Nach dem Inferno des 07. Oktober hat sich das Glas in der Brille, durch die wir die Welt betrachten, beschlagen und verdunkelt. Und Worte, die man so oft gelesen, gehört und verstanden geglaubt hat, haben eine neue, eine ganz persönliche Interpretation erhalten. „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“ So lautet der Satz Adornos, der seit Jahrzehnten zitiert, diskutiert und interpretiert wird. Und dies war auch der erste Satz, der mir kurz nach dem Überfall auf Israel durch den Kopf ging und mich seit mehr als einem Jahr begleitet und vieles durchdringt, was zu schreiben wäre. Macht es noch Sinn, das zu tun, was mein bescheidenes Schaffen motiviert: aufzeigen, aufzeichnen, die Hand reichen, Brücken schlagen? Wenn doch diese Brücken erneut gesprengt werden und alte Ressentiments neuen Rückenwind erhalten.
Am 07. Oktober 2023, um halb sieben Uhr früh, stieg das Unheil langsam vom Himmel, begleitet von einer barbarischen Menschenmasse. Die Wucht der Zerstörung von Körpern und Seelen, das Zerbrechen von Familien, die Angst und die Erniedrigungen werden wir vermutlich nie in ihrem ganzen Ausmaß begreifen. Es war Simchat Torah, ein Festtag, an dem getanzt wird. Hunderte tanzten, verloren sich im Rhythmus und feierten das Leben. Es waren keine religiösen Tänze, aber ein durch und durch spirituelles Erlebnis. Wie auch gleichzeitig in den Synagogen mit den Torah-Rollen getanzt wurde, um das jüdische Leben zu feiern. Doch die Musik war plötzlich aus, und Angst, Mord und Verschleppung folgten. Monate über Monate Schmerz und Dunkelheit, begleitet von der Frage: Will we ever dance again?
Simchat Torah ein Jahr später – und die Angst davor, wie an diesem Feiertag getanzt und gefeiert werden kann. Wie darf nach den Pogromen des 07. Oktober wieder getanzt werden? Nach ihren Folgen für Israel, für das Judentum und für die Weltgesellschaft? Heuer fiel Simchat Torah auf den 25. Oktober. An diesem Tag versammelten sich unzählige Menschen weltweit, so auch auf dem Gelände des Nova-Festivals, das immer noch Trauer ausatmet. Männer in ihren religiösen Gewändern, Frauen, Kinder – mit Torah-Rollen und Fahnen in der Hand und sie fingen an zu tanzen und zu singen, um das Leben und die Torah zu feiern. Ihre Antwort war laut und eindeutig: We dance again! Again and again! Weil wir es wollen und weil wir es müssen. Denn wenn wir aufhören, gewinnen die Feinde. Wir tanzen für das „Ja“ im Leben und für die Erinnerungen. Für diejenigen, die uns genommen wurden und für diejenigen, die nach uns kommen werden. Weil es das symbolisiert, was wir immer taten: resilient sein und überleben. Wir tanzen, um zu hoffen, um zu erinnern und um endlich den Weg in eine friedliche, bessere Zukunft zu finden.