Editorial

„Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber Du kannst lernen zu surfen.“ Jon Kabat-Zinn

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Die Wellen reiten. Sommertag am Strand in Bat Yam, Israel. © Yossi Zeliger / Flash90

Nach jahrelangen Stunden bei Therapeuten, Meditationskursen und Yogalehrern ist Frau Katz auf der Suche nach einem berühmten Guru im Himalaya. Sie fliegt von New York nach Deli, nimmt dort den Zug, reist dann weiter mit Rikschas und Yaks und schleppt sich die letzten Kilometer zu Fuß zum buddhistischen Kloster in den Bergen. Als sie klopft, macht ihr ein junger Mönch die Tür auf und teilt ihr mit, dass der Guru nicht zu sprechen sei, da er sich seit Wochen zurückgezogen habe und in einer Höhle meditiere. Frau Katz akzeptiert die Zurückweisung nicht und insistiert solange, bis ihr der Mönch unter folgenden Bedingungen eine Audienz gewährt: Das Treffen muss ganz kurz sein, sie muss sich vor dem Guru verbeugen, und sie darf nur zehn Worte zu ihm sprechen. Erschöpft, aber zufrieden stimmt sie dem zu und klettert mit letzter Kraft zur Höhle hinauf. Als sie hoch oben ankommt, verbeugt sie sich, damit sie durch den Höhleneingang kommt, holt tief Luft und schreit hinein: „Josele, es ist deine Mutter! Genug jetzt, komm nach Hause!“
Etwa 30 Prozent der westlichen Buddhisten in den USA sind jüdischer Abstammung, so die Schätzungen. Die prägenden Persönlichkeiten der Aufmerksamkeitsbewegung, deren Wurzeln in der buddhistischen Lebensphilosophie stecken und die seit den Siebzigerjahren immer erfolgreicher versucht, jenen eine Antwort zu geben, die durch die industriellen Gesellschaften und deren Anforderungen zermürbt auf der Suche nach „Heilung, Ruhe und sich selbst sind“, sind in jüdischen Familien aufgewachsen. Was macht die asiatische Lebensphilosophie jedoch so attraktiv für viele Juden, was steckt hinter dem Phänomen JuBu (Jewish Buddhist), und gibt es tatsächlich Anknüpfungspunkte? Unter anderem versuchen wir im aktuellen Sommerheft auch diesen Fragen nachzugehen. So stellte Rodger Kamenetz vor bald 30 Jahren anlässlich einer historisch gewordenen Reise einer Gruppe von Rabbinern und jüdischen Gelehrten im Gespräch mit dem 14. Dalai Lama folgende Fragen: Wie macht das Judentum mein inneres Leben besser? Wie kann ich darin Frieden finden? Und was bietet mir meine Religion dafür an Hilfe an? ‒ Und er fand die Antworten, mit denen er seither nicht nur sich selbst, sondern auch andere glücklicher und zufriedener macht. Sein Buch The Jew in the Lotus wurde zum internationalen Bestseller (Seite 8).
Achtsam zu sein heißt, seine Aufmerksamkeit absichtsvoll auf Erfahrungen des gegenwärtigen Augenblicks zu richten ‒ und zwar auf eine bestimmte, eben eine „achtsame“ Art und Weise, erklärt Jon Kabat-Zinn (Seite 6), Mitbegründer der Achtsamkeitsbewegung, die die Praxis der Achtsamkeit, die ihre Ursprünge im Buddhismus hat, von ihrem religiösen Bezug gelöst und sie damit auch Menschen anderer Religionen zugänglich gemacht hat. Neben ihrer positiven Wirkung auf das Individuum wird dies wohl einer der Gründe sein, warum so viele Suchende die Praxis der Achtsamkeit in ihr jüdisches Leben integriert haben. Eine Verbindung, die in einer Welt voller politischer, ökologischer und gesellschaftlicher Herausforderungen vielleicht uns allen einige heilsame Antworten bieten kann.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen wunderbaren, achtsamen Sommer. Genießen Sie die Zeit, das Leben und das Lesen!

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