Editorial

„Wir müssen die Idee des Gemeinwohls wiederentdecken und zusammenarbeiten, um ein gemeinsames Zuhause zu bauen.“ Rabbi Lord Jonathan Sacks

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Am ersten Tag des siebenten Monats „sollt ihr einen Tag der Ruhe haben, eine heilige Versammlung, der mit Trompetenstößen gedacht wird“. So sprach G-tt zu Moses und markierte damit den Tag, den wir als Rosch ha-Schana, als „Kopf des Jahres“ kennen.

In einigen Tagen ist es wieder so weit. In der Mischna wird der Feiertag auch als „Tag des Gerichts“ bezeichnet. Über die Welt, so sagen uns die Rabbiner, wird viermal im Jahr gerichtet: Zu Pessach richtet G-tt über die Fruchtbarkeit der Erde für das kommende Jahr, an Schawuot über die Früchte der Bäume, am Sukkot über den Regen. Und am Rosch ha-Schana ist dann der Mensch an der Reihe, vor Gericht gestellt zu werden.

Da das Judentum eine legalistische Religion ist, wird dieses Verfahren ausführlich beschrieben. G-tt öffnet an diesem Tag drei himmlische Buchhaltungsbücher: In das eine schreibt er die Namen der Gerechten, die ein weiteres Jahr leben werden, in das zweite jene Namen der Bösen, die von dieser Erde verschwinden werden, bevor das Jahr zu Ende geht. Das dritte, am dichtesten beschriebene Buch enthält die Namen jener, deren Schicksal auf die himmlische Warteliste gesetzt werden. Sie haben dann in den Tagen bis Jom Kippur eine Zehntagesfrist, um für ihre vergangenen Sünden Buße zu tun. Und da wir nie mit Sicherheit wissen können, in welchem Buch wir eingetragen wurden, ist es wohl ratsam, sich in jedem Fall zu den Büßern zu gesellen.

Noch ratsamer wäre es, sich das ganze Jahr über vor Augen zu halten, dass unser Tun stets Konsequenzen hat. „Die Tendenz, dass die Welt gefährlicher wird und die Gefahren nicht nur entfernte Regionen, sondern die gesamte Erde bedrohen, wird uns allen immer deutlicher“, stand an dieser Stelle vor genau einem Jahr. Die weltweiten klimatischen Veränderungen – Hitzewellen und Dürrekatastrophen, Waldbrände, das Schmelzen der Gletscher und das Ansteigen der Meeresspiegel – und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Veränderungen machen unsere Erde zu einem immer ungemütlicheren Ort. Und die Pandemie, die die gesamte Menschheit zu bewältigen hat, gleicht einer riesigen Lupe, die all unsere Fehltritte vergrößert, damit wir die Augen nicht länger davor verschließen können. „Seht euch vor, dass ihr meine Welt nicht verderbt und zerstört. Denn wenn ihr es tut, wird es niemanden geben, der sie nach euch wieder instand setzt“, steht im Midrasch. Und wenn wir davon ausgehen, dass unsere Welt als Einheit erschaffen wurde und damit alle und alles miteinander verbunden ist, wird uns – spätestens in der Zehntagesfrist – hoffentlich klar, dass unser aller Tun Konsequenzen für Menschen, Umwelt und Gesellschaft hat.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein Jahr 5781, in dem wir konsequent die Chance ergreifen, unsere Fehler zu erkennen und das, was wir tun, einfach besser zu machen. Damit noch viele Generationen in Gesundheit und Frieden einander Gmar chatima towa wünschen können!

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