Es ist Sommer, es ist heiß und die Pandemie scheint ein wenig abzuklingen. Die Welt fängt an aufzuatmen, soweit die Hitze es zulässt und mehr, oder minder vorsichtig strömen die Menschenmengen ins Freie. Man zögert immer noch bei Menschenansammlungen und versucht schnell die Straßenseite zu wechseln, das Leben ohne Maske fühlt sich immer noch ein wenig nackt an. Zögernd fallen auch noch jene Umarmungen aus, die man so viele Monate vermisst hat.
Und vermutlich fangen wir erst jetzt an zu verstehen, was passiert ist: Wir haben eine weltumfassende gesellschaftliche Krise erlebt, wir haben Millionen Menschen zu betrauern und wir müssen uns mit den individuellen, gesellschaftlichen und ökonomischen Folgen dieser Krise vermutlich noch lange auseinandersetzen.
Sie hat mit jedem von uns etwas gemacht. Zu erwarten, dass wir alle ohne Übergang wieder so funktionieren wie davor, wäre so, als würde man von jemandem, der einen Flugzeugabsturz überlebt hat verlangen, gleich nach seinem Krankenhausaufenthalt einen kontinentalen Flug zu buchen. Zunächst muss man sich doch klar darüber werden, was da passiert ist. Was alles sich in und um uns herum verändert hat.

„Die Zukunft entsteht aus ÜBERstandenen, aber auch VERstandenen Krisen.“
Matthias Horx

Krisen sind mit Trauer verbunden. Was alles haben wir in diesen Monaten verloren?
Vor allem unser Sicherheitsgefühl. Die Gewissheit, dass unsere Welt sich vorwärts und immer schneller steil nach oben bewegt, hat eine Schlagseite erfahren: Denn genauso kann sie auch von einem Tag aufs andere plötzlich innehalten, oder zerbrechen. Wir können von einem Tag aufs andere krank, arbeitslos, oder einsam werden. Und von einem Tag aufs andere unsere Freiheit verlieren, uns in der Welt frei zu bewegen und nach Lust und Laune zu tun, zu kaufen, zu essen, was wir wollen.
Wenn ein Mensch eine Krise erlebt, gibt es mehrere Möglichkeiten: daran zu zerbrechen, sie zu verdrängen, oder aber aus der Krise wachsen. Ein Gärtner, der seine Pflanzen liebt, schneidet sie ab, um sie zu stärken und zum Wachstum zu animieren. Wir und unsere Welt wurden erschüttert und beschnitten. Doch sind wir dabei unserem Mut, unseren Fähigkeiten und uns selbst näher gekommen. Wir sind über uns selbst hinausgewachsen und wir haben in der Isolation die Bedeutung von einem „wir” neu definiert.
Krisen sind grausam, aber sie bergen die Möglichkeit zur Wandlung in sich und haben die Fähigkeit uns für neue Krisen resilient zu machen.
Und die nächste große gemeinsame Krise steht deutlich vor uns: den Weg in die ökologische Krise sehen nur noch jene nicht, die ihn nicht sehen wollen. Und die werden wir dann nicht mehr mit Brotbacken und Chipsessen innerhalb unserer gutgeheizten und gut gekühlten vier Wänden verbringen können.
Wenn wir uns bei einer Wanderung verlaufen, ist es ratsam innezuhalten, kurz zu verschnaufen und den Kompass aus dem Rucksack zu holen, um den richtigen Weg wieder
zu finden.
Die Krise scheint derzeit abzuklingen, unser Rucksack ist vollgepackt mit Erfahrungen und wir haben einen großen gemeinsamen Kompass in der Hand. Ich wünsche uns allen, dass wir den Sommer zum verschnaufen und stärken nützen und sie in vollen Zügen genießen, damit wir dann den großen gemeinsamen Kompass aus dem Rucksack holen und den richtigen Weg finden.

HINTERLASSEN SIE EINE ANTWORT

Please enter your comment!
Please enter your name here