierten American Film Institute. Neben seinen regelmäßigen Arbeiten für das Kino führt er, selbst Autor und Koautor der Drehbücher, auch Regie bei TV-Filmen und Serien (Tatort, Kaisermühlen Blues, Vier Frauen und ein Todesfall, Vorstadtweiber). Seit 2009 ist er Gründer und Vorstandsmitglied der Akademie des österreichischen Films.
Harald Sicheritz wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit der Goldenen Romy für den erfolgreichsten österreichischen Kinospielfilm (1996, 1999, 2000).

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