Editorial

„G-tt ruft uns auf, einige Wunden unserer zerrissenen Welt zu heilen. Möge er uns die Möglichkeit geben, das Leben eines Menschen zum Besseren zu verändern, und möge der Ruf des Schofars uns herausfordern, genau das in den kommenden Tagen und Jahren zu tun.“
Lord Jonathan Sacks, Rabbiner

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Möge er uns die Möglichkeit geben, das Leben eines Menschen zum Besseren zu verändern ... © Nadja Wohlleben / laif / picturedesk.com

Die Klänge der Schofarim markieren in einigen Stunden das Ende des vergangenen und den Beginn des neuen Jahres. Es ist ein Weckruf, um uns an die existenziellen Dinge des Lebens zu erinnern, Bilanz zu ziehen und vor allem, um Vergebung zu bitten. Die Tage zwischen Rosch ha-Schana und Jom Kippur sind die wohl spirituellsten des jüdischen Jahreskreises, in denen unsere Seele, unser Geist einen Reinigungsprozess durchläuft, der mit einem Reinigungsprozess des Körpers am Jom Kippur zu Ende geht. Geht es anderen Feiertagen um Erinnerungen an Verluste und Siege des jüdischen Volkes als Kollektiv, so geht es am Jom Kippur um das Individuum, um uns selbst. Wer war ich im vergangenen Jahr? Was habe ich mit meinem Leben gemacht? Wen habe ich verletzt? Wofür habe ich gelebt?

Zwischen Rosch ha-Schana und Jom Kippur richtet G-tt über den Menschen. Dafür öffnet er die drei himmlischen Buchhaltungsbücher: In das erste werden die Namen der Gerechten eingeschrieben, in das zweite kommen die der Sünder und in das dritte jene Namen, deren Schicksal auf eine Warteliste gesetzt werden. Sie gewinnen damit Zeit bis Jom Kippur, um Buße zu tun. Niemand von uns kann sicher sein, in welches der drei Bücher wir vermerkt werden. Und da wir wohl alle nur das Beste für uns selbst möchten, ist es ratsam, die Zeit zu nutzen, um sich selbst zu überprüfen.Unsere Welt fühlt sich immer mehr an wie eine unaufhaltbare Reise in einer Hochschaubahn, ohne Kompass. Und wir vergessen, dass wir selbst der Kompass sind, denn auch die Mischna besagt, dass „eine Seele wie ein ganzes Universum ist“. Und darin liegt der Schlüssel zu unserer Selbstverantwortung: Wir müssen nur ein Leben verändern, um das Universum um uns zu verändern. Was liegt da näher, als die Veränderung bei uns selbst zu beginnen. Die Covid-Pandemie hat uns bereits, einer gigantischen Lupe gleich, viele unserer Fehltritte ins Unendliche vergrößert, Krieg und Energiekrise gehen nun noch einen Schritt weiter. Doch wenn wir genau hinsehen, werden auch die Auswege immer deutlicher, wenn sie auch nicht immer bequem erscheinen. In jedem Fall ist einer der Schlüsselbegriffe das „Weniger“. Weniger konsumieren, reisen, heizen, wegwerfen, abholzen … Doch ein Weniger ist auch immer ein Mehr: mehr Zeit, mehr frische Luft, mehr Freude an den Kleinigkeiten, mehr Bewusstsein, mehr Solidarität, mehr geben als nehmen. Ob und was man mit dieser Idee anfängt, muss jede und jeder für sich entscheiden, die Tage bis Jom Kippur bieten auch dazu gut Zeit.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein Jahr 5783, in dem wir die Chance ergreifen, an den Trampelwegen vorbei Auswege zu finden. Damit noch viele Generationen nach uns in Gesundheit und Frieden einander Schana Towa wünschen können!

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